Lebensbeschreibung

Martin Luther – Rechtfertigung aus Glauben (Teil 6)

Martin Luthers zentrales Anliegen: Rechtfertigung aus Glauben

Wahrscheinlich ist nie so viel über Martin Luther und über sein Wirken geschrieben worden wie zum Lutherjahr 2017. Luthers Bibelübersetzung und der damit verbundene Einfluss auf die deutsche Sprache sind unvergesslich. Wie schön wäre es, wenn die Heilsbotschaft der Bibel, die zur Reformationszeit wiederentdeckt wurde, ebenso unvergessen bleibt. In dieser Folge wollen wir uns Luthers zentralem Thema „Rechtfertigung aus Glauben“ zuwenden.

Gerechtigkeit Gottes – zugunsten von Menschen

Hochmotiviert ging Martin Luther ans Werk, um den Römerbrief besser kennenzulernen. Ihn beschäftigte schon lange die Frage, wie der Mensch gerecht sein kann vor Gott. Bei seinen Studien stieß er sich kräftig an dem Begriff „Gerechtigkeit Gottes“, wie er in Römer 1,17 vorkommt:

„Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin [d.h. in dem Evangelium] offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte wird aus Glauben leben.‘“

Luther erging es genauso wie vielen anderen Menschen, die ihre eigene Schuldigkeit vor Gott empfinden: Sie fürchten sich vor einem heiligen Gott und damit auch vor der Gerechtigkeit Gottes. Denn sie wissen, dass Gott sie wegen ihrer vielen Sünden gerechterweise verdammen muss – ganz in Übereinstimmung mit der Aussage in Römer 3: „Wenn aber unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit erweist, was sollen wir sagen? Ist Gott etwa ungerecht, dass er den Zorn auferlegt?“ (V. 5). An dieser Wahrheit kommt niemand vorbei: Gott ist gerecht, wenn er Sünder bestraft.

Doch das ist nicht die ganze Wahrheit von der Gerechtigkeit Gottes. Gott ist nicht nur gerecht, wenn Er Menschen richtet; Er ist genauso gerecht, wenn Er Menschen begnadigt. Wer hätte gedacht, dass Gott seine Gerechtigkeit auch im Evangelium offenbart? Meistens denken wir beim Evangelium an die Liebe, Gnade und Barmherzigkeit, in der Gott sich den Menschen zuwendet. Und diese Wesenszüge Gottes kommen im Evangelium klar zur Entfaltung. Aber die Gerechtigkeit Gottes nicht weniger! Der bekannte Ausleger F.B. Hole schreibt: „Gottes Gerechtigkeit streckt sozusagen ihre Hände wohlwollend allen Menschen entgegen, statt sie drohend anzublicken; und was die Glaubenden betrifft, kommt sie wie ein Mantel aus sie herab, sodass sie damit bekleidet in der Gegenwart Gottes stehen.“[1]

Nach und nach verstand Luther mehr davon, welch eine ungeheuer befreiende Botschaft der zitierte Vers aus Römer 1 beinhaltet. Die entscheidende Einsicht ist, dass Gott in seiner Gerechtigkeit auch zugunsten der Menschen handelt. Er tritt in dem Evangelium nicht als ein fordernder Gott auf, der bei den Menschen gerechte Werke sucht, sondern als der gebende Gott, der Menschen gerecht spricht, wenn sie an das Sühnewerk Christi glauben. Gottes Gerechtigkeit stellt sich somit auf die Seite des Glaubenden. Diese Wahrheit bestätigt bereits der Prophet Habakuk, wenn er sagt: „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“

Auf Grundlage des Gesetzes vom Sinai, dem ein Leistungsprinzip zugrunde liegt, ist noch nie jemand zum ewigen Leben durchgedrungen – weil der Mensch verdorben und kraftlos ist. Durch das Evangelium hingegen, das auf dem Glaubensprinzip beruht, verhilft die Gerechtigkeit Gottes dem Menschen zum ewigen Leben. Doch wie ist das möglich?

Gottes Wesen – Licht und Liebe

Gott ist Licht und ist Liebe. Das ist seine Natur, sein Wesen. Wenn Gott in Beziehung zu Menschen tritt, dann handelt Er immer in Übereinstimmung mit seinem Wesen. In diesem Sinn müssen wir „Gerechtigkeit Gottes“ verstehen. Er ist sich selbst immer treu.

Der Mensch dagegen ist verdorben: „Denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ (Röm 3,23). Da gibt es keine Ausnahme und letztlich macht es auch keinen Unterschied, ob man viel oder wenig gesündigt hat – allen fehlt die Zugang zu Gottes Gegenwart.

Hat der Mensch in seiner Verdorbenheit Gott nun in ein Dilemma gebracht? Gott möchte den Menschen segnen, weil Er Liebe ist. Andererseits: Weil Gott zugleich Licht ist, muss Er das Gericht über die Sünde vollziehen. Wir haben bereits gesehen, dass Gottes Gerechtigkeit im Evangelium zugunsten der Menschen tätig wird. Doch dann stellt sich nun die Frage: Wie ist es möglich, dass Gott sündigen Menschen gegenüber gerecht bleibt, wenn Er ihnen Gnade anbietet und viele von ihnen sogar freispricht? Ein Auge zudrücken kommt bei Gott ja nicht in Frage.

Gerechtfertigt durch seine Gnade

Die Antwort auf unsere Frage liegt in folgenden Versen, die so bedeutend sind, dass wir sie Stück um Stück auf uns wirken lassen wollen:

 „… und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist; den Gott dargestellt hat als ein Sühnmittel durch den Glauben an sein Blut … zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist“ (Röm 3,24-26).

Umsonst:             

Gott findet im Menschen keinen Anknüpfungspunkt, um ihn gerecht zu sprechen. Wenn Er Menschen trotzdem gerecht spricht, dann haben sie das ganz und gar Ihm zu verdanken. Aufseiten des Menschen ist jeder Ruhm ausgeschlossen worden (Röm 3,27). Er empfängt den Segen „umsonst“ – ohne eigene Veranlassung und ohne Eigenleistung. Der Mensch braucht nur das Angebot Gottes anzunehmen.

Gerechtfertigt: 

freigesprochen von der Schuld und von der Verdammnis, die sündige Menschen zu erwarten haben.

Gnade:                   

Gott selbst ist es, der aus Liebe zu den Menschen ein „Sühnmittel“ gibt, wodurch sie umsonst gerechtfertigt werden können.

Erlösung in Christus Jesus:            

Außerhalb von dem Menschen und seinem Tun bietet Gott eine umfassende Erlösung an, die sein Sohn Jesus Christus zustande gebracht hat.

Sühnmittel:        

Der Apostel spielt hier auf den großen Sühnungstag an (3. Mo 16). Einmal im Jahr ging der Hohepriester in das Allerheiligste, um das Blut des Opfertieres auf den goldenen Deckel der Bundeslade zu sprengen und so Sühnung für das Volk Israel zu tun. Das Blut befand sich somit zwischen den Cherubim – den Wächtern der gerechten und Regierung Gottes – und den Gesetzestafeln innerhalb der Bundeslade (2. Mo 25,20; 3. Mo 16,14). Das von Gott gegebene Gesetz hatte das Volk direkt nach Empfang gebrochen. Jetzt war das Blut gewissermaßen zwischen Gott und die Sünde getreten, und der Thron des Gerichts konnte auf diese Weise in einen Gnadenstuhl umgewandelt werden. Das konnte natürlich nur das Blut bzw. der Tod eines von Gott angenommenen Opfers zustande bringen. Gottes gerechten Forderungen hinsichtlich der Sünde wurde damit völlig Genüge getan.

Glauben an sein Blut:                       

Wer den Tod Christi für sich persönlich in Anspruch nimmt, das heißt glaubt, dass Christus das Gericht Gottes über seine Sünden erduldet hat, wird erlöst. Jedem Glaubenden ist dabei bewusst, dass nicht die eigene Wertschätzung dieses Sühnetodes Erlösung und Frieden bringt, sondern das Vertrauen darauf, dass Gott das Werk Christi uneingeschränkt angenommen hat.

Gott ist gerecht:                

Der heilige Gott straft Sünde nicht zweimal. Wenn seine gerechten Forderungen in Bezug auf die Sünden der Glaubenden erfüllt sind – und sie sind durch den Opfertod Christi erfüllt! –, wäre Gott ungerecht, wenn Er irgendwann auch die Glaubenden dafür zur Rechenschaft ziehen würde. Gott zeigt sich also gerade darin gerecht, dass er den Glaubenden annimmt und von jeglicher Schuld freispricht. Wenn Gott das nicht täte, wäre Er ungerecht.

Unserer Rechtfertigung wegen auferweckt

Ein weiterer Punkt ist bei der Rechtfertigung von Bedeutung: die Auferweckung Jesu. Deshalb heißt es in Römer 4,25:

„… der unserer Übertretungen wegen hingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist.“

Der Tod Jesu ist die vollständige Bezahlung unserer gesamten Schuld. Gott hat seinen Sohn nicht verschont, sondern Ihn für uns hingegeben (Röm 8,32). Hingegeben – das schließt ein, dass Gott Ihn verlassen und dem Tod preisgegeben hat.

Die Auferweckung Jesu ist die Quittung dafür, dass alles bezahlt ist. Er wurde also nicht nur auferweckt, weil Gott nicht zulassen konnte, dass sein Frommer die Verwesung sah (Apg 13,35); Er wurde auch unsertwegen auferweckt. Gott hat für uns den Beleg dafür gegeben, dass wir von jeder Verpflichtung freigesprochen sind. Gegen uns kann nichts mehr vorgebracht werden, weil Gott uns das Opfer seines Sohnes als vollständige Bezahlung anrechnet.

Ergebnis: Frieden mit Gott und ewige Sicherheit

Die Tatsache, dass wir aus Glauben von Gott von aller Schuld freigesprochen worden sind, beinhaltet großartigen Segen:

„Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm 5,1).

Wer von Gott gerecht gesprochen ist, braucht sich nicht mehr vor einem zürnenden Gott zu fürchten. Er hat kein „Gewissen von Sünden“ mehr und ist in innere Übereinstimmung mit Gott gekommen. Christus war für ihn auf Golgatha im Sturm des Gerichtes Gottes. Doch jetzt sitzt Christus in aller Ruhe zur Rechten Gottes, weil Gott im Blick auf die Sünde völlig verherrlicht worden ist. So wie nichts zwischen Christus und Gott ist, so gibt es auch nichts mehr, was zwischen dem Glaubenden und Gott steht.

Alles verdanken wir unserem Herrn Jesus Christus. „Wenn Er nicht gelitten hätte auf dem Kreuz zu unserm Heil, sterbend an der Schädelstätte – schrecklich wäre unser Teil.“

Was für eine wunderbare Wahrheit, dass Gott uns rechtfertigt. Wenn die höchste Instanz uns rechtfertigt, dann ist niemand imstande, uns zu verdammen oder uns auch nur einen Millimeter von der Liebe Gottes zu trennen:

„Wer wird gegen Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt; wer ist es, der verdamme? … Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8,33.38.39).

 

 

 



[1] F.B. Hole: Das große Heil Gottes, S. 18, Beröa-Verlag 1990.