Bibel praktisch

Nächstenliebe

Von den vielen Geboten des Gesetzes wird keines im Neuen Testament so oft wiederholt wie dieses: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." An sieben Stellen finden wir es (Mt 19,19; 22,39; Mk 12,31; Lk 10,27; Röm 13,9; Gal 5,14; Jak 2,8).

Der Herr Jesus stellt dieses Gebot auf die gleiche Stufe mit dem Gebot, Gott zu lieben und sagt: „An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten" (Mt 22,39-40), und: „Größer als diese ist kein anderes Gebot" (Mk 12,31). „Denn wer den anderen liebt, hat das Gesetz erfüllt", schreibt Paulus den Römern und nennt das Gebot zur Nächstenliebe die Zusammenfassung des Gesetzes (Röm 13,8.9). Jakobus nennt es das königliche Gesetz (Jak 2,8).

Was hat es nun mit dieser Liebe zum Nächsten auf sich, die auch uns Christen prägen sollte? Wie äußert sich diese Nächstenliebe?

Um das zu veranschaulichen, eignet sich die Geschichte vom barmherzigen Samariter sehr gut, die der Herr Jesus zur Erläuterung dieses Gebots erzählt. Anhand dieser Begebenheit möchte ich einige Charakterzüge wahrer Nächstenliebe vorstellen.

Mehr als Sympathie

„Wer ist mein Nächster?" Mit dieser Frage wollte sich der Gesetzgelehrte aus der Verantwortung stehlen. Der Herr Jesus beantwortet die Frage mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter. Die Juden wollten die Liebe zum Nächsten gerne auf den kleinstmöglichen Radius beschränken. Doch das Verhalten des Samariters macht klar, dass die Nächstenliebe die Frage, wer der Nächste ist, gar nicht stellt. Sie sieht in jedem, der ihr begegnet, einen Nächsten, den sie lieben kann. Der Samariter kümmert sich hier um einen Juden, obwohl er weiß, dass die Juden die Samariter verachten (vgl. Joh 4,9). Die Nächstenliebe erstreckt sich nicht nur auf sympathische Leute, oder solche, die ihr wohl gesonnen sind. Selbst Feinde kann sie lieben.

Keine Schuldfrage

Nicht von ungefähr beschreibt der Herr Jesus den unter die Räuber Gefallenen als einen, der „von Jerusalem nach Jericho hinab" ging. In Jerusalem stand der Tempel, das Haus Gottes, und Jericho war eine verfluchte Stadt (vgl. Jos 6,26). Diese Reiseroute soll einen verkehrten, einen schlechten Weg andeuten. Aber es ist der Nächstenliebe nicht wichtig, ob jemand durch eigenes Verschulden in eine Notlage gekommen ist. Sie kennt keine Schadenfreude und sagt nicht: „Das geschieht dir recht". Sie sieht eine Not und hilft.

Die Tat zählt

Priester und Leviten lehrten das Gesetz. Auch die beiden, die an der entgegengesetzten Seite vorübergingen, hatten möglicherweise schon manches Mal über Nächstenliebe gepredigt. Doch wahre Nächstenliebe kennt keine Missverhältnis zwischen Reden und Handeln. Man kann viel über Nächstenliebe reden, sie sogar anderen predigen, aber entscheidend ist, ob wir sie praktizieren.

Leistung ohne Gegenleistung

Als der Samariter den Mann am Straßenrand liegen sah, überlegte er nicht, wie viel er ihm wohl für seinen Liebesdienst in Rechnung stellen konnte. Der Mann war ausgeraubt worden – der Samariter musste damit rechnen, dass er ihm gar nichts erstatten konnte. In seinem halbtoten Zustand brachte er noch nicht einmal ein Wort des Dankes über die Lippen. Auch von anderer Seite war keine Anerkennung zu erwarten, denn wahrscheinlich schaute dem Samariter niemand zu, der ihm hinterher auf die Schulter geklopft hätte. Nächstenliebe ist nicht davon abhängig, ob sie dafür etwas zurückbekommt. Sie erwartet keine Reaktion. Weder Lob noch Lohn.

Innerlich bewegt

Der Anblick des halbtoten Mannes weckt das tiefe Mitgefühl des Samariters. In seinem Herzen regt sich etwas und setzt seine Hände in Bewegung. Die Tätigkeit der Nächstenliebe geht mit einem inneren Empfinden für die Situation des anderen einher. Es ist keine Wohltätigkeit, vielleicht um das Gewissen zu beruhigen, sondern tätig werdende Liebe, die auf wirkliches Mitgefühl zurückgeht.

Für andere verzichten

Um dem Zusammengeschlagenen zu helfen, musste der Samariter seine eigenen Interessen zurückstellen. Eigentlich war er „auf der Reise", aber er ist bereit, diese Reise zu unterbrechen. Das Tier, das ihn tragen sollte, trägt nun den Verletzten, und er läuft nebenher. Auch seine Habseligkeiten, Öl, Wein und Geld, setzt er für den Fremden ein. Die Liebe zum Nächsten ist bereit zum Verzicht. Sie verzichtet auf eigene Interessen und opfert Zeit, Bequemlichkeit und Vermögen, um anderen zu dienen.

Bereitschaft

Erstaunlicherweise hatte der Samariter alles dabei, was man für die Erstversorgung eines Verletzten benötigt: Öl zur besseren Wundheilung, Wein zum Desinfizieren sowie Verbandsmaterial, um die Blutung zu stillen und die offenen Wunden zu schützen. Leute, die von Liebe zum Nächsten geprägt sind, leben in einer Haltung der Hilfsbereitschaft. Sie rechnen damit, Bedürftigen zu begegnen. Sobald Not am Mann ist, springen sie ein. Das „Verbandsmaterial“ haben sie immer dabei.

Am Ball bleiben

Der Samariter belässt es nicht bei der ersten Hilfe. Er bringt den Verletzten in eine Herberge. Als er weiterziehen muss, vertraut er den Kranken dem Wirt an und verspricht wiederzukommen. Echte Nächstenliebe tut nicht nur das Allernotwendigste für den anderen, sondern überlegt, wie ihm am Besten und dauerhaft geholfen werden kann. Sie beschränkt sich nicht auf eine Einmalaktion und handelt dann nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie bleibt am Ball und beobachtet, ob das, was sie getan hat, wirklich ausreichend war.

Andere motivieren

Solange wie möglich kümmert sich der Samariter selbst um seinen Schützling: „Er trug Sorge für ihn." Doch dann muss er weiterreisen und bittet den Wirt: „Trage Sorge für ihn." Der Wirt sollte ihn weiter so gut versorgen, wie er selbst es getan hatte. Doch auf den Kosten für die Krankenpflege sollte der Wirt nicht sitzenbleiben. Bei seiner Rückkehr wollte der Samariter alles erstatten. Die Nächstenliebe kann andere motivieren, das gleiche wie sie selbst zu tun. Sie verlangt aber nicht von anderen dieselbe Opferbereitschaft („ich werde bezahlen"). Sie macht ihr eigenes Handeln nicht zum Maßstab für andere.

Kurz zusammengefasst

Wahre Nächstenliebe ...

... hilft jedem, egal wer es ist.

... erhebt nicht die Schuldfrage.

... zeigt sich durch rasches Handeln und nicht durch vieles Reden.

... erwartet keine Gegenleistung.

... handelt nie ohne innere Anteilnahme.

... stellt eigene Interessen zurück.

... ist stets bereit, aktiv zu werden.

... zeigt Ausdauer und macht keine halben Sachen.

... motiviert andere zur Liebe, ohne sich selbst zum Maßstab zu machen.

Tu du ebenso!

Wir kennen Menschen, die sehr von Nächstenliebe geprägt sind. Sie dürfen uns als Vorbild dienen. Das größte Vorbild ist der Herr Jesus selbst, von dem der Samariter ein Bild ist. Für uns lautet daher die Aufforderung: Tu du ebenso! Lebe, wie der Herr gelebt hat!