Bibel praktisch

Gebrauche ein wenig Wein

Muss man (junge) Christen dazu auffordern, ein wenig Wein zu trinken? Wird nicht sowieso genug Alkohol getrunken, vielleicht manchmal sogar zu viel? Bei Timotheus war das nicht der Fall; er trank aus gewissen Gründen gar keinen Wein. Der Apostel Paulus fordert ihn auf: „Gebrauche ein wenig Wein.“ Doch bringt das Weintrinken geistlich weiter?

 

Ein ungeheuchelter Glaube, eine Gnadengabe …

Timotheus hatte eine gute geistliche Erziehung genossen. Sein Vater war vermutlich nicht daran beteiligt – er war Grieche und vermutlich ungläubig. Von seiner jüdischen Mutter Eunike dagegen lesen wir, dass in ihr ein „ungeheuchelter Glaube“ war (2. Tim 1,5). So hatte das gute Vorbild der Mutter dazu beigetragen, dass auch in Timotheus ein ungeheuchelter Glaube Fuß gefasst hatte. Mehr noch: Die Mutter hatte ihren Sohn von Kind auf mit den Schriften des Alten Testaments bekannt gemacht (2. Tim 3,15).

Timotheus hatte also von Haus aus beste Voraussetzungen, um eine gute geistliche Entwicklung zu nehmen. Hinzu kam, dass über ihn eine Weissagung ausgesprochen worden war: Timotheus würde eine Gnadengabe empfangen. Das Besondere dabei: Paulus vermittelte ihm die Gnadengabe und legte ihm dafür die Hände auf (1. Tim 4,14; 2. Tim 1,6). So war Timotheus bestens ausgestattet, um ein „guter Diener“ und ein „guter Streiter Christi Jesu“ zu sein (1. Tim 4,6; 2. Tim 2,3).

 

… und zugleich ängstlich und resignierend

Je intensiver wir uns mit den biblischen Mitteilungen über Timotheus befassen, umso mehr entdecken wir, dass er ein Mensch mit Schwächen war. Trotz seines ungeheuchelten Glaubens – er lebte in einer echten Glaubensbeziehung zu seinem Retter und Herrn – war er nicht frei von Furcht. In seinem Dienst als „Mitarbeiter Gottes in dem Evangelium des Christus“ (1. Thes 3,2) erlebte er Widerstand und Feindschaft. Diese Angriffe prallten nicht an ihm ab. Im Gegenteil: Diese Trübsale machten ihm offensichtlich derart zu schaffen, dass er sich (teilweise) zaghaft zurückzog. Paulus war das nicht entgangen und ermuntert ihn in seinem zweiten Brief, Trübsal zu leiden – und das gleich dreimal (Kap. 1,8; 2,3; 4,5).

 

Leide Trübsal mit dem Evangelium, nach der Kraft Gottes.

2. Timotheus 1,8

 

Von keiner Person lesen wir, dass sie so viel Ermutigung und Zuspruch bekam wie Timotheus. Er hatte sie offensichtlich nötig. Er gehört zu den Personen, die mit gewissen Einschränkungen leben müssen und die angesichts von Schwierigkeiten zur Resignation neigen. Das macht ihn sympathisch, und wir können uns vielleicht recht gut mit ihm identifizieren. Mit einem Paulus wird sich so schnell keiner vergleichen wollen, gerade wenn man an seinen Eifer, sein Ausharren und seinen Glauben denkt.

 

Geistliche Kraft und natürliche Schwäche

Am Beispiel von Timotheus wird deutlich, dass eine Gnadengabe keine natürliche, sondern eine geistliche Befähigung und Kraft ist. Für den Dienst am Evangelium und unter den Gläubigen war Timotheus gut ausgestattet. Denn wie sollte sonst ein Dienst für den Herrn wirkungsvoll getan werden, wenn der Diener nicht eine entsprechende Gnadengabe dafür hätte (vgl. 1. Pet 4,10)?

Dennoch kann es sein, dass natürliche Schwächen die Ausübung einer Gnadengabe beeinträchtigen. Das war offensichtlich bei Timotheus der Fall. Deshalb erinnert Paulus seinen jungen Freund und Bruder daran, dass „Gott uns nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben hat, sondern der Kraft …“ (2. Tim 1,7). Gemeint ist wohl nicht der Heilige Geist selbst, sondern der menschliche Geist, der durch den Heiligen Geist erneuert wird (Eph 4,23). Ein von Natur aus furchtsamer Charakter wird (bei der Bekehrung) durch einen Geist der Kraft beseelt, sodass Ängste überwunden werden können. Wir sollten uns also nicht allzu schnell auf unsere Furchtsamkeit zurückziehen, wenn uns der geistliche Kampf zu heftig wird. Vielmehr sollten wir „stark sein in der Gnade, die in Jesus Christus ist“ (2. Tim 2,1). Wer diese Gnade für sich in Anspruch nimmt, wird erleben, dass Gottes Kraft sich gerade in den Schwachen entfaltet (2. Kor 12,9.10).

 

Trotz Schwäche viele herausfordernde Aufgaben

Vor dem Hintergrund, dass Timotheus ein sensibler Mensch und deshalb eingeschränkt belastbar war, ist es erstaunlich, dass er dort, wo er sich aufhielt, viele herausfordernde Aufgaben wahrnehmen sollte. Das galt besonders für seinen Aufenthalt in Ephesus. Die Entwicklung dieser örtlichen Versammlung nach dem früher sicherlich sehr guten Zustand (vgl. den Epheserbrief) war besorgniserregend. Man gab sich mit Mythen und endlosen Geschlechtsregistern ab, verbreitete ungöttliche Ideologien (Speise- und Heiratsverbot) und vieles mehr. Timotheus musste sich deshalb um die Ordnung im Haus Gottes kümmern, wozu auch das Verhalten gegenüber Witwen, Ältesten und den Reichen gehörte. Zu all diesen Punkten gibt der Apostel seinem jungen Mitarbeiter konkrete Anweisungen. Hier einige Beispiele:

 

  • „… damit du einigen gebötest, nicht andere Lehren zu lehren noch sich mit Fabeln und endlosen Geschlechtsregistern abzugeben“ (1. Tim 1,4).
  • „Dies gebiete und lehre … halte an mit dem Vorlesen, mit dem Ermahnen, mit dem Lehren“ (1. Tim 4,11.13).
  • „Einen älteren Mann … ermahne als einen Vater“ (1. Tim 5,1).
  • „Dies gebiete, damit sie [die Witwen] unsträflich seien (1. Tim 5,7).
  • „Die sündigen, überführe vor allen, damit auch die Übrigen Furcht haben“ (1. Tim 5,20).
  • „Den Reichen in dem jetzigen Zeitlauf gebiete, nicht hochmütig zu sein … Gutes zu tun …“ (1. Tim 6,17.18).

 

Nimm Rücksicht auf dich selbst …

Unser natürliches Empfinden heute sagt: Es kann nicht sein, dass Timotheus derart viel zugemutet wurde, zumal er häufig mit Unwohlsein zu kämpfen hatte (1. Tim 5,23). – „Timotheus, ist denn niemand da, der dich unterstützen kann? Dein Unwohlsein resultiert aus deiner seelischen Belastung. Du musst lernen, Nein zu sagen, denn es kann nicht sein, dass du dich für andere aufreibst. Nimm dir eine Auszeit und kümmere dich um deine Gesundheit …“

Diese oder ähnliche Ratschläge würde Timotheus vielleicht heute zu hören bekommen. Doch wie würde er darauf reagieren? Aus den Informationen, die uns Gottes Wort über ihn gibt, können wir schließen, dass er niemals wegen seiner vielen und schweren Aufgaben klagte. Im Gegenteil: Wir lesen von ihm, dass er die gleiche Gesinnung hatte wie Paulus. Das, was Paulus wichtig war, war auch Timotheus wichtig. Er zeigte genauso Liebe zu allen Heiligen wie Paulus. Und so wenig wie Paulus seine eigene Ehre suchte, so wenig suchte Timotheus sie: Er hielt sich keineswegs für den wichtigsten Mann in Ephesus, sondern war bescheiden und von Herzen für das geistliche Wohlbefinden der Gläubigen besorgt (vgl. Phil 2,20.21).

Auch wenn es Timotheus teilweise nicht leichtfiel, die herausfordernden Aufgaben durchzuführen, die sich ihm aufdrängten, schonte er sich nicht. Seine Magenprobleme hielten ihn jedenfalls nicht davon ab, dem Herrn treu zu dienen.1

 

… oder: Gebrauche ein wenig Wein?

Paulus wusste von den Schwächen seines jungen Freundes. Wäre es da nicht rücksichtsvoller gewesen, wenn er ihn aufgefordert hätte, Aufgaben abzugeben? Doch offensichtlich war das nicht ohne Weiteres möglich. Timotheus war das geeignete Werkzeug, damit die Gläubigen in Ephesus Kurs hielten. Die Sache des Herrn hat ja immer höhere Priorität als das natürliche Wohlbefinden eines Dieners. Dennoch ging Paulus keineswegs rücksichtslos mit ihm um. Die körperliche Gesundheit seines jungen Freundes lag ihm durchaus am Herzen. Deshalb fordert er ihn auf, nicht länger nur Wasser zu trinken, sondern auch ein wenig Wein zu nehmen.

Dass Timotheus keinen Wein trank, mag ein Indiz dafür sein, dass er auf die Annehmlichkeiten des Lebens verzichtete, obwohl deren Gebrauch ja nicht verboten ist. Vielleicht wollte er auch niemandem einen Anstoß geben und Rücksicht auf die Schwachen nehmen. Wie auch immer – jetzt war es nötig, dass Timotheus etwas Wein trank, damit es ihm besser ging. Denn Wein wurde damals nicht nur als Genussmittel, sondern zuweilen auch als eine Art „Medizin“ verwendet (vgl. Lk 10,34). Der Wein sollte dazu beitragen, dass Timotheus dem Herrn mit Kraft und Ausdauer dienen konnte.

Wir sollten unserem Gott herzlich danken, wenn wir eine robuste Gesundheit besitzen und diese dann im Dienst für Ihn einsetzen. Wenn sich allerdings gesundheitliche Schwächen bemerkbar machen, nehmen wir gern medizinische Hilfe in Anspruch – und lassen nicht alles fallen. Denn der Kampf für das Glaubensgut und die Verbreitung des Evangeliums dürfen nicht zum Erliegen kommen: „Handelt, bis ich komme“ (Lk 19,13).

 



[1] Selbstverständlich erwartet Gott nicht von uns, dauerhaft über das Maß unserer Kräfte hinauszugehen; sonst wären wir eines Tages überhaupt nicht mehr in der Lage, Ihm zu dienen. Wir brauchen immer wieder Momente der Ruhe, um körperlich und geistlich aufzutanken (vgl. Mk 6,31). Darüber hinaus ist wichtig, dass wir uns im Blick auf unser Betätigungsfeld nicht überschätzen, sondern erkennen, welches Maß Gott uns zugedacht hat (vgl. Röm 12,6).