Wer ist mein Nächster
Wer ist mein Nächster?
Christen sollen Gott und ihren Nächsten lieben. Auch für Christen gilt dieses „königliche Gebot“ der Nächstenliebe (Jak 2,8; Gal 5,14; vgl. Röm 13,10). Wer es befolgen will, steht vor der Frage: „Wer ist denn mein Nächster“?
Die Frage „Wer ist denn mein Nächster?“ stellte dem Herrn Jesus damals schon ein Gesetzgelehrter, um sich Ihm gegenüber zu rechtfertigen. Er hatte Ihm die Prüffrage gestellt, was er tun müsste, um ewiges Leben zu bekommen. Der Herr verwies ihn auf das Doppelgebot der Liebe und fügte hinzu: „Tu dies, und du wirst leben“ (Lk 10,28). Das war allerdings nur ein theoretischer Weg zum Leben, denn kein Mensch war in der Lage, das komplett zu befolgen. Zum ewigen Leben würde man nur kommen, wenn man auf diesem Weg einsah, wie sündig man war, und dann im Glauben den Erretter annahm.
Das spürte offenbar auch der Fragesteller und wollte sich mit der Gegenfrage rechtfertigen: „Wer ist denn mein Nächster?“ Der Herr beantwortete diese Frage mit der Erzählung vom „barmherzigen Samariter“ (Lk 10,30 ff.). Wir haben dazu in der Mitte dieses Hefts eine Grafik von Christoph vom Dorp abgedruckt. Sie vergleicht die Geschichte mit dem Weg eines Menschen, der sich in der Sünde befindet, von dem Herrn Jesus errettet wird und in seine Versammlung gebracht wird. Als Ergänzung dazu möchten wir in diesem Beitrag über die Kernaussage dieser Erzählung nachdenken: die Nächstenliebe.
1. Was ist Nächstenliebe?
Nächstenliebe
Nächstenliebe ist Liebe, eine Form von Liebe. Liebe kommt von Gott, der Liebe ist. Er hat in Liebe seinen Sohn für uns gegeben und seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen, damit wir andere von Herzen lieben können. Diese Liebe braucht jeder Mensch.
Der Priester, der Levit und der Samariter, sie alle „kamen“ auf ihrem Weg an dem Halbtoten vorbei, sie alle „sahen“ ihn. Der entscheidende Unterschied war, dass der Samariter „innerlich bewegt“ wurde (V. 33). Nächstenliebe beinhaltet ein Mitempfinden, innerliche Bewegung. Liebe zu den Verlorenen, zu den in die Macht der Sünde Gefallenen kennzeichnete den Herrn Jesus. Sie soll auch uns kennzeichnen.
Nächstenliebe gibt Gutes
Liebe zeigt sich darin, dass sie gibt. Ich gebe das Gute. Das kann das Beste sein, was ich habe – die Gute Botschaft. Das kann aber auch vieles andere sein, was für meinen Nächsten gut ist in der Situation, in der er ist. Ich liebe meinen Nächsten, indem ich ihm gebe – Freundlichkeit, Zeit, Zuwendung, Geld, Informationen, Freude, praktische Hilfe, geistliche Hilfe. Ich halte nicht zurück, ich warte nicht, bis er kommt, ich gehe hin und gebe. Ein Halbtoter bittet und fragt nicht – seine Existenz und sein Zustand ist ein einziger Hilferuf. Trifft das nicht auf jeden Menschen zu, mit dem wir zu tun haben?
Bei dem Samariter blieb es nicht bei innerlicher Bewegung, es kam Aktivität hinzu: Er
o trat hinzu (suchte Nähe, nahm Kontakt auf );
o verband seine Wunden (identifizierte und behandelte das, was beschädigt war, gefährlich war und schmerzte);
o goss Öl und Wein darauf (er tat ihm wohl, pflegte und reinigte die Wunden);
o setzte ihn auf sein eigenes Tier (als der Halbtote noch nicht selbst ge- hen konnte, setzte er sein Eigentum ein, um ihm weiterzuhelfen und nahm dafür eigene Unbequemlichkeit und die Verzögerung seiner Reise in Kauf );
o führte ihn in eine Herberge (er begnügte sich nicht mit Erster Hilfe, sondern stellte die dauerhafte Heilung und Betreuung sicher);
o trug Sorge für ihn (Sorge ist eine Empfindung echten Interesses für den anderen und sein Wohlergehen; sie wird erkennbar in guten Taten) und
o gab dem Wirt zwei Denare samt der Zusage, alles Nötige zu bezahlen (es fehlte auch für die Zukunft an nichts, er stahl sich nicht aus der Verantwortung, die Fürsorge ging auf eigene Kosten).
Nächstenliebe ist barmherzig
Nächstenliebe ist barmherzig. Da ist einer in einem elenden Zustand, und ein anderer gibt ihm Gutes, ohne nach Anspruch oder Verdienst zu fragen. Niemand hat einen Anspruch auf Nächstenliebe – aber Gott hat den Anspruch an mich, dass ich Nächstenliebe übe. Niemand muss sich meine Nächstenliebe verdienen, auch nicht unterschreiben, dass er sich meiner Barmherzigkeit würdig erweisen wird. Das musste ich dem Herrn gegenüber auch nicht. Er sah mein Elend, Er erbarmte sich und half mir. Deshalb bin ich auch nicht geizig, sondern gebe reichlich Gutes.
Der halbtote, ausgeraubte Reisende hatte nichts zu bieten. Er war armselig und bedürftig. Der Samariter half ihm einfach, weil der andere Hilfe brauchte und er selbst sie geben konnte – und sie aus Nächstenliebe geben wollte.
Nächstenliebe ist für Gott
Was man aus Nächstenliebe tut, das sind echte „gute Werke“. Gute Werke, aus Glauben und Liebe getan, bringen nicht in den Himmel, aber sie verherrlichen Gott. Wer echte Nächstenliebe übt, d.h., wer auf die wirklichen Bedürfnisse seines Nächsten eingeht und ihm barmherzig hilft, tut das für Gott, nicht um Menschen zu imponieren. Der Herr warnt davor, beim „Wohltätigkeit üben“ vor sich herposaunen zu lassen, um von den Menschen geehrt zu werden. Wer das tut (oder allgemein: Wer Nächsten- liebe übt, um Menschen zu gefallen), wird zwar scheinbar belohnt, indem Menschen ihm applaudieren – aber von Gott bekommt er keinen Lohn (Mt 6,2–4).
Der Samariter bekam offenbar keine Anerkennung für seine Hilfeleistung. Vielleicht stand er sogar schlecht da gegenüber dem Priester und Leviten, denn die hatten ja sicher eine Rechtfertigung dafür, dass sie vorübergegangen waren. Wie konnte sich dieser Samariter nur mit diesem gefallenen Menschen abgeben?! Aber der Lohn kommt von Gott: In seiner Erzählung gibt ihm der Herr seine volle Anerkennung.
2. Wer ist mein Nächster?
Eine überraschende Antwort
Die Antwort am Ende der Erzählung ist überraschend. Nach dem Erzählten hätte jeder gedacht: Der Priester, der Levit, der Samariter – sie alle haben einen Nächsten, und das ist „der gewisse Mensch“, das halbtote Opfer der Räuber. Diese Antwort ist sicher richtig, aber der Herr dreht mit seiner Frage die
Belehrung um: „Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen von dem, der unter die Räuber gefallen war?“ Der Blick wird auf den Halbtoten gelenkt; die Frage ist: Wer war dessen Nächster? Der Gesetzgelehrte antwortete: „Der die Barmherzigkeit an ihm tat“. Darauf antwortete Jesus: „Geh hin und tu du ebenso“ (V. 36.37).
Welche Lektion steckt darin? Die Fragestellung des Gesetzgelehrten: „Wer ist mein Nächster?“ lenkt die Aufmerksamkeit auf den, dem ich Liebe geben soll – welche Voraussetzungen muss er erfüllen? Das ist ein gesetzlicher Ansatz. Darum geht es eben nicht. Es geht darum: Habe ich von dem Herrn Jesus Liebe gelernt, als Er sich über mich erbarmt hat? Wenn das der Fall ist, werde ich mich nicht mit der Frage aufhalten, ob der hilfsbedürftige Mensch, dem ich begegne, denn nun mein Nächster ist. Dann werde ich nach dem Vorbild des Herrn Jesus tätige Liebe üben an dem, der sie braucht – und das ist jeder Mensch, den Gott mir in den Weg sendet.
Ob ich will oder nicht, ich habe eine Beziehung zu meinem Nächsten. Wenn Gott mir jemanden in den Weg sendet (sei das ein Schul- oder Arbeitskollege, ein Nachbar oder entfernter Verwandter, ein Büchertisch-Kontakt oder ein Bettler auf der Straße) dann hat das einen Sinn, dann hat Gott ein Ziel damit. Es entsteht eine (vielleicht lose, flüchtige) Beziehung, und ich bin gefragt, wie ich damit umgehe. Der Herr setzt voraus, dass Nächste einander helfen. Er geht von gegenseitiger Solidarität, von gelebter Nächstenliebe aus. Möchte ich meinem Nächsten ein Nächster sein? Das bin ich dann, wenn ich Barmherzigkeit an ihm übe.
Womit muss ich rechnen, wenn Gott mir meinen „Nächsten“ in den Weg sendet?
Mein Nächster braucht Hilfe
Ich kann davon ausgehen, dass mein Nächster Hilfe braucht. Das ist die typische Situation eines Menschen ohne Gott. Letztlich kann die Hilfe nur von Gott kommen und besteht in der Vergebung der Sünden.
Auf dem Weg dahin kann es viele andere Bedürfnisse geben, bei denen ich helfen kann. Die Sünde, in der ein Ungläubiger lebt, wird Spuren in seinem Inneren, vielleicht auch Äußeren hinterlassen. Sie kann Beziehungen zerstören, Angst machen, Hoffnung nehmen, den Charakter verderben, in Abhängigkeit führen usw. Überall da ist Hilfe nötig, vielleicht durch Gespräche, vielleicht durch praktische Hilfe, usw.
Der Herr kann zeigen, wo ich anknüpfen kann, um meinen Nächsten zu dem „ultimativen“ Helfer zu bringen: zu dem Erretter Jesus Christus. Ich werde wohltuendes Öl und reinigenden Wein brauchen – und dazu Weisheit, beides im richtigen Maß und an der richtigen Stelle einzusetzen. Ich werde mein Eigentum einsetzen müssen – das ich ohnehin „nur“ für Gott verwalte. Ich werde nicht auf den kurzzeitigen Erfolg setzen, sondern nachhaltig „Sorge tragen“ für eine gute und gesunde Entwicklung des Nächsten. Das ist meine Verantwortung – Gott wird in seiner Gnade wirken.
Ich möchte für meinen Nächsten ein Ziel vor Augen haben: seine Heilung, seine Ankunft in der „Herberge“. Aber ich möchte ihn nicht zu diesem Ziel zwingen, sondern den Weg und das Tempo gehen, das der Herr für ihn hat. Überhaupt möchte ich ganz genau das tun, was der Herr mir sagt. Ob es kleine oder große Schritte sind, ob unangenehme oder erfreuliche Schritte – ich will sie gehen.
Mein Nächster ist in erster Linie „Mensch“ und nicht „Mitbruder“
Der Nächste, den ich lieben soll, ist nicht unbedingt ein Gläubiger. Ob er das ist, werde ich kaum auf die Schnelle feststellen können. Auch den Gläubigen soll ich lieben, aber das ist etwas anderes, das ist mehr, das ist Bruderliebe. Die Nächstenliebe ist die Liebe eines Gläubigen zu jedem einzelnen Menschen, den Gott ihm in den Weg sendet, unabhängig davon, ob er an Gott glaubt oder nicht. Die Welt soll ich nicht lieben (1. Joh 2,15), aber den Menschen in der Welt soll ich lieben. Ich soll das Gute üben gegenüber allen – zwar am meisten gegenüber den „Hausgenossen des Glaubens“ (Gal 6,10), aber eben nicht nur an diesen – mein Geld, meine Zuwendung und Hilfe ist nicht nur für Gläubige da.
Mein Nächster kann unangenehm sein
Mein Nächster kann auch unange- nehm sein. Dem Priester und dem Levit in der Erzählung vom „barmherzigen Samariter“ war es offensichtlich unan- genehm, dem Mann helfen zu sollen. Er war übel zugerichtet, schmutzig, blutig. Es war auch gefährlich – wer weiß, ob die Wegelagerer noch da wa- ren? Und es war irgendwie auch unter ihrem Niveau: Ihr Dienst war im Tem- pel, sie hatten geistliche Aufgaben, trugen feine, „heilige“ Kleidung und wollten sich nicht mit so jemandem die Finger schmutzig machen.
Nächstenliebe ist keine „natürliche“ Liebe. Sie geht mir gegen den Strich – meinem Egoismus, meinem Hochmut, meinem Geiz, meiner Bequemlichkeit. Deshalb finde ich viele Einwände: Der Nachbar macht nicht den Eindruck, am Evangelium interessiert zu sein – wieso sollte ich mich dann mit seiner Trennungsgeschichte belasten? Die Klassenkollegin hat bislang nicht den Kontakt gesucht – wieso sollte ich ihr jetzt mit den Hausaufgaben helfen? Der Bettler versäuft das Geld sowieso – wieso sollte ich ihm ein paar Cent in die Mütze legen?1 Noch einmal: Nächstenliebe muss man sich nicht verdienen, man muss nicht würdig sein. Es ist Barmherzigkeit, die auf Hilfsbedürftigkeit trifft; eine Beziehung der Liebe, und Liebe gibt Gutes. Ich möchte unterscheiden zwischen meinem Nächsten – einem Sünder, den Gott liebt und den ich auch lieben möchte – und seiner Sünde, die Gott hasst und die ich auch hassen möchte. Ich möchte, da ich von Gott geheiligt bin, auch heilig sein und bleiben im Umgang mit Sündern. Aber ich möchte nicht„zu heilig“ sein, um mit ihnen Kontakt aufzunehmen, echtes Interesse zu zeigen und zu helfen – aus Liebe.
Mein Nächster - so war ich
Nächstenliebe ist Barmherzigkeit, ist Erbarmen über einen Hilfsbedürftigen. Sie ist aber nicht herablassend. Es ist eine Beziehung zwischen zwei Nächsten „auf Augenhöhe“. Wie der Elende, Zerschlagene, Hilfsbedürftige war ich auch, und es ist nicht mein Verdienst, dass ich jetzt in der Lage bin, zu helfen. Mein Nächster darf meine Liebe spüren, wie ich es mit dem Herrn erlebt habe, dem echten „barmherzigen Samariter“.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner gan- zen Kraft und mit deinem ganzen Verstand, und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Lukas 10,27
1 Gegen das Almosen Geben für einen Bettler gibt es man- che Einwände: Er hat sein Schicksal selbst verschuldet, könnte genügend Hilfe vom Staat bekommen, wird das Geld in Alkohol oder Drogen investieren usw. Man sollte einmal darüber nachdenken: Sind das nicht Unterstellun- gen zu seinem Nachteil? Ich könnte das überprüfen, z.B. indem ich ihn dazu befrage. Der Herr Jesus sagt: „Gib dem, der dich bittet“ (Mt 5,42). Gibt es nicht bessere Alternativen, als einfach vorbeizugehen? Wie wäre es z.B., ein geeignetes Traktat zu geben und eine Münze dabei zu tun? Oder Natu- ralien? Ich möchte keinen jungen Leser unter Druck setzen, sein ganzes Taschengeld an Bettler zu spenden – aber zum Nachdenken vor dem Herrn anregen, was Nächstenliebe konkret bedeutet.
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Viele Artikel zu unterschiedlichen Themen - aber immer mit einem Bezug zur Bibel.
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