Bibelstudium

Heilsgewissheit

Pro/Contra Heilsgewissheit

Teil 1: Auslegen im Textzusammenhan

 Bist du auch schon einem von neuem geborenen Christen begegnet, der sich ernsthaft fragt, ob er doch noch verloren gehen kann? Oder bist du vielleicht selbst nicht überzeugt davon, dass dein Heil ewig sicher ist? Wer sich mit diesem Thema beschäftigt und bei anderen Christen Hilfe sucht, stößt schnell auf widersprüchliche Meinungen. Wie kann man in dieser Frage Klarheit bekommen?

Überzeugte Christen kommen bei der Frage der Unverlierbarkeit des Heils leider zu unterschiedlichen Ergebnissen. Verschiedene Autoren haben in FMN schon manches Mal dieses Thema erörtert. Die inhaltlichen Fragen (d.h. die Lehre der Bibel zu diesem Thema und die Auslegung der „strittigen“ Stellen) möchte ich nicht umfassend darstellen; für eine vertiefte Beschäftigung verweise ich gern auf die dazu erschienenen Aufsätze 1 und auf weiterführende Literatur. 2

Diese kleine Serie hat ein anderes Ziel: Sie soll Hilfestellung geben für die Art und Weise der Diskussion und Argumentation. Es geht darum, typische Argumentationsmuster offen zu legen, um in der eigenen Beschäftigung mit diesem Thema, aber auch in der Diskussion mit anderen, die „Spreu“ vom „Weizen“ zu trennen. Ich möchte deshalb einige Auslegungsgrundsätze der Bibel vorstellen. Diese sind allgemein zum Verständnis der Bibel nützlich, und sie können helfen, auch das Thema der Heilsgewissheit „in den Griff zu bekommen“. Diesen Auslegungsgrundsätzen (dem „Weizen“) stelle ich als Kontrast einige typische Argumentationsweisen gegenüber, die nicht weiterhelfen (die „Spreu“).

Der Weizen: Was weiterhilft

Die Grundsätze oder „Werkzeuge“ der Schriftauslegung, die ganz allgemein bei jeder Auslegung einer Bibelstelle gelten, helfen auch zum Verständnis schwieriger Bibelstellen in Bezug auf das ewige Heil. Einige von ihnen sollen in vier Folgen anhand von kleinen Beispielen aus dem Themenbereich der Heilsgewissheit vorgestellt werden:

  1. Bibelstellen im Zusammenhang auslegen
  2. Unterscheiden, was die Bibel unterscheidet
  3. Bilder der Bibel richtig verstehen
  4. Grundsätze der Bibel richtig anwenden

Diese Werkzeuge sind nötig, um die Schrift richtig auszulegen. Ein Christ liest die Bibel, um geistlich zu wachsen, dem Herrn Jesus ähnlicher zu werden und Gott in seinem Leben zu verherrlichen. Die Auslegung eines Bibeltextes ist dafür ein erster und notwendiger Schritt: Sie ist notwendig, um den Text zu verstehen, dann seine Bedeutung für uns heute zu ermitteln und ihn schließlich auf uns anzuwenden. Die Auslegung dient dazu, insbesondere folgende Fragen zu beantworten:

  • Wer ist angesprochen, um wen geht es (historische Zusammenhänge, nationale Bezüge, Haushaltungen/Heilszeiten, Prophetie...)?
  • Was ist die Aussage des Textes, d.h., was bedeuten die Begriffe, welche Bilder werden verwendet, auf welche Grundsätze wird sich gestützt, welche Zusammenhänge bestehen zu anderen Schriftstellen?

Die vier Werkzeuge (es gibt noch mehr) dienen dazu, eine gute Antwort auf die beiden vorgestellten (und weitere) „Fragenpools“ zu geben.

Spreu I „Die (andere) Lehre ist nur Tradition“

Wie wahr – ein Gutteil dessen, was wir glauben, haben wir von anderen Glaubenden gelernt. Unser vorhandenes Wissen wird von den Menschen, mit denen wir Umgang haben, insb. unserer jeweiligen Versammlung (Gemeinde, Kirche), aber auch von unseren Neigungen und Festlegungen geprägt. Deshalb ist die Gefahr tatsächlich groß, dass wir an unserer Auffassung nur deshalb festhalten, weil sie für uns zur Tradition geworden ist, von der wir nicht mehr lassen wollen.

Die Gefahr, nur einer Tradition zu folgen und nicht (mehr) bereit zu sein, nach dem Vorbild der Beröer zu prüfen, „ob dies sich so verhielte“ (Apg 17,11), besteht für jeden; in der Meinungsverschiedenheit bzgl. der Heilsgewissheit betrifft sie also beide Seiten: Egal ob richtig oder falsch – wenn wir eine Auffassung vertreten, die für uns nur Tradition ist und die wir nicht anhand der Bibel begründen können, wird diese Auffassung entweder angreifbar (wir werden „hin- und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre“, Eph 4,14), oder sie wird zur bloßen Form, die ihren Inhalt und damit ihre gestaltende und verändernde Kraft verliert (vgl. 2. Tim 3,5). Aber so wichtig es auch ist, dass ich auf der Hut sein muss vor (bloßer) Tradition in meinem Leben – mit dem Vorwurf der „Tradition“ werde ich eine „Argumentationsschlacht“ nicht gewinnen. Es bleibt doch die Frage: Was ist die Wahrheit?

Weizen I Bibelstellen im Zusammenhang auslegen

Ein Grundsatz der Bibelauslegung, den Gottes Wort selbst vorstellt, ist, dass „keine Weissagung der Schrift von eigener Auslegung ist“ (2. Pet 1,20). Zwar ist jeder Bibelvers und jedes Wort von Gott inspiriert (Mt 22,31; 1. Kor 2,13), und es kommt sogar auf jedes einzelne Wort an (s. z.B. Gal 3,16). Aber jeder Bibelvers – auch wenn er noch so klar erscheint – muss im Zusammenhang ausgelegt werden. Das betrifft nicht nur den Abschnitt, das Kapitel und das ganze Bibelbuch, in denen der Vers sich befindet, sondern auch den Zusammenhang mit anderen Passagen aus anderen Bibelbüchern, die dasselbe oder ähnliche Themen behandeln.

Oft ist es nicht einfach, den Zusammenhang der Bibelstellen zu verstehen. Manchmal widersprechen sich Bibelstellen auf den ersten Blick.

Die weiteren Hinweise in den beiden nächsten Abschnitten („Unterscheiden“, „Bilder“ und „Grundsätze“) können dann eine Hilfe sein. Ein Bibelausleger gibt zwei ganz allgemeine, nützliche Hinweise 3 :

  • Nimm niemals eine schwer verständliche Aussage, um eine klare Aussage der Bibel zu widerlegen. ... 
  • Nimm keine bedingte Aussage („wenn …“), um eine unbedingte Aussage der Bibel („wahrlich …“) zu widerlegen.

In Bezug auf das Thema „Heilsgewissheit“ gibt es schwierige Bibelstellen etwa in Hebräer 6, die man so verstehen könnte, dass ein Gläubiger verloren gehen kann. Hier ist es von zentraler Bedeutung, dass man diese Bibelstellen in ihrem Zusammenhang liest. Der Zusammenhang beantwortet die ganz wichtige Frage, von wem die Schriftstelle handelt.

Beispiel: Hebräer 6,4-9 4

An wen ist der Brief gerichtet? Der Hebräerbrief ist an jüdischstämmige Menschen („Hebräer“) gerichtet, die sich dem christlichen Weg angeschlossen hatten und dann seitens ihrer Landsleute unter Druck gerieten (Heb 10,32 ff.).

Was weiß man noch über die Adressaten und ihr Umfeld? Die Situation und der Konflikt, in denen sich die Hebräer befanden, lässt sich am ehesten anhand der Apostelgeschichte nachvollziehen: Zu Beginn wurden 3.000 „Männer von Judäa“ und Bewohner Jerusalems „von diesem verkehrten Geschlecht“ gerettet, indem sie getauft wurden (Apg 2,14.41). Dieser „neue Weg“ stellte einerseits etwas Neues dar, das in scharfem Kontrast zum Judentum stand; andererseits wies die Glaubenspraxis der ersten Christen zunächst äußerlich noch manche Nähe zum Judentum auf: Man besuchte die Synagoge und den Tempel, hielt das Gesetz bzw. Teile davon und lebte im jüdischen „Stil“.

Mehr und mehr wurde deutlich – durch die entstehenden Schriften des Neuen Testaments, den apostolischen und prophetischen Dienst sowie solche Offenbarungen, die Petrus bekam (Apg 10+11) –, dass das Judentum und das Christentum nicht miteinander vereinbar waren. In den weiteren Kapiteln der Apostelgeschichte kann man auch nachlesen, dass die Botschaft vom Kreuz vielfach den Widerstand der Juden erregte, die ja auch (durch die Römer) Christus ans Kreuz gebracht hatten; wie Er, sollten sich auch die Hebräer außerhalb des jüdischen Lagers (d.h. des jüdischen religiösen Systems) begeben (Heb 13,12.13). In diese Entwicklung hinein wurde der Hebräerbrief geschrieben.

Was ist das Ziel des Briefes? Der Schreiber des Briefes möchte die Leser vom jüdischen, an irdischen Formen haftenden System lösen und auf dem christlichen, auf den Himmel orientierten Weg voranbringen. Er setzt dazu zwei Instrumente ein: Der ganze Hebräer-Brief „atmet“ eine Atmosphäre der Abkehr von dem jüdischirdischen System und der Hinwendung zu dem christlich-geistlichen, dem „Besseren“ (13-mal in diesem Brief). Er ermuntert die Adressaten im Sinne eines „Lasst uns“ (10-mal), den christlichen Weg zu gehen und den Glauben an Jesus Christus auszuleben. Neben diesem anspornenden Vorstellen des Besseren enthält der Brief auch deutliche Warnungen vor einem bloß äußerlichen Übernehmen des Christentums.

Wie wird im Hebräerbrief die Stellung des Christen dargestellt? Das Volk Gottes befindet sich in der „Welt-Wüste“ und ist auf dem Weg zur ewigen Ruhe (Kap. 3; 4; 12). Einige sind zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr dabei. Sie sind vom Weg abgekommen. Jeder ist gefordert, die zur Verfügung stehenden Ressourcen in Anspruch zu nehmen, um das Ziel auch wirklich zu erreichen.

Gibt es im Hebräerbrief ähnliche Warnungen wie in Kapitel 6 Vers 4-9? An vier Stellen warnt der Schreiber die Hebräer: Sie sollen die große Errettung nicht vernachlässigen (2,1-3); nicht im Unglauben von dem lebendigen Gott abfallen 5 (3,12; 4,1.11); nicht zum Gesetz und den äußerlichen Riten zurückfallen (6,4-9) und nicht willentlich sündigen, nachdem sie den Weg zum Heil erkannt hatten (10,26).

Was ist der direkte Zusammenhang von Hebräer 6,4-9? Der Schreiber fordert die Hebräer in 6,1 auf, das Alte zu verlassen und fortzufahren zum vollen Wuchs. Täten sie das nicht und würden sie wieder zum Judentum zurückkehren, dann wäre das eine solche Verachtung der Gnade Gottes in der Person seines Sohnes Jesus Christus, dass es der (ja gerade von den Juden veranlassten) Kreuzigung gleichkäme – ohne die Möglichkeit einer Buße und Vergebung. 

Was ist die Aussage von Hebräer 6,4-9? Man kann von Gottes Licht erleuchtet worden sein (ohne selbst Licht zu sein, wie ein von neuem Geborener; vgl. Mt 5,14); man kann Gottes Segen und sein Wort geschmeckt haben (ohne es zu essen und innerlich aufzunehmen, vgl. Ps 119,103; Joh 6,48 ff.); man kann sogar etwas von dem Wirken des Geistes Gottes erlebt haben (wie Saul, der ein Gottloser war, 1.Sam 10) und sich an der Aussicht einer Zukunft bei Gott erfreut haben – all das ist durch Gott hervorgebracht worden. Wenn es aber nicht zu einer echten Umkehr zu Gott – zu einer Bekehrung – geführt hat, hat der „Erleuchtete“ keine wirkliche und damit endgültige Heilsstellung erreicht. Das ist eine ernste Warnung an die Juden, die das Christentum „geschmeckt“ hatten, mit dieser Gnade nicht zu „spielen“, sondern Gottes Heilsangebot ernst zu nehmen und anzunehmen.

Spreu II Pseudo-Grundtext-Argumente

Gerne zieht man in lehrmäßigen Auseinandersetzungen den Grundtext heran; das Neue Testament ist ursprünglich in der griechischen Sprache verfasst worden. Das ist schon vom Ausgangspunkt her nicht ungefährlich, weil es voraussetzt, dass man selbst des Grundtextes mächtig ist; und fairerweise sollte auch der Gesprächspartner die Grundtext-Argumente zumindest nachvollziehen können. Die Mühe eigener Überprüfung (z.B. mit einer Interlinear-Übersetzung oder einem entsprechenden Wörterbuch) sollte sich deshalb auch jeder machen, der sich mit GrundtextArgumenten auseinandersetzen will oder muss.

Problematisch ist dabei oft die Art der verwendeten GrundtextArgumente: Am Beispiel von Hebräer 6 wird mitunter argumentiert, dass genau derselbe Begriff, der für einen Menschen verwandt wird, der verloren geht (er war „erleuchtet“, Heb 6,4), auch für Gläubige verwandt wird. Deshalb müsse es in Hebräer 6 auch um Gläubige gehen. Dieses Argument ist nur dann überzeugend, wenn diese Verwendung für Gläubige auch zutrifft (das ist allerdings der Fall, z.B. Heb 10,32; 2. Kor 4,6), und wenn es – zweitens auch keine andere, abweichende Verwendung in Bezug auf Ungläubige gibt (in diesem Beispiel gibt es sie aber, s. Joh 1,9). Eine rein begriffliche Argumentation ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht schon deshalb problematisch, weil derselbe Begriff in unterschiedlichem Zusammenhang auch unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Es geht dann nicht an, sich gerade diejenige „auszusuchen“, die die eigene Meinung stützt.

In diesem Beitrag ging es um die Auslegungswerkzeuge der Textauslegung im Zusammenhang; weiteren Fragen zu Hebräer 6,4-9 wird in der Fragenbeantwortung in diesem Heft nachgegangen.

  • Im nächsten Heft wird der Auslegungsgrundsatz des „Unterscheidens“ behandelt. Die Bibel enthält beispielsweise unterschiedliche Aussagen über Gläubige und Ungläubige, und sieunterscheidet zwischen Stellung und Praxis. Diese Unterschiede sind auch für das Thema der Heilsgewissheit wichtig.

Thorsten Attendorn

 

1 Z. B. W. Mücher, FMN 1/2001, S. 14 ff.; G. Setzer, FMN 7/2006, S. 4 ff. u. FMN 8/2006, S. 23 ff.; T. Attendorn, FMN 8/2008, S. 25 ff.

2 Z. B. A. Remmers, Kann ein Christ verloren gehen? (CSV, 2006); G. Cutting, Sicherheit, Gewissheit und Genuss (EPV, o.D.); M. Billeter, Auf festem Grund (Beröa, 2006).

3 C. I. Scofield, Rightly Dividing the Word of Truth, Loizeaux Brothers 1896/1986, S. 60; als Beispiel gibt Scofield an: Man kann nicht Hebräer 6,6 heranziehen, um Johannes 5,24 zu widerlegen.

4 Heb 6,4-9: Denn es ist unmöglich, diejenigen, die einmal erleuchtet worden sind und die himmlische Gabe geschmeckt haben und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind und das gute Wort Gottes und die Wunderwerke des zukünftigen Zeitalters geschmeckt haben und abgefallen sind, wieder zur Buße zu erneuern, da sie den Sohn Gottes für sich selbst kreuzigen und ihn zur Schau stellen. Denn das Land, das den häufig darauf kommenden Regen trinkt und nützliches Kraut hervorbringt für diejenigen, um derentwillen es auch bebaut wird, empfängt Segen von Gott; wenn es aber Dornen und Disteln hervorbringt, so ist es unbewährt und dem Fluch nahe, und sein Ende ist die Verbrennung. Wir sind aber in Bezug auf euch, Geliebte, von besseren und mit der Errettung verbundenen Dingen überzeugt, wenn wir auch so reden.

5 S. zum Begriff des Abfallens ausf. die Fragenbeantwortung in FMN 8/2008, S. 25 ff.