Nachgedacht

Wo ist meine Furcht - Gottesfurcht?

Das war in der Tat ein beklagenswerter Zustand im Volk Gottes: Man fragte nicht mehr nach dem Willen Gottes, sondern lebte in Gleichgültigkeit und Unglauben und verachtete den Namen Gottes. Mit diesen drei Kennzeichen endet die Geschichte Israels im Alten Testament. Es fehlte an wahrer Gottesfurcht – ein wichtiges Thema im Leben eines Gläubigen, mit dem man sich nicht früh genug beschäftigen kann.

Einige Jahrzehnte vorher hatte es noch eine wunderbare Belebung unter den zerstreuten Juden gegeben. Alle, deren Geist Gott erwecken konnte (vgl. Esra 1,5), machten sich auf, um den Altar, das Haus Gottes und die Stadt Jerusalem wieder aufzubauen. Doch von dieser geistlichen Bewegung war nichts mehr zu sehen. Alles war in leblosen Formen erstarrt. Doch nicht allein das: Als Gott dem sogenannten Überrest durch den Propheten Maleachi eine ernste Botschaft übermitteln lässt, tritt ihre Bosheit offen zu Tage. Sie reagieren mit acht vermessenen Fragen an Gott – nicht weil sie unwissend waren, sondern weil sie ihre Bosheit nicht einsehen und Gott herausfordern wollten.

Unter diesen arroganten Leuten befanden sich nicht allein Personen des „einfachen Volkes“. Nein, auch die Führungsschicht (repräsentiert durch die Priester) gehörte dazu. Wie groß war ihre Verantwortung! Maleachi weist darauf hin, was von ihnen erwartet wurde: „Denn die Lippen des Priesters sollen Erkenntnis bewahren, und das Gesetz sucht man aus seinem Mund, denn er ist ein Bote des HERRN der Heerscharen“ (Mal 2,7).

Gott muss gerade diese Personengruppe ernst zur Rede stellen. Sie waren es, die abgewichen waren und zugleich noch andere in die Irre führten (vgl. Mal 2,8). Und worin bestand die Hauptursache dieses Missstands? In der fehlenden Gottesfurcht!

Gottesfurcht? – Dieser Begriff klingt (vielleicht) sehr altertümlich. Aber die Verwirklichung von Gottesfurcht schon als Jugendlicher ist von so zentraler Bedeutung, da wahre Gottesfurcht die richtigen Weichen stellt. Daher wollen wir uns an dieser Stelle etwas näher mit diesem „Begriff“ auseinandersetzen.

 

Gott ehren und das Böse meiden

Gottesfurcht ist nichts anderes, als vor Gott die (Ehr)Furcht zu haben, die Ihm gebührt. Denn Er ist der Ewige und Wahrhaftige. Er ist Licht, und gar keine Finsternis ist in Ihm (vgl. 1. Joh 1,5). Sein Name ist groß und furchterregend (vgl. Mal 1,11.14). Er ist „langsam zum Zorn und groß an Kraft, und er hält keineswegs für schuldlos den Schuldigen“ (Nah 1,3). Wir dagegen sind kleine Menschen, die von der Gnade Gottes abhängig sind. Dieses Bewusstsein war den Priestern völlig abhanden gekommen. Deshalb stellt ihnen Gott die ernste Frage – und wir empfinden den traurigen Beiklang –: „Ein Sohn soll den Vater ehren und ein Knecht seinen Herrn. Wenn ich denn Vater bin, wo ist meine Ehre? Und wenn ich Herr bin, wo ist meine Furcht?“ (Mal 1,6).

Dreimal muss Gott den Priestern vorhalten, dass seinem Namen nicht die angemessene Ehre gegeben wurde, ja, dass dieser verachtet und entweiht wurde (vgl. Mal 1,6.12; 2,2). Ihre unreinen Opfergaben (vgl. Mal 1,6–14) und ihre parteiische Handhabung des Gesetzes (vgl. Mal 2,9) bewiesen, dass ihre Herzen böse waren. Hätten sie dem Namen des HERRN Ehre gegeben, wären sie zwangsläufig davor zurückgeschreckt, Böses zu tun. In diesem Sinn ist auch der Vers aus Sprüche 8 zu verstehen: „Die Furcht des HERRN ist: das Böse hassen“.

Wie ganz anders war es damals, als der Stamm Levi (diesem Stamm gehörten die Priester an) von Gott zu seinem Dienst erwählt wurde. Gott erinnert die Priester daran: „Und er fürchtete mich und zitterte vor meinem Namen. Das Gesetz der Wahrheit war in seinem Mund, und Unrecht fand sich nicht auf seinen Lippen“ (Mal 2,5.6).

Ist das Verhalten dieses Stammes nicht auch beispielhaft für uns? Oder glauben wir, dass das „Fürchten“ und „Zittern“ nicht zu Söhnen Gottes passt, die von jeglicher Knechtschaft befreit sind und freien Zugang zu ihrem Vater haben? Bedenken wir, was der Apostel Petrus in seinem ersten Brief zu diesem Thema sagt: „Und wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingsschaft in Furcht“ (1. Pet 1,17). Das gilt auch dir und mir heute noch! Die Sache ist zu ernst, als dass man leichtfertig darüber hinweggehen könnte.

 

Gottesfurcht befreit von Misstrauen

Wenn die wahre Gottesfurcht einerseits bei uns Hemmschwellen (im Blick auf das Böse) auslöst – und dafür dürfen wir dankbar sein –, so stellt sie andererseits kein Hindernis für den vollen Genuss des Segens Gottes dar. Sie ist geradezu frei von Misstrauen und bewirkt keinerlei Zurückhaltung im Blick auf das Gute. So war es auch bei den Leviten damals. Obwohl sie vor dem Namen Gottes zitterten, wandelten sie in Frieden mit Ihm (vgl. Mal 2,6). Das eine schließt das andere nicht aus.

Diese Ausgewogenheit der Beziehung zu dem Herrn fehlte dem Knecht in Lukas 19, der das ihm anvertraute Pfund in einem Schweißtuch verwahrte. „Ich fürchtete dich“, begründet er sein Tun, „weil du ein strenger Mann bist: Du nimmst, was du nicht hingelegt, und erntest, was du nicht gesät hast“ (Vers 21). Hatte dieser Mann eine so große Furcht vor seinem Herrn, dass er wie gelähmt war? Keineswegs! Wenn er seinen Herrn (in der richtigen Weise) gefürchtet hätte, wäre er nicht zu bremsen gewesen, mit seinem Pfund zu handeln. Nein, dieser Knecht hatte nicht zu viel Furcht, sondern zu viel Misstrauen. Es mangelte ihm an Kenntnis und Vertrauen. Hätte er nur den richtigen Blick für seinen gütigen und zugleich gerechten Herrn gehabt und seine Autorität über sich anerkannt! Dann wäre er reichlich belohnt worden.

Wahre Gottesfurcht führt uns nicht von Gott weg, sondern in die vertraute Gemeinschaft mit Ihm. Denn nur dem Gottesfürchtigen kann Gott seinen Willen kundtun. Das hatte schon David erkannt, wenn er sagt: „Wer ist nun der Mann, der den Herrn fürchtet?

Er wird ihn unterweisen in dem Weg, den er wählen soll.“ Und: „Das Geheimnis des HERRN ist für die, die ihn fürchten“ (Ps 25,12.14).

Wahre Gottesfurcht führt auch nicht in die Isolation. Zur Zeit Maleachis jedenfalls finden wir erfreulicherweise eine (kleine) Schar von Personen, die sich miteinander unterhielten. „Da unterredeten sich miteinander, die den HERRN fürchten, und der HERR merkte auf und hörte; und ein Gedenkbuch wurde vor ihm geschrieben für die, die den HERRN fürchten und die seinen Namen achten“ (Mal 3,16).

Gehörst du auch zu denen, die den Herrn fürchten? – Du wirst freilich nicht die Aufmerksamkeit deiner Mitmenschen auf dich ziehen, dafür aber die Aufmerksamkeit deines Herrn. Und das ist das Entscheidende! Außerdem wird deine Herzenshaltung „schriftlich festgehalten“. Welch eine Ehre, dass Gott deinetwegen ein „Gedenkbuch“ schreiben lässt! Wer Ihn heute ehrt, wird bald von Ihm geehrt.