Bibelstudium

Der Prophet Haggai - Baut das Haus

Wir schließen unsere Serie zu den kleinen Propheten ab, indem wir noch zwei von ihnen „unter die Lupe“ nehmen. Zuerst Haggai, dann Zephanja.

Haggais Botschaft ist einfach und direkt. Er konzentriert sich darauf, die Juden, die aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem zurückgekehrt waren, zum Tempelbau anzuspornen. Damit redet er auch dem heutigen Leser direkt ins Herz hinein und spornt ihn an, seine Energie für Gottes Haus – die Versammlung (Gemeinde, Kirche) – einzusetzen.

 

Hintergrund

Der mächtige babylonische Herrscher Nebukadnezar hatte in drei Eroberungsfeldzügen (605, 597 und zuletzt 586 v. Chr.) sehr viele Juden nach Babel verschleppt (2. Kön 24.25). Im Jahre 539 wurde dann Babel selbst von den Persern erobert. Im folgenden Jahr machten sich um die 50.000 Juden unter der Führung von Serubbabel und Josua in das zerstörte Jerusalem auf, nachdem der neue König Kores die Rückkehr erlaubt hatte. Diese Juden – Gott nennt sie den „Überrest“1 – richteten zunächst den Altar wieder auf und begannen zwei Jahre später, den Tempel wieder aufzubauen (Esra 1,1–3,13).

Recht bald kamen aber die Bauarbeiten zum Erliegen. Die Führer der umliegenden Provinzen des persischen Reiches wollten nicht mit ansehen, wie das jüdische Volk die Beziehung zu Gott wiederfand. Aus Esra 3 und 4 gewinnt man den Eindruck, dass die Juden gerade wegen dieses Widerstands die Bauarbeiten einstellten. Einige Jahre später sandte Gott Haggai und Sacharja zu dem Überrest. Ihr Dienst bewirkte, dass der Tempelbau wieder aufgenommen und nach vier Jahren abgeschlossen wurde (Esra 5,1.2; 6,15–18). Dabei leuchtete Haggai mit Gottes Wort in die Herzen der Juden und legte offen, was die wirkliche Ursache für den Baustopp war.

 

Haggais Botschaften

Nun zu Haggais Botschaften. Wir gehen folgendermaßen vor:

  • Zunächst ist zu klären, was Haggai damals historisch und tatsächlich in seinen fünf Botschaften den Juden gesagt hat.
  • Auf dieser Grundlage führt uns in einem zweiten Schritt die Auslegung zur geistlichen Bedeutung dieser Worte Gottes. Wie jeder Prophet deckte Haggai

 

Zeitstrahl zu Haggais Wirken

Der nachfolgende Zeitstrahl vermittelt einen groben Überblick über das historische Umfeld, in dem Haggai wirkte:

Jahr Regent über Babel Ereignis Quelle
539 Kores Erlass des Kores: Juden dürfen nach Jerusalem zurückkehren und den Tempel wieder aufbauen Esra 1,1-4
538/37   Erste Rückkehr von Juden nach Jerusalem Esra 1,5–2,70
536/35   Beginn des Tempelbaus; Widerstand der Feinde Esra 3,8–4,5
536/35   Tempelbau wird unterbrochen (frühestens) Esra 4,24
521 Darius Beginn des Dienstes von Haggai und Sacharja Esra 5,1; Hag 1,1
1.6.521   Haggais erste und zweite Botschaft Hag 1,1-13
24.6.521   Tempelbau wird wieder aufgenommen Esra 5,2 ff.; Hag 1,14.15
21.7.521   Haggais dritte Botschaft Hag 2,1–9
8/521   Sacharjas erste Botschaft Sach 1,1–6
24.9.521   Haggais vierte und fünfte Botschaft Hag 2,10–19; 20–23
21.11.521   Sacharjas Visionen Sach 1,7–6,15
4.9.519   Sacharjas Botschaften Sach 7,1 ff.
3.12.517   Tempelbau wird vollendet Esra 6,15–18

aus Gottes Sicht Dinge auf, die seinen Zuhörern verborgen waren: Erstens deckte er manches auf, was die Zuhörer in ihren Herzen versteckt hatten und gab Gottes Beurteilung darüber ab. Zweitens offenbarte er manches, was die Zukunft noch verbarg, Gott aber jetzt schon verriet. Mit beidem wollte Gott bei den damaligen Zuhörern eine geistliche Veränderung und Entwicklung anstoßen. Nur wenn wir durch diese Auslegung die geistliche Bedeutung von Gottes Ansprache an die damaligen Juden verstehen, kann auch alttestamentlicher Bibeltext uns Christen „zu unserer Belehrung“ dienen (vgl. Röm 15,4).

Darüber hinaus lässt sich in einem dritten Schritt auf der Grundlage der christlichen Lehre des Neuen Testaments eine Anwendung von Haggais Botschaften auf uns Christen heute machen.

 

1,1–11: Haggai redet dem Überrest ins Gewissen

Haggais erste Botschaft war zweigeteilt. Er redete zuerst zu den beiden Führern des Volkes (Esra 2,2): dem Statthalter Serubbabel und dem Hohenpriester Josua. Haggai wies sie darauf hin, dass das Volk der Meinung war, es wäre nicht an der Zeit, am Tempel zu bauen (V. 1.2).

An das Volk gerichtet stellte Haggai sodann fest, dass der Tempel immer noch in Trümmern lag, während sie selbst in getäfelten Häusern wohnten (V. 2–4). Aber irgendetwas stimmte nicht: Missernten, vergebliche Mühen und Frust waren an der Tagesordnung (V. 5.6). „Richtet euer Herz auf eure Wege“, rief er ihnen zu: Lebt bewusst, überlegt doch einmal, was der Grund für eure Misere ist! Die Antwort lieferte er gleich mit: Alles das hatte Gott bewirkt. Denn Er wollte nicht hinnehmen, dass ihnen die Ruine seines Tempels gleichgültig war, während sie mit viel Energie um ihren eigenen Komfort besorgt waren (V. 9–11). Die Juden sollten ihrem Streben ein neues Ziel geben: „Baut das Haus, so werde ich Wohlgefallen daran haben und verherrlicht werden“ (V. 7.8).

Auslegung: Für die Juden war der Hinweis auf Dürre und Missernten eindeutig: Gott hatte durch Mose prophezeit, dass das Volk so etwas erleben würde, wenn es Gott nicht gehorchte. Das Volk Israel hatte mit Gott den Bund geschlossen: Gehorsam brachte Segen, Ungehorsam Fluch. Beides wirkte sich direkt im materiellen Wohlergehen des Volkes aus – wie hier (die Missernten wurden prophezeit in 3. Mo 26,19.20.26; 5. Mo 28,38.39).

Nun gab es in Moses’ Gesetz kein Gebot, den Tempel zu bauen. Worin bestand also der Fehler der Juden? Die Trümmerfrauen und -männer hatten in der zerstörten Stadt viel Arbeit. War es nicht über zwei Jahre nach der Rückkehr an der Zeit, dass man auch mal an sich selbst dachte? Immerhin wurde auf dem neu errichteten Altar schon geopfert. So gingen die Jahre ins Land, und während die eigenen Häuser Gestalt annahmen, stand der Tempelbau still.

Hier platzte Haggai mit Gottes Weckruf hinein: Ihr Juden, wisst ihr eigentlich, was  Gott wirklich will? Gott wollte schon immer bei seinem Volk wohnen, und zwar in einem speziell Ihm geweihten Haus. Hatte Er nicht deshalb an Kores gewirkt, dass er den Juden die Rückkehr ermöglichte? Hatte Er nicht den Überrest, der wieder bei Null anfangen musste, gesegnet, als er den Tempelbau aufnahm? Das wusste jeder. Haggai brauchte nicht viele Worte. „Baut das Haus!“ Damit war alles gesagt. Der Christ hat eine andere Beziehung zu Gott als damals der Jude. Aber auch für sie trifft der Grundsatz zu, dass sie ernten, was sie gesät haben (Gal 6,7.8). So, wie jeder Mensch seinem Leben entweder die Ausrichtung nach oben (auf das Geistliche) oder nach unten (auf das Fleischliche) gibt und konsequenterweise entweder ewiges Leben oder Verderben erntet, so gilt in geistlicher Hinsicht für einen Christen: Wer für sein eigenes Fleisch sät (das heißt Energie in Dinge investiert, die ohne Rücksicht auf Gottes Interessen den eigenen, natürlichen Vorlieben entsprechen), wird Verderben ernten (das heißt ein – für Gott und ihn selbst – unbefriedigendes, vielleicht sogar verdorbenes Leben haben); wer aber in Gottes Sinn Energie in geistliche Dinge steckt, wird ewiges Leben ernten (also ein wirklich erfüllendes Leben zu Gottes Ehre und in Gemeinschaft mit Gott). Denn Gottes Zielsetzung für alle Menschen zu allen Zeiten ist: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes“ (Mt 6,33).

Anwendung: Von jedem Christen erwartet Gott ein bewusstes Leben: „Richtet euer Herz auf eure Wege!“ Ein Christ sollte regelmäßig Inventur machen – eine Bestandsaufnahme des geistlichen Lebens. Wenn du in deinem Leben Missstände entdeckst, etwa in puncto geistliche Nahrung, Freude und spürbares Wirken des Heiligen Geistes (dafür stehen bildlich Korn, Most und Öl in V. 11), hast du Anlass  zu fragen, ob du deine Energie in falsche Projekte investiert hast. Möglicherweise gibt es dafür gute Gründe, aber vielleicht kommst du auch zu dem Ergebnis, dass deine Aufmerksamkeit stärker dem Irdischen als dem Himmlischen galt. Dann ruft Gott dich heute durch Haggai auf: „Bau das Haus!“

Bau das Haus – was heißt das konkret? Das Haus Gottes ist die Versammlung (1. Tim 3,15). An der Versammlung baut man, indem man Menschen zu gewinnen sucht, seine geistlichen Gaben ausübt, Aufgaben wahrnimmt, praktische Dienste tut, geistliche Gemeinschaft pflegt. Gemäß 1. Korinther 3,9 ff. kann man an „Gottes Bau“ gut, schlecht oder gar nicht mitarbeiten. Dabei gilt: „Ein jeder sehe zu, wie er baut“(V. 10) – die Entscheidung liegt bei dir. Weil es eben Gottes Bau ist (und nicht unserer), ist eine Mitarbeit dann gut, wenn sie darauf zielt, Gott zu „gefallen“ und Ihn zu „verherrlichen“ (Hag 1,8).

 

1,12-15: Die Reaktion des Überrests

Wie reagierten die Juden auf diese deutliche Ansprache?

Hatten sie vorher jahrelang behauptet, es sei nicht an der Zeit, den Tempelbau fortzusetzen, dämmerte es ihnen nun nach Haggais klaren Worten. Sollte jemand behauptet haben, dass man doch ohne ausdrücklichen Befehl des Königs  nicht bauen dürfte, war er jetzt widerlegt worden: Nicht die politische Situation oder andere Umstände änderten sich, sondern die Gesinnung und Ziele der Juden. Und das Bauen begann wieder.

Auslegung: Entscheidend ist hier, aus welchem Grund die Juden wieder zu bauen begannen. Nicht, weil Haggai so überzeugend predigte. Nicht, weil Serubbabel eine anfeuernde Ansprache hielt, dass jetzt „ein Ruck durch den Überrest gehen müsse“. Sondern deshalb, weil der Überrest in echter Gottesfurcht der Botschaft Gottes gehorsam war und daraufhin Gott ihren Geist erweckte.

„Erweckung“ war ein Kernthema der (Anfangs-)Zeit nach dem Exil. Ohne Erweckung hätte es die Rückkehr gar nicht erst gegeben (Esra 1,1.5); und auch hier beruhte der Neuanfang auf Gottes erweckendem Wirken. Allerdings lesen wir später (in Nehemia sowie in Maleachi) nichts mehr davon. Ein Beleg dafür, dass jede Erweckung in einen Niedergang mündet? Nicht zwangsläufig, aber dann, wenn die oben genannten, geistlichen Eigenschaften verloren gehen.

Anwendung: Hier kann man eine schöne Parallele zu den ersten Christen ziehen, wie sie in den Anfangskapiteln der Apostelgeschichtebeschriebenwerden.Die Versammlung war in ihrer Frühphase durch dieselben Eigenschaften charakterisiert wie der Überrest damals. Versuche bitte einmal, die oben aufgeführten sechs Punkte in folgenden Bibelstellen wiederzufinden: Apg 2,42; 4,32.33; 5,11.29. Diese Haltung hat auch in der Vergangenheit echte Erweckungsbewegungen (z.B. im 19. Jahrhundert) gekennzeichnet, die inmitten der Ruinen in der Christenheit neu nach Gottes Wort fragten und handelten – und sie ist Voraussetzung für jede persönliche  oder gemeinsame Erweckung auch heute! Wenn ich das lese, frage ich mich: Welches Ergebnis hat eine Inventur bei mir? Und wie ist es bei dir?

 

2,1-9: Warum Gott auch das „armselige“ Bauen belohnt

Vier Wochen waren seit dem erneuten Baubeginn vergangen. Haggai kam mit einer doppelten Botschaft. Wenn die Juden sich eingestehen mussten, dass ihr Bauwerk gegenüber dem früheren Zustand des Tempels „wie nichts“ war (V. 1–3), spornte Gott sie dennoch an: „Seid stark und arbeitet“; Er würde mit allem, was sie brauchten, bei ihnen sein (V. 4–5). Und Er fügte einen Blick in die Zukunft an: Er selbst, der Herr über die ganze Schöpfung, würde einmal das Haus mit Herrlichkeit füllen. Die letzte Herrlichkeit würde größer sein als die erste, von der man sich seit Salomos Zeiten erzählte (V. 6–9).

Auslegung: Schon als etwa 15 Jahre zuvor der Grundstein des Tempels gelegt worden war, hatte sich die Freude über Gottes Güte mit den Tränen derer gemischt, die Salomos Tempel noch kannten und darüber trauerten, dass dessen Herrlichkeit anscheinend unwiederbringlich verloren war (Esra 3,8 ff.). Das Baumaterial war im Vergleich zu Salomos Reichtümern geradezu armselig (vgl. Esra 2,69 mit 1. Chr 29,6). Nur ein kleiner Teil der Juden war überhaupt in Jerusalem. Schlimmer noch: Die Bundeslade war nicht mehr da, die Urim und Thummim fehlten auch, und sogar die Herrlichkeit Gottes hatte den Tempel wegen der Sünden des Volkes verlassen (Hes 9–11). War das nicht „wie nichts“? ...

Aber wie barmherzig war Gott: Ist es nicht  rührend, wie Er die Juden dennoch zum Bauen ermunterte? Er hatte ja gesagt, dass Er Wohlgefallen an dem Haus haben würde und dass es Ihn verherrlichen würde – wenn sie nur bauen würden (Kap. 1,8). Die Barmherzigkeit ist die eine Seite. Die andere ist, dass Gott den Niedergang nicht rückgängig machte. Er wirkte kein Wunder, um alles wieder herbeizuschaffen, was fehlte. Nein, was Er erwartete, war, dass sie treu mit den Mitteln arbeiteten, die da waren.

Anwendung: Wer den Zustand der Versammlung heute mit ihrer Anfangszeit oder auch mit späteren Epochen der Erweckung vergleicht, sieht vielleicht auch ein „Nichts“. Wer das so empfindet, wird auch ein offenes Ohr haben für Gottes Ermunterung: Wenn du nur – im Einklang mit Gottes Wort – an der Versammlung baust, wird Er Wohlgefallen daran haben und verherrlicht werden. Wie barmherzig ist Gott! Es wäre schon viel, wenn Er das Bauen an einer Ruine überhaupt zur Kenntnis nähme – aber mehr noch: Er nimmt es wohlgefällig an

Es nützt auch heute nichts, sich nach Verlorenem auszustrecken. Wir können mit unseren Bauarbeiten nicht warten, bis wieder Zustände wie zu Beginn der Apostelgeschichte herrschen. Wir können auch nicht mit menschlichen Mitteln die äußere Einheit des Volkes Gottes wiederherstellen. Erst recht können wir nicht versuchen, ein neues Haus zu bauen, denn für Gott gab es damals in Israel und gibt es heute in der Zeit der Versammlung immer nur durchgängig das eine Haus (vgl. Haggai 2,3 mit 2,9). Es ist gut, die Christen aus Erweckungszeiten zum Vorbild zu nehmen. Vieles – z.B. den Glauben, die Gottesfurcht, die geistliche Frische – kann Gott uns wieder schenken, wenn wir seinen Geist nur wirken lassen.

Das Gebot der Stunde lautet, wie Paulus mehrfach an Timotheus schrieb: „Du aber“ – sei treu in dem, was dir anvertraut ist. Die Umstände haben sich geändert. Der Maßstab von Gottes Wort bleibt. An uns ist es, treu zu bauen. Gott wird das – trotz allem – gefallen, und es wird Ihn verherrlichen.

 

2,10-19: Von nun an Segen statt Fluch

Die zukünftige Herrlichkeit war ein ermutigender Ausblick – aber was war mit den Missernten? Auch dafür sorgte Gott: Wenn sie wieder ihr Herz auf ihre Wege richteten, würden sie von nun an – seit der Tempel weitergebaut wurde – bewusst Gottes Segen erleben (V. 15–19). Zuvor mussten sie aber noch eine Lektion lernen: Sie hatten bisher erfahren, dass ihnen das Pech förmlich an den Händen klebte. Das hatte einen Grund: So wie ein Mensch, der nach dem Gesetz unrein war, alles verunreinigte, was er berührte, so hatte Gott auch alles das verflucht, was sie anpackten – weil sie es ohne Ihn anpackten und nicht auf seine Wünsche und Interessen achteten (V. 10–14). Wenn sie sich mit ganzem Herzen wieder nach Gott ausrichteten, würde das nun anders werden: „Von diesem Tag an will ich segnen“, versprach Er (V. 19).

Auslegung: Der Bund zwischen Gott und dem Volk Israel sah für Ungehorsam Fluch vor (s.o. zu Kap. 1,1–11) und für Gehorsam gab es Segen (3. Mo 26,3– 5.11.12; 5. Mo 28,3–5.8). In diesem Zusammenhang klärte Haggai die Juden nachträglich darüber auf, dass ihre falsche geistliche Orientierung Auswirkungen auf ihr ganzes Leben gehabt hatte. Schon die ersten Gebote, die Gott überhaupt ausgesprochen hatte, besagten, dass  die Zeit, der Besitz und das ganze Leben Gott geweiht werden sollten (s. 2. Mo 13,1–16). Indem sie den eigenen Bedürfnissen Priorität eingeräumt hatten, war ihre Gesinnung „unrein“ geworden. Das hatte negative Auswirkungen auf ihr ganzes Leben. Ebenso würde nun eine reine, heilige Gesinnung – das heißt die Ausrichtung ihres Lebens auf Gott – den ersehnten Segen nach sich ziehen.

Anwendung: Das Prinzip ist so einfach und gilt auch heute für Christen: Wenn ein Kind Gottes die Gemeinschaft mit Gott pflegt, wird es Segen erleben (1. Joh 1,4.5; Joh 15,5). So wichtig es ist, bei fehlendem Segen nach den Ursachen zu forschen, so wichtig ist es andererseits, jeden Segen bewusst von Gott anzunehmen. Nur dann kann man Gott angemessen danken, und man lernt Ihn dadurch auch besser kennen.  Für das praktische Leben eines Christen ist auch die Antwort lehrreich, die die Priester Haggai geben:

  • Die Früchte unserer Arbeit (hier: Brot, Gekochtes, Wein, Öl, s. V. 12) werden nicht dadurch „heilig“ oder gesegnet, dass wir ein äußerlich frommes Bekenntnis (im Bild des heiligen Fleisches im Zipfel des Kleides) haben und wir im übrigen in unserem Leben nicht nach Gott fragen, sondern unseren eigenen Wünschen folgen. Gott kann nur das annehmen und segnen, was aus einem reinen, Ihm gehorsamen Herzen kommt.
  • Umgekehrt aber gilt: Unreines macht alles andere unrein. Wenn ich – als Christ ein „Heiliger“ (Eph 1,4; vgl. 1. Pet 1,15) – mich mit Unreinem einlasse, verunreinigt mich das in geistlicher Hinsicht (vgl. 1. Kor 15,33). Gottes Wort ist deshalb in der Aussage sehr klar, dass der Christ sich  vor dem Bösen hüten und sich davon trennen soll (z.B. Röm 16,19; 2. Kor 6,17; 1. Thes 5,22; 2. Tim 2,19–21).

 

2,20-23: Eine besondere Weissagung für Serubbabel

Serubbabel war der politische Führer des Volkes. Als Statthalter war er dem König von Babel untergeordnet und leitete die Verwaltung der Unterprovinz Juda. Gott würde ihm einmal eine besondere Ehre erweisen, indem Er ihn nehmen und „wie einen Siegelring machen“ würde (V. 23). Das war Belohnung und Ansporn zugleich für Serubbabel (der in einer entscheidenden Weichenstellung der Geschichte des Überrestes als Vorbild vorangegangen war) und den Überrest.

Auslegung: Aus der Geschichte ist nicht bekannt, dass Serubbabel später eine herausgehobene Rolle in Juda einnahm. Was und wann ist denn „jener Tag“? Und was bedeutet „Siegelring“? „Jener Tag“ – das ist der Tag des HERRN, also der (auch jetzt noch zukünftige) Zeitraum, in dem der Herr Jesus auf der Erde sichtbar regieren wird (s. z. B. Sach 14,9 ff.). Und mit einem Siegelring bestätigt man die Autorität und Echtheit eines hoheitlichen Dokuments. Serubbabel wird also im 1000jährigen Reich aus anderen Gläubigen ausgesondert und in eine Position gebracht werden, in der er im Namen und Auftrag Gottes handeln wird. Eine gewaltige Ehre, bewirkt durch Gottes Gnade! Dabei könnte Serubbabel – wie der Hohepriester Josua in Sacharja 3 – als Repräsentant des Überrests  5 Diese Bücher sind beim Herausgeber von FMN erhältlich.  erscheinen, der sich gleichfalls durch seine Treue auszeichnete; er wird persönlich genannt, weil er als Führer für den Überrest verantwortlich war.

Anwendung: Dass Serubbabel als Belohnung für seine Treue in eine Position der Autorität gebracht werden wird, kann man im Licht der neutestamentlichen Lehre in zweifacher Hinsicht fortentwickeln: Zum einen gibt es auch für treue Christen eine Belohnung am Tag Christi (1. Kor 1,8; Phil 1,6; Off 22,12); das kann ein Ansporn in jeder Situation sein, in der man dem Herrn Jesus in widrigen Umständen treu sein möchte. Zum anderen hat – wie Gott seine Autorität an Serubbabel delegierte –, der Herr Jesus selbst von Gott Autorität verliehen bekommen, als Mensch Gericht auszuüben (Joh 5,22.27; 1. Kor 15,27 f.).

Fazit: Welch ein Gott spricht aus den Botschaften des Propheten Haggai: Er korrigiert, wo Gläubige ihrem Leben die falsche Richtung geben; Er spornt an und tröstet zugleich, wo sie sich armselig fühlen und frustriert sind. Diesen barmherzigen Gott, von dem aller Segen und alle Herrlichkeit kommt, können wir auch heute noch erleben.

Zur weiteren Lektüre empfohlen: E.A. Bremicker: Von Herzen für den Herrn, Die Botschaft des Propheten Haggai für damals und heute (Beröa, 2003) M. Müller: Die Stimme der Propheten, S. 63-88 (CSV, 1995)