Zum Nachdenken

Straßenmission - Offene Türen auf der Straße

Bestimmte Viertel in den großen Städten, die sogenannte „Szene“, sind nicht ungefährlich und man möchte sie lieber meiden. Bei all dem Schmutz und moralischen Abgrund, die sich dort zeigen, kann man oft nur mit Kopfschütteln oder sogar Abscheu reagieren. Aber – ist das die einzig mögliche Reaktion, wenn man bedenkt, dass auch diese heruntergekommenen gestalten eben doch Geschöpfe Gottes sind?

Seit etwa einem Jahr fahren ein paar Brüder regelmäßig, in der Regel freitagabends oder samstags, in verschiedene Großstädte. Dort suchen sie Menschen auf, die am „Rand der Gesellschaft“ stehen, um ihnen die gute Botschaft vom Kreuz zu verkündigen.

„Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und bring die armen und Krüppel und Blinden und Lahmen hier herein ... und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Wege und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, damit mein Haus voll werde“ (Lk 14,21.23).

Von unserem Herrn lesen wir: „Und als er ausstieg, sah er eine große Volksmenge, und er wurde innerlich bewegt über sie, weil sie wie Schafe waren, die keinen Hirten haben. Und er fing an, sie vieles zu lehren.“ (Mk 6,34)

Ähnlich geht es diesen Brüdern: Kaum aus dem Zug ausgestiegen treffen sie auf Drogensüchtige, Dealer, Punker und Bettler aller Altersstufen. Sie sehen sehr bald, dass je nach Situation und Zustand der zum größten Teil jungen Leute verschiedene Hilfeleistungen dringend notwendig sind. Zunächst begegnet man ihnen misstrauisch und abweisend, dann abwartend, und nach häufigeren Besuchen ein wenig mit Erwartung. Dass sich jemand für diese elenden Menschen und ihre Probleme interessiert, ihnen Brot und Kuchen bringt und auch einmal einen Verband anlegt, lässt dann doch Vertrauen und Dankbarkeit entstehen.

Anlass zur Sucht

Was hat die Menschen in den Dreck der Drogen gebracht? Es fängt bei Eheproblemen, Arbeitslosigkeit, Firmeninsolvenz oder dem Verlust eines geliebten Menschen an. Andere haben ein völlig kaputtes Elternhaus mit häuslicher Gewalt hinter sich. Das Borderline-Syndrom (Fußnote1) oder andere psychische Störungen sind keine Seltenheit. Die Jüngeren brachte die Suche nach dem ultimativen Kick oder Gruppenzwang auf Partys zur Sucht nach Drogen.

Neben der starken Abhängigkeit von Heroin, Crack und nicht verschreibungspflichtigen Beruhigungsmitteln sind Hepatitis C und Aids keine Seltenheit. Das führt diese Menschen dahin, dass sie völlig verwahrlost, abgemagert, schwerkrank und ohne jedes Schamgefühl dahinvegetieren. In diesem Sumpf reden fast alle von der Sinnlosigkeit des Lebens, sehr viele suchen verzweifelt nach dem Sinn des Lebens und haben diese Suche schon fast aufgegeben. Letztendlich bleibt ihnen der Wunsch, so schnell wie möglich aus dem Leben zu scheiden.

Und doch: Die meisten sind bereit, der guten Botschaft zuzuhören! „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen, und ich werde euch ruhe geben.“ (Mt 11,28)

Führung des Herrn

Wenn die Brüder diesen Situationen oft völlig hilflos gegenüberstehen, ist dem Herrn doch alles möglich. Dies machen ein paar der Erlebnisse, die in wenigen Sätzen kurz beschrieben werden, sehr deutlich.

„In allem bedrängt, aber nicht eingeengt; keinen Ausweg sehend, aber nicht ohne Ausweg“ (2. Kor 4,8).

Unerwartete Begegnungen

Entmutigt von der Situation, die sie eines Tages vor Ort antrafen, beschlossen die Brüder, sofort wieder nach Hause zu fahren. Irgendwie erschien alles so sinnlos. Als der Entschluss gefasst war, kamen zwei Menschen aus der Szene auf sie zu. Einer schob den Anderen vor ihre Füße und sagte: „Hier sind zwei Christen, die kümmern sich um dich.“

Total überrascht standen sie vor einem 48-jährigen Drogenabhängigen, der sehr hungrig war. Auf dem Weg zu einem Imbiss erzählt er von einem Selbstmordversuch am Vorabend. Aber er hätte, im 15. Stock im Fenster sitzend, an seine Kindergärtnerin denken müssen, die ihm immer gesagt hätte, er müsse Jesus Christus annehmen. Diese Frau hätte einen Frieden ausgestrahlt, den er nie gefunden habe. Er wäre dann zurück in seine Wohnung gegangen.

Was für eine Begegnung ohne eigenes Zutun! Mehrmals hörte er an diesem Abend die Botschaft der Gnade.

Bewusste Suche nach Jesus Christus

Inmitten von einigem Unrat und gebrauchten Spritzen sitzt eine junge Frau. Die Brüder setzen sich zu ihr und fragen, ob sie etwas für sie tun können. „Ja, könnt ihr mir sagen, wie ich Christ werden kann? Mit meiner Kindstaufe bin ich nicht zufrieden, aber ich denke noch daran. Die Fotos davon sind meine einzige Erinnerung an daheim.“

Sie hatte dann den Wunsch, das Gespräch außerhalb der „Szene“ fortzuführen. Während sie ihr Herz weiter ausschüttete, schlief sie immer wieder kurz ein, sodass das Gespräch nicht weitergeführt werden konnte. Später konnte der Kontakt telefonisch für einige Zeit aufrechterhalten werden. Leider scheint sie dann jedoch wieder in „falsche Hände“ geraten zu sein, sodass der Kontakt ganz abgebrochen ist.

Gespräche über das Evangelium bleiben in Erinnerung

Eine süchtige Frau, die schon 30 Jahre auf der Straße lebt und Heroin konsumiert, ist gerade dabei, sich eine Spritze zu setzen. Die Brüder dürfen ihr das Evangelium sagen, während sie ihr Heroin aufkocht. Die Frau redet völlig durcheinander. Enttäuscht zogen die Missionare weiter.

Drei Wochen später sitzt die Frau wieder fragen, ob sie sich an die kürzliche Begegnung noch erinnern könne. „Ja sicher, wir haben uns doch über Jesus Christus unterhalten“, war die Antwort.

Festhalten am Glauben

Ein drogenabhängiger Mann bittet um Essen. Noch nie hatten die Brüder einen so schmutzigen Menschen gesehen. Bei einem warmen Essen bot sich die Gelegenheit, ihn auf sein Seelenheil anzusprechen. Es stellte sich heraus, dass er genau wusste, warum der Herr auf diese Welt gekommen ist und dass Er sein Leben für Sünder gegeben hat. Es war nicht herauszubekommen, ob er das Heil persönlich ergriffen hat.

Drei Wochen später steht der Mann mit einem ganz dicken Bauch am Bahnhof. Nachdem man erst vermutete, dass er Diebesgut unter seinem Hemd versteckt hätte, stellte sich bald heraus, dass ihm ein Tumor die Bauchdecke durchgedrückt hatte. Zur Überraschung der Brüder zog er ein Holzkreuz aus der Tasche und sagte fröhlich: „Hieran halte ich fest.“

Ein Zeugnis in der Szene

Seit einem Jahr treffen die Brüder auf solche oder ähnliche Situationen. Nie lässt sich etwas planen, immer ist aus menschlicher Sicht alles hoffnungslos – aber der Herr hat ermuntert, Kraft geschenkt und bislang alle bewahrt. Es gab auch immer genug zu tun.

Oft sind die Straßenmissionare von der Polizei und von Menschen anderer Gesellschaftsschichten beobachtet worden. Die Frage, was sie zu dieser Arbeit treibt, ergab so manches Gespräch, und angebotene Literatur wurde fast immer angenommen. Gerne erinnern sich die Brüder an ein Gespräch mit der Polizei anlässlich einer Groß-Demo, als ein Polizist fragte: „Darf ich auch einen Prospekt von Ihnen haben?“ Ablehnung erlebten die Diener des Herrn fast nie.

Dienst im Werk des Herrn

Unser Herr hat für jeden von uns Aufgaben. Manche Aufgaben sind sich ähnlich, und andere Aufgaben sind ganz anders. Haben wir ein offenes Auge für die Aufgabe, die der Herr uns ganz persönlich geben möchte? „Sieh auf den Dienst, den du im Herrn empfangen hast, dass du ihn erfüllst.“ (Kol 4,17)

Dieser Straßenmissionsdienst macht deutlich, dass es auch heute noch in Deutschland offene Türen für das Evangelium gibt. Es war ein langer Weg, um das Vertrauen der Leute zu gewinnen, so dass sie jetzt schon winken, wenn sie die Brüder kommen sehen. Sie wissen, dass Hilfe kommt – und nicht die Polizei. Für dieses Vertrauen und die Gefahren, die dieser Dienst nach wie vor mit sich bringt, bitten die Brüder um die Gebete der Leser.

Lasst uns immer bewusst bleiben, dass es nicht auf die Art und „Größe“ eines Dienstes ankommt. Unser Herr beurteilt, wie treu wir die Aufgabe getan haben, die Er uns gegeben hat. Deshalb geht es hier auch nicht um die Brüder, die diese oder eine andere Aufgabe tun, sondern um Treue im Dienst!

„Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen.“ (Eph 2,10)

Paulus schreibt in 1. Korinther 3,7-8: „ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, Gott aber hat das Wachstum gegeben. Also ist weder der pflanzt etwas, noch der begießt, sondern Gott, der das Wachstum gibt.“

So ist es das Anliegen vieler Arbeiter im Werk des Herrn, dass wir für die Seelen derer beten, die den Herrn Jesus noch nicht als ihren Retter angenommen haben, und dass es weiterhin „offene Türen“ für das Evangelium gibt.