Die Rechte des Christen - Ich soll auf mein Recht verzichten?
Die Rechte des Christen – Ich soll auf mein Recht verzichten?
Durch Schule, Ausbildung und Beruf stehen wir alle mehr oder weniger im Einflussbereich eines immer weiter zunehmenden Egoismus. „Du musst deine Rechte wahren“, „Lass dir bloß nichts gefallen“, „Du musst deinen eigenen Weg gehen“ – und viele andere Aufforderungen greifen nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch unter Gläubigen um sich. Das Thema „Selbstverwirklichung“ ist in aller Munde und wird über die Medien permanent unters Volk gebracht.
Die verhängnisvollen Folgen bestehen darin, dass die Menschen im Allgemeinen (und wir Christen scheinen davon immer weniger ausgenommen zu sein) nicht mehr in der Lage sind, Beziehungen und Verbin- dungen aufrechtzuerhalten. Das hat fatale Auswirkungen in der Ehe, in familiären Beziehungen, in geschäftlichen Verbindungen und, und, und ... Das vermeintliche Wohl des Einzelnen steht – im Vergleich zu früher – viel mehr im Vordergrund. Und es fällt uns allen immer schwerer – einer gemeinsamen Sache wegen – auf ein persönliches Recht zu verzichten.
Aber überall da, wo Menschen glücklich zusammenleben möchten, wird es nicht anders gehen, als dass der Einzelne seine Ansprüche hinter das Gemeinwohl stellt. Auch wir Christen müssen uns das Tag für Tag immer wieder neu bewusst machen. Das Beispiel eines Mannes aus der Anfangszeit des Christentums kann uns helfen und anspornen, unsere eigenen Ansprüche und Rechte zurückzunehmen.
Unser Recht auf Freiheit
Paulus behandelt in seinem ersten Brief an die Gläubigen in Korinth auch das Thema der christlichen Freiheit. Im siebten Kapitel geht es um die Freiheit zu heiraten. Das achte Kapitel zeigt uns, dass die Gläubigen das Recht hatten, auf dem Fleischmarkt einzukaufen und Fleisch zu essen, auch wenn diese Tiere vorher in den Götzentempeln geschlachtet worden waren. Im darauf folgenden Kapitel besteht Paulus auf dem Recht des Dieners, im Werk des Herrn, von den Empfängern seines Dienstes materiell unterstützt zu werden. Im Verlauf dieser Kapitel wird immer wieder deutlich, dass Paulus darauf besteht, dass Heiraten, Essen und die Versorgung in materiellen Dingen grundsätzlich möglich sein sollen. Niemand ist berechtigt zu fordern, dass alle Christen unverheiratet bleiben müssen, dass man in keinem Fall Götzenfleisch essen darf, dass der Diener im Werk des Herrn für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen habe. Mit energischen Worten besteht Paulus vom Grundsatz her auf diesen Rechten.
Unser „Recht“ auf Verzicht
Aber es besteht ein großer Unterschied zwischen den Ansprüchen und Rechten einerseits, und andererseits der Frage, ob ich von diesen Rechten zu jeder Zeit Gebrauch mache. Aber das ist eine Frage, die der Diener ganz persönlich in seinem Verhältnis zu seinem Herrn entscheiden muss. Schauen wir uns kurz an, wie Paulus mit seinen Rechten umgegangen ist.
Verzicht auf die Ehe
Wie andere Apostel auch, so hatte Paulus in gleicher Weise das Recht, „eine Schwester als Frau“ zu haben (vgl. 1. Kor 9,5). Daran bestand überhaupt kein Zweifel. Aber Paulus hatte erkannt, dass der „Unverheiratete um die Dinge des Herrn besorgt“ ist, wogegen der Verheiratete viel mehr Rücksicht auf seinen Ehepartner nehmen muss. Natürlich gibt es zahllose verheiratete Brüder und Schwestern, die dem Herrn Jesus mit Hingabe gedient haben (zum Beispiel der Apostel Petrus und das Ehepaar Aquila und Priscilla); aber die Betonung liegt in 1. Korinther 7 eben darauf, dass ein unverheirateter Christ freier ist, seinem Herrn zu dienen. Das Recht zu heiraten stellte Paulus für sein eigenes Leben zurück, um seinem Herrn uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen.
Damit es kein Missverständnis gibt: Hier soll keine pauschale Empfehlung gegeben werden, lieber nicht zu heiraten. Es geht vielmehr um die grundsätzliche Überlegung, vor dem Herrn Jesus (also unter Gebet) darüber nachzudenken, ob ich bereit bin, aus Liebe zu meinem Herrn, um IHM uneingeschränkter zur Verfügung stehen zu können, auf die Wahrnehmung persönlicher Rechte – und davon ist Heiraten nur eines – zu verzichten. Der bewusste Verzicht, zu heiraten ist sicher sehr, sehr weit reichend; aber es gibt so viele andere Lebensbereiche, wo sich uns die Frage stellt, um des Herrn willen auf etwas zu verzichten.
Verzichten aus Liebe zum Bruder
Ein zweites Beispiel, wo Paulus auf ein ihm zustehendes Recht verzichtet, finden wir in 1. Korinther 8,9: „Gebt aber Acht, dass nicht etwa dieses euer Recht den Schwachen zum Anstoß wird.“ Und danach fährt er in Bezug auf persönliche Konsequenzen für sich selbst fort: „Darum, wenn eine Speise meinem Bruder Anstoß gibt, so will ich für immer kein Fleisch essen, um meinem Bruder keinen Anstoß zu geben“ (1. Kor 8,13). Ging es im ersten Beispiel um Verzicht für den Herrn, dann zeigt uns das zweite Beispiel Verzicht aus Liebe zu Mitgläubigen, damit niemand in geistlicher Beziehung Schaden leidet. Denn wenn meine Geschwister durch mein Verhalten möglicherweise verleitet werden, etwas zu tun, was sie in Gefahr bringt, zu sündigen, muss ich bereit sein, zu verzichten.
Verzicht auf Unterstützung
Das dritte Beispiel findet sich in Kapitel 9 des ersten Korintherbriefes. Als Diener des Herrn hatte er das Recht, sich in Bezug auf seine materiellen Bedürfnisse von denen, die Empfänger seines Dienstes waren, versorgen zu lassen. Aber auch in dieser Beziehung leistete dieser Diener des Herrn Jesus Verzicht: „Aber wir haben von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht“ (1. Kor 9,12). Und der Beweggrund lautet in diesem Fall: „Dass ich, das Evangelium verkündigend, das Evangelium kostenfrei mache, so dass ich von meinem Recht am Evangelium keinen Gebrauch mache“ (1. Kor 9,18).
Zusammenfassend kann man sagen, dass Paulus
- um des Herrn willen,
- um der Geschwister willen und
- um des Evangeliums willen,
bereit war, auf ihm zustehende Rechte zu verzichten.
Ist das nicht auch eine ganz aktuelle Lektion für unsere Zeit?
Verzichten – Beispiele für 2003
Katrin und Julia – beide berufstätig – haben sich ihren Urlaub nach hartem Einsatz mit vielen Überstunden echt verdient.
Schon seit Wochen haben sie sich auf ihren gemeinsamen Urlaub gefreut. Sie wissen schon ganz genau, was sie in den drei Wochen alles unternehmen werden. Doch als sie erfahren, dass sich in der Großküche des Altenheims durch plötzlich aufgetretene Krankheit unvorhergesehene Personalengpässe ergeben, sind sie unvermittelt vor die Frage gestellt, ob sie eine Woche ihres Urlaubs opfern, um auszuhelfen. Nach kurzem, inneren Kampf haben sie die Entscheidung getroffen: Sie verzichten auf eine Woche Urlaub, um auszuhelfen.
Steffen hat kein Problem damit, einmal ein Glas Bier zu trinken. Er weiß, wo seine Grenzen sind – ein Glas ist genug. Aber bei Steffens Freund und Kumpel Florian ist es wiederholt passiert, dass es nicht bei einem Glas, und auch nicht bei einem zweiten Glas Bier blieb; es ist ihm anzumerken, wenn er „einen über den Durst getrunken hat.“ Wenn Steffen und Joe zusammen sind, wäre es dann gut, wenn Henry Steffen seine Freiheit, einmal ein Glas Bier zu trinken, in Gegenwart von Florian (von dessen Schwäche er weiß) auslebt? Steffens Bereitschaft, auf das Ausleben seiner Freiheit zu verzichten und in Gegenwart von Florian eben keinen Alkohol zu trinken, macht deutlich, worum es dem Apostel Paulus in 1. Korinther 8,13 geht (bitte den Vers mal nachlesen).
Begnadigte pochen nicht auf ihr Recht
Der Herr Jesus will uns helfen, wenn wir in Abhängigkeit von Ihm fragen, ob wir uns dieses oder jenes erlauben können – oder ob es nach seinem Willen ist, auch einmal auf die Wahrnehmung unserer Rechte zu verzichten.
Vielleicht täte uns allen die Herzenshaltung eines Mephiboseths gut. Weder die Erweisung königlicher Gunst durch David noch die Verleumdung durch Ziba konnten ihn von seiner demütigen und bescheidenen Haltung abbringen: „Denn das ganze Haus meines Vaters war nichts anderes als Männer des Todes vor meinem Herrn, dem König; und doch hast du deinen Knecht unter die gesetzt, welche an deinem Tisch essen. Und was für ein Recht habe ich noch?“ (bitte 2. Sam 16,1-4 und 19,24- 30 lesen). Das tiefe Bewusstsein der durch David erfahrenen Gnade bewirkte in ihm eine Haltung, die ihn bereit machte, auf alle weiteren Ansprüche und Rechte zu verzichten.
Und wie sieht das bei dir und mir aus? Was hatten wir verdient? Die ewig andauernde Verdammnis! Und was hat uns der Herr aus freier Gnade alles geschenkt? Wir sind nicht nur errettet „von dem kommenden Zorn“ (1. Thes 1,10), sondern darüber hinaus gesegnet, „mit jeder geistlichen Segnung“ (Eph 1,3). Sollte es uns dann nicht viel, viel leichter fallen als Mephiboseth, auf Ansprüche und Rechte zu verzichten, wenn es
- den Interessen des Herrn nutzt,
- der geistlichen Förderung der Geschwister dient und
- der Verkündigung des Evangeliums weiterhilft?
Übrigens steht dieser „Weg“ unter dem ausdrücklichen Segen Gottes: „Wer aber sich selbst erniedrigt [dazu gehört auch der Verzicht auf zustehende Ansprüche und Rechte], wird erhöht werden“ (Lk 18,14). Unser Herr wird jeden aus Liebe zu Ihm geleisteten Verzicht belohnen: „Denn ein Gott der Vergeltung ist der HERR, er wird gewisslich erstatten“ (Jer 51,55b).
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