Post von Euch

Frage:

Matt. 18,15: „Wenn aber ein Bruder gegen dich sündigt, so geh hin, überführe ihn“.

Meine Frage ist: Gilt das grundsätzlich? Habe ich bei jeder Sünde zwischen mir und einem anderen Gläubigen den Auftrag, ihn zu überführen? Oder muss ich nicht auch einfach manches „schlucken“ (s. 1. Kor. 6,7)? Und, auf welchen der beiden Punkte kann ich Sprüche 10,12; 17,9 sowie 1. Petrus 4,8 anwenden? Ganz abgesehen davon, dass dieses „Überführen“ viel zu selten vorkommt und alles andere als leicht ist.

Antwort:

Liebe D.,

vielen Dank für deine Frage an FMN. Ich möchte gerne versuchen, deine Frage zu beantworten.

Eine Bemerkung vorweg: Das Miteinander der Geschwister ist ein äußerst wichtiges, aber auch ein mitunter nicht einfaches Gebiet. Gott gibt uns in seinem Wort dazu manche Anregungen, aber sicher keine Schablonen. Es sind Weisheit und Abhängigkeit vom Herrn nötig, um im Einzelfall zu wissen, wie wir in der konkreten Situation handeln sollen.

Doch nun konkret zu Matthäus 18. Vielleicht ist der Vergleich mit Matthäus 5,23 von Interesse. („Wenn du nun deine Gabe zum Altar bringst und dich dort erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, [so] lass deine Gabe dort vor dem Altar und geh zuvor hin, versöhne dich mit deinem Bruder; und dann komm und bring deine Gabe dar.“). In dieser Stelle zeigt der Zusammenhang, dass mein Bruder zu Recht etwas gegen mich hat. Es ist sozusagen eine Frage der Gerechtigkeit, dass ich hingehe und mich mit ihm versöhne. Das ist in Matthäus 18 genau umgekehrt. Der Bruder hat gegen mich gesündigt. Trotzdem gehe ich hin. Warum gehe ich hin? Wenn es darum geht, dass ich mein Recht haben will, es ihm heimzahlen will, ärgerlich bin, etc., dann bin ich nicht in der Verfassung, um den Dienst nach Matthäus 18 zu tun. Es muss mir darum gehen, den Bruder zu gewinnen. Es findet ein „Vier-Augen-Gespräch“ statt, in dem dem Bruder sein Vergehen bewusst gemacht wird. Sieht er seine Schuld ein und bekennt sie, kommt es zur Versöhnung und der Bruder wurde gewonnen. Es wäre schön, wenn man dies öfter erleben würde.

An dieser Stelle eine Nebenbemerkung: Du schreibst, dass dieses „Überführen“ viel zu selten vorkommt. Da hast du wahrscheinlich Recht. Aber ich sage bewusst „wahrscheinlich“. Denn wenn Vers 15 so durchgeführt wird, wie die Bibel es sagt und dies zum Erfolg führt, dann dürfte eigentlich niemand davon erfahren (es heißt ja „zwischen dir und ihm allein“). Es wäre zu wünschen, dass es solche „verborgenen“ Versuche, bei denen der Bruder gewonnen wird, mehr gäbe, als bekannt ist.

Deine Frage war nun, ob dieses Vorgehen in jedem Fall von Sünde zwischen Geschwistern anzuwenden ist. Das können wir, glaube ich, aus dieser Stelle nicht entnehmen. Und zwar nicht nur, weil es, wie du ja schreibst, auch andere Bibelstellen gibt, sondern auch vom Textzusammenhang her. Es handelt sich hier offenkundig um eine Sünde von schwerwiegendem Charakter. Denn wenn das Vorgehen nach Vers 15 zu keinem Erfolg führt, gibt es weitere Folgemaßnahmen:

• Ein Gespräch unter Hinzunahme anderer Geschwister (V. 16)

• Du sagst es der Versammlung (V. 17)

• Du brichst den Umgang mit der betreffenden Person ab (V. 17)

• In letzter Konsequenz kann es zu einer Zuchthandlung der Versammlung kommen (V.18)

Manchmal kommt es vor, dass jemand durchaus bereit ist, Geschwister auf ihre (wirkliche oder vermeintliche) Sünde hinzuweisen. Wenn das „keinen Erfolg“ hat, ist die Sache für ihn, wie er meint, erledigt. Das ist jedoch nicht die Situation von Matthäus 18! Die Sache muss also schon so gravierend sein, dass ich nicht nur bereit bin, den ersten Schritt zu gehen, sondern - wenn nötig - auch die weiteren Schritte.

Nun ist ja, dem Herrn sei Dank, nicht jedes Fehlverhalten unter Geschwistern so schwerwiegend. Wie verhalte ich mich nun in anderen Fällen? Die Schrift gibt uns dazu verschiedene Anweisungen. Einige hast du genannt.

• Wenn das Handeln eines Bruders mir zum „Nachteil“ gereicht, kann ich mich „übervorteilen“ lassen (1. Kor 6,7). Beispiel: Vielleicht hatte man dir versprochen, dir eine bestimmte Aufgabe zu geben und jetzt hat sie jemand anders bekommen.

• Du kannst dem Vorbild des Herrn folgen und nicht „zurückschlagen“, denn Er war hier auf der Erde derjenige, „der, gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte, sondern sich dem übergab, der gerecht richtet.“ (1. Pet 2,23)

• Wenn die Gefahr besteht, dass eine „Wurzel der Bitterkeit“ entsteht, ist sicher eine Aussprache sinnvoll (Heb 12,15).

• Es mag auch Situationen geben, in denen jemand in Sanftmut zurechtgewiesen werden muss (2. Tim 2,25).

Dann gibt es noch die drei von dir zitierten Stellen, wo die Liebe eine Menge von Sünden bedeckt. Dies macht zum einen deutlich, dass Liebe immer der Beweggrund für unser Handeln sein soll. Im Buch der Sprüche wird gezeigt, was das Gegenteil von „Sünden bedecken“ ist:

• Hass, der Zwietracht säht (10,12)

• Vertraute entzweien, indem man eine Sache immer wieder „aufwärmt“ (17,9)

Diese Stellen und auch 1. Petrus 4,8 machen zudem deutlich, dass „Sünden bedecken“ das Gegenteil von „Sünden offenlegen“ ist. Die „inbrünstige Liebe“ zu dem Bruder wird eine Sünde des Bruders nie ohne Grund in die Öffentlichkeit zerren. Wenn eine Sache zwischen den Beteiligten persönlich geregelt werden kann, braucht die Angelegenheit nicht vor anderen ausgebreitet zu werden.

Die Sünde bedecken bedeutet auch nicht, Sünde „auf die leichte Schulter zu nehmen“. Aber wenn eine Sache geordnet wurde, wird die Liebe sie bedecken und nicht wieder hervorkramen. In diesen beiden Punkten haben wir sicher noch einigen „Nachholbedarf“.

Lass mich zum Abschluss noch ein Beispiel anführen: Nehmen wir an, ich hätte dich durch eine Bemerkung verletzt („Da ist jemand, der unbesonnene Worte redet gleich Schwertstichen“ Spr 12,18). Dann hättest du jetzt verschiedene Möglichkeiten, um auf diese Verletzung zu reagieren:

• „Blöder Kerl, mit dem rede ich nicht mehr.“

• „Ich gehe ihm aus dem Weg.“

• „Das zahle ich ihm zurück.“

• „Ich hasse ihn.“

• Etc.

Dies sind alles ungeistliche, fleischliche Reaktionen. Aber du kannst auch anders reagieren:

• „Ich vergebe ihm.“

• „Ich sage die Sache dem Herrn und bitte Ihn, mir Bitterkeit und negative Gefühle zu nehmen und überlasse es Ihm.“

• „Ich denke, ich sollte mit ihm darüber reden. Er ist sich wahrscheinlich nicht bewusst, was er angerichtet hat. Das Verhältnis soll doch wieder ungetrübt sein.“

Alle drei Reaktionen sind geistlich und doch verschieden. Welches nun im konkreten Fall die richtige Verhaltensweise ist, das wird der Herr dir (und uns allen) im Einzelfall zeigen, wenn wir in Gemeinschaft mit Ihm leben. Dabei können ähnliche Situationen durchaus unterschiedliche Reaktionen erfordern. Wir Menschen sind eben auch unterschiedlich. Gott gibt uns in seinem Wort Hinweise und Richtlinien (und ich bin sicher, ich habe nicht alle erschöpfend erwähnt), aber Er entlässt uns nicht aus der Abhängigkeit.

Ich hoffe, diese Gedanken haben dir ein wenig weitergeholfen

Mit freundlichen Grüßen

Michael Vogelsang