Jesus Christus
Jesaja 53: Christus – der leidende Knecht
In Jesaja 53 haben wir ein wunderbares Kapitel, das uns in eindrücklicher Weise die Leiden des gerechten Knechtes Gottes zeigt (Jes 53,11). Es ist ohne Frage der Höhepunkt dieses Bibelbuches und in seinen Aussagen so vielschichtig, dass wir uns in dieser Reihe nur auf einige wenige Aspekte beschränken können und das Interesse an einem tieferen Einstieg in diese tiefgründigen Verse wecken möchten.
Grundsätzliches zu Jesaja 53
Bevor wir über den einen und anderen Aspekt der Leiden des Herr Jesus nachdenken, sollen einige grundsätzliche Gedanken vorangestellt werden: Eigentlich bilden die Verse von Jesaja 52,13 bis 53,12 inhaltlich eine Einheit und es gibt zwei – wie ich finde – sehr treffende Möglichkeiten, diesen Abschnitt gut einzuteilen.
Zum einen kann man diese Verse in fünf Strophen einteilen.
- Jes 52,13-15: Die Erniedrigung und Erhöhung des einsichtigen Knechtes[1]
- Jes 53,1-3: Die Leiden und die Verachtung des Knechtes Gottes
- Jes 53,4-6: Einsicht, Buße und Umkehr des jüdischen Überrestes der Zukunft
- Jes 53,7-9: Das vollkommene Lamm Gottes
- Jes 53,10-12: Die Frucht der Mühsal seiner Seele
Zum anderen kann man bei genauer Betrachtung dieser Verse ein Gespräch erkennen. Der eine Redner ist Gott selbst, der „Gesprächspartner“ ist der gläubige Überrest der Juden in der Zukunft. Sie beide unterhalten sich über den Knecht Gottes, über Jesus Christus:
- Jes 52,13-15: Gott weist auf seinen einsichtigen Knecht hin („Siehe, mein Knecht!“).
- Jes 53, 1-6: Der gläubige Überrest spricht.
- Jes 53,7-9: Gott antwortet.
- Jes 53,10-11a: Der gläubige Überrest redet.
- Jes 53, 11b -12: Gott redet.
Dazu muss man erklärend sagen, dass Jesaja in seiner Prophezeiung nicht einzelne Menschen sieht, sondern das ganze jüdische Volk als Einheit. Natürlich gab es auch damals einen sogenannten gläubigen Überrest, der den Herrn Jesus auch vor 2.000 Jahren schon als den Messias und den Sohn Gottes erkannte und an Ihn glaubte (z. B. die elf Jünger, Maria, Martha, Lazarus, Nikodemus, um nur einige wenige zu nennen). Aber die Juden als Volk in ihrer Gesamtheit haben Christus abgelehnt und gekreuzigt. In Zukunft aber wird dieser Überrest – wieder als ganzes Volk gesehen – den Messias erkennen und Ihn dann im Glauben annehmen. Das wird am Ende der Drangsalszeit und zugleich zu Beginn des 1000-jährigen Reiches sein (vgl. Sach 12,10; Joh 19,37; Off 1,7). Genau über diesen Zeitpunkt spricht Jesaja hier in Kapitel 53. Dann wird der (von heute aus betrachtet) zukünftige gläubige Überrest der Juden rückblickend erkennen, dass sie zu diesem Zeitpunkt die Person des Herrn Jesus völlig verkannt haben und dass ihre damalige Sicht auf Ihn ein totales Fehlurteil gewesen ist.
Von Gott wertgeschätzt, aber von Menschen verachtet und verlassen
- Für Gott ein Wurzelspross
In den Augen Gottes war der Herr Jesus ein Wurzelspross aus einem vertrockneten Erdboden. Der jüdische Gottesdienst war zur Zeit der Menschwerdung Jesu zu einer rein äußeren Form erstarrt. Das Passahfest zum Beispiel war ursprünglich ein Fest des Herrn, aber zur Zeit Jesu war es ein Fest der Juden geworden (2. Mo 12,11; Joh 2,13). Der Tempel war eigentlich ein Bethaus, aber die Juden hatten ihn zu einer Räuberhöhle gemacht (Mt 21,13). Das war – im Bild des Propheten Jesaja – das dürre Erdreich. Aber dann kam in der Person des Herrn Jesus ein Mensch, der in allem den Willen Gottes tat (Joh 8,29). Er war dieser Wurzelspross, dieses Reis[2]. Gott freute sich über den Gehorsam, die Hingabe und die Heiligkeit seines geliebten Sohnes. Das drückte Er auch mehrfach aus, indem Er sagte: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe (Mt 3,17; 17,5).
- Von den Menschen verachtet …
Die Beurteilung der Zeitgenossen des Herrn Jesus im Allgemeinen war allerdings ebenso gegensätzlich wie falsch. Sie sahen in der Person Jesu nur den Zimmermann aus Nazareth (Mk 6,3). Und damit nicht genug: Er war „verachtet und verlassen“ und „der Menschen Hohn und der vom Volk Verachtete“ (Jes 53,3; Ps 22,7). In Psalm 69,13 heißt es prophetisch aus der Sicht des Herrn Jesus: „Die im Tor sitzen, reden über mich, und ich bin das Saitenspiel der Zecher.“ Sowohl hochgestellte Menschen (der Stadtrat im Tor einer Stadt) als auch die losen Leute (Trinker in den Kneipen) haben sich jeder auf seine Art über Jesus belustigt. Wie deutlich hat der Herr diese Verachtung auf allen Ebenen wahrgenommen. Er ist derjenige, der jedes Herz kennt (Joh 2,25; Mk 2,8) – und so kannte Er auch jeden Gedanken der Ihn umgebenden Menschen. Er wurde verletzt durch Worte und Taten, aber auch jede nicht ausgesprochene Verachtung konnte Er wahrnehmen! Können wir uns vorstellen, wie tief Ihn das innerlich getroffen haben muss?!
- … und verlassen
Das Verlassensein von den Menschen war auch ein Aspekt seiner inneren Leiden. Es ist schlimm, wenn man niemanden hat, der einen versteht und dem man sich mitteilen kann. Der Herr Jesus hat dies besonders empfunden. Er ging wohltuend und heilend umher und die Menschen nahmen dies gern entgegen (Apg 10,38). Aber letztendlich haben sie sich alle von Ihm abgewandt. Auch grundsätzlich war der Herr als der einzige Reine und Heilige unter lauter Sündern wie ein Fremdkörper. In Psalm 102,7 heißt es: „Ich gleiche dem Pelikan der Wüste.“ Dieses Bild trifft es gut: So wesensfremd wie ein Pelikan als Wasservogel in der Wüste sitzt, so einsam fühlte sich der Herr umgeben von Sünde, Tod und Krankheit, die seinem Wesen so völlig fremd waren.
Bedauerlicherweise wurde Jesus in letzter Konsequenz noch nicht einmal von seinen Jüngern verstanden, die Ihm doch nahestanden und Ihn wirklich liebten. Drei Beispiele verdeutlichen das: Als Er mit Ihnen über seine bevorstehenden Leiden sprach, überlegten die Jünger unmittelbar im Anschluss daran, wer wohl von ihnen der Größte sei (Lk 9,44-47). Im Garten Gethsemane nahm Jesus drei seiner Jünger mit sich. Aber sie wachten nicht wie Er, sondern schliefen ein (Mt 26,36-46). Und als schließlich die Volksmenge unter Führung von Judas Iskariot kam, um ihn festzunehmen, da verließen sie Ihn alle und flohen (Mt 26,56). Jetzt war Er von Menschen ganz verlassen. Der Herr sagt prophetisch: „Und ich habe auf Mitleid gewartet, und da war keins, und auf Tröster, und ich habe keine gefunden“ (Ps 69,21). Dabei wollen wir nicht übersehen, dass es durchaus Situationen gab (wie Gethsemane), wo auch die Jünger nicht mehr wirklich „mitempfinden“ konnten. Wo der Herr ganz allein gelitten hat.
Ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut
Ich weiß nicht, womit du dich gut auskennst. Vielleicht bist du ein Experte in Computerdingen oder kannst hervorragend mit Holz umgehen. Dann könnte man sagen, dass du damit vertraut bist.
Über das Leben des Herrn Jesus sagt Jesaja: Er war vertraut mit Leiden. Seine Leiden beschränkten sich nicht nur auf körperliche Leiden, die mit seiner Kreuzigung in Verbindung standen – wenngleich diese natürlich in jeder Hinsicht furchtbar waren. Der Herr Jesus hat auch seelisch unbeschreiblich gelitten: Denken wir nur an seine Einsamkeit als einziger Gerechter unter lauter Sündern oder an seine Vorkenntnis des Werkes von Golgatha. Tiefe und zahlreiche Leiden kennzeichneten sein ganzes Leben. Er war in der Tat der Mann der Schmerzen.
Verwundet und zerschlagen – für uns!
In den Versen 4-6 ist es bemerkenswert, allein die Verben zu lesen: geschlagen, bestraft, niedergebeugt, verwundet, zerschlagen. Alle diese Wörter beschreiben die körperlichen und psychischen Leiden des Herrn Jesus während seines Lebens. Das hat Er für dich und mich ertragen: „Um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Ungerechtigkeiten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden.“ Wie schon gesagt, in Zukunft wird dies das jüdische Volk erkennen. Aber wir können die Wahrheit dieser Verse heute schon für uns in Anspruch nehmen. Kannst du schon anstelle des Pronomens „unser“ deinen persönlichen Namen in diesen Vers einsetzen?! Um – dein Name – Übertretungen willen war Er verwundet, um – dein Name– Ungerechtigkeiten willen zerschlagen ...
Misshandelt, aber stumm
Er wurde misshandelt! Was für eine Aussage! Da steht der Herr Jesus als der Schöpfer inmitten seiner Feinde, und die Menschen schämen sich nicht, Ihn so schmählich zu behandeln. Wenige Stunden zuvor hatte Er durch seine Worte seine Macht gezeigt. Da fragte Er die Juden, die gekommen waren, um Ihn festzunehmen: Wen sucht ihr? Sie antworteten: Jesus, den Nazaräer! Darauf sagte Er nur: „Ich bin es.“ Und vor diesem göttlichen Wort fiel eine ganze Schar von womöglich mehr als 600 Soldaten mit einem Schlag auf den Boden (Joh 18,8). Aber dann ließ Er sich von diesen Soldaten misshandeln – obwohl Er göttliche Macht besaß.
Kein Wort der Selbstverteidigung oder gar der Klage kam über seine Lippen. Noch nicht einmal ein rachsüchtiger Gedanke bezüglich seiner Feinde war bei Ihm zu finden! In Psalm 17,3 steht: „Mein Gedanke geht nicht weiter als mein Mund.“ Und was sagte sein Mund? „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Lk 23,34). Seine Worte waren – wie in seinem ganzen Leben schon – in völliger Übereinstimmung mit seinem Wesen. In seinem Herzen war nur Liebe – und das angesichts seines unbeschreiblichen Leidens infolge der grausamen, schmerzvollen und niederträchtigen Behandlung vonseiten seiner hasserfüllten Feinde.
Weggenommen aus dem Gericht
Aber dann gab es einen Zeitpunkt, an dem Gott das Leiden seines Knechtes beendete. Wenn Jesaja schreibt, dass Er weggenommen wurde aus der Angst und dem Gericht, meint das nicht, dass Gott die Leiden oder das Gericht in den drei Stunden der Finsternis verkürzt hätte. Im Gegenteil: Gott hat Ihn zerschlagen wegen unserer Sünde (Jes 53,10). Der Vers 8 könnte darauf hindeuten, dass Gott seinen Sohn zu einem bestimmten Zeitpunkt dem Zugriff seiner gewalttätigen Feinde entzogen hat. Das geschah zunächst dadurch, dass Gott nach dem Speerstich in die Seite des Körpers Jesu keinem seiner Feinde mehr erlaubte, Ihn in irgendeiner Weise zu berühren. Aber dann mag es sich weiterhin darauf beziehen, dass Jesus Christus dem jüdischen Volk durch die Himmelfahrt entzogen wurde. Nun ist der Herr Jesus verherrlicht im Himmel und damit außerhalb der Reichweite der Juden, die Ihn verworfen haben. Erst in der Zukunft, wird Christus sich auch seines irdischen Volkes wieder annehmen.
Frucht von der Mühsal
Wie wunderbar beschließt Gott selbst in den Versen 10 bis 12 diesen Abschnitt, indem Er noch einmal mit Wohlgefallen auf seinen gerechten Knecht hinweist. Der Herr Jesus hat sich in seinem Leiden und Sterben so unendlich tief erniedrigt und Gott wird Ihm reichen Lohn dafür geben. Beide Aspekte kommen hier hervor.
Vier verschiedene Arten von Frucht
a. Er wird Samen sehen
Same ist hier im Sinne einer Nachkommenschaft gemeint. Christus wird geistlicherweise eine Nachkommenschaft haben. Im engeren Sinn bezieht sich das wieder auf den jüdischen Überrest, der in der Zukunft an den Messias glauben und Ihm dienen wird (Ps 22,30.31). Aber im weiteren Sinn gehören auch wir als Gläubige aus den Nationen dazu.
b. Er wird seine Tage verlängern
Das bedeutet, dass Christus aus den Toten auferstanden ist und ewig lebt (vgl. Ps 21,5; 102,24.25.28; Off 1,18).
c. Das Wohlgefallen des Herrn wird in Seiner Hand gedeihen
Hier lässt Gott uns durch die Prophezeiung Jesajas sehr weit in die Zukunft schauen. Es wird einmal der Zeitpunkt kommen, wenn Gott alles in die Hand des Herrn Jesus übergibt und Christus als „Universalherrscher“ alles zu Gottes Wohlgefallen tun wird (Mt 11,27; Eph 1,10).
d. Er wird Frucht sehen und sich sättigen
In Psalm 88 schreibt Heman prophetisch über den Überrest, mit dessen Leiden sich Christus eins macht und die Er zuvor ihretwegen erduldet hat, dass seine Seele satt vom Leiden ist. Jesaja schreibt nun, dass Er sich von der Frucht seiner Mühsal sättigen wird. Ein Hauptaspekt dieser Frucht aus neutestamentlicher Sicht ist, dass Christus sich die Versammlung (Gemeinde) als Braut erkauft hat (vgl. Mt 13,45.46; Eph, 5,2.25).
Vier verschiedene Arten von Mühsal
Nun schaut Gott noch ein letztes Mal in diesem Abschnitt nach Golgatha und bringt seine Wertschätzung dafür in vier Aspekten zum Ausdruck.
a. Christus hat seine Seele ausgeschüttet in den Tod.
Der Herr Jesus gab sein Leben freiwillig und aktiv. Er sagte selber: „Niemand nimmt es [mein Leben] von mir, sondern ich lasse es von mir selbst. Ich habe Gewalt, es zu lassen, und habe Gewalt es wiederzunehmen“ (Joh 10,17; 19,30). Und als Er es gab, hat Er alles, was Er hatte, gegeben – für Gott und für uns (vgl. Mt 13,44-46). Was für eine Hingabe dieses gerechten Knechtes!
b. Er ist den Übertretern beigezählt worden.
Was für eine Erniedrigung: Christus als der gerechte Knecht wurde nach dem ungerechtesten Urteil der Weltgeschichte in der Mitte von zwei Verbrechern gekreuzigt (Lk 22,37; 23,33; Joh 19,18).
c. Er hat die Sünde vieler getragen.
Nun zeigt Gott uns die stellvertretende Seite des Werkes von Golgatha. Christus starb an unserer Stelle – „der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe“ (1. Pet 3,18; 2,24; Mt 26,28). Wir können nie in der Tiefe erfassen, was das für Ihn bedeutet hat, von dem heiligen Gott die gerechte Strafe für unsere vielen Sünden zu tragen. Lasst uns Ihm einfach dafür danken und Ihn anbeten!
d. Er hat für die Übertreter Fürbitte getan.
Gerade dieser Akt des Gebetes für seine Feinde zeigt, wie gerecht Christus in seinem Innern war (Lk 23,34). Er hegte auch innerlich keine Gefühle der Rache gegen seine Feinde, die Ihn gerade so brutal und gnadenlos hinrichteten. Im Gegenteil: In der Aufrichtigkeit seiner Seele und in unendlicher Liebe verwendete Er sich im Gebet bei seinem Gott für seine Feinde und milderte ihre Tat von Mord auf Totschlag. Was für eine unbeschreibliche Liebe!
Was hat mir das jetzt praktisch zu sagen?
Das waren nur ein paar Gedankenanstöße zu diesem Kapitel, die dein tieferes Interesse wecken sollen: Findest du nicht auch, dass es sich lohnt, mehr über die Person des Herrn Jesus nachzudenken? Es gibt (nicht nur hier in Jesaja 53) viele schöne Einzelheiten, die Christus in seinen verschiedenen Herrlichkeiten beschreiben. Lass dich ermutigen, diesen Spuren in deiner Bibel nachzugehen.
Und lass uns auch den Herrn Jesus als Vorbild für unser eigenes Leben nehmen: Wie steht es mit meinem Gehorsam Gott gegenüber? Inwieweit bin ich bereit, Verachtung von Menschen dafür zu ertragen?
Und vor allem: Welche Antwort gebe ich in meinem Leben auf die Liebe und Hingabe des vollkommenen Knechtes Gottes?
[1] Siehe Artikel „Christus – der einsichtige Knecht“ in FMN 12-2020.
[2] „Reis“ ist ein junger Zweig, ein grüner Schössling aus einer Wurzel oder einem Baumstumpf.
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