Andacht

Wer sagen die Menschen, dass ich sei?

Diese Frage stellte der Sohn Gottes, der ewige Sohn des Vaters, seinen Jüngern. Petrus wusste damals – durch den Geist Gottes geleitet – eine gute Antwort zu geben: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Matthäus 16,16). Aber war das die Meinung aller Menschen?

Schauen wir doch einmal, was viele Menschen wirklich von ihm hielten, insbesondere die religiösen Führer des Volkes Israel. Leider hielten Ihn die wenigsten wie Petrus für den Christus, ihren Messias. Sie hatten durchaus eine Meinung von Ihm, ja, aber diese Meinung war oft gleichzusetzen mit Verachtung für diesen sonderbaren Mann aus Nazareth, der aber doch als der ewige Sohn des lebendigen Gottes vor ihnen stand!

Du wirst dich vielleicht fragen, was es uns nutzt, seine Geringschätzung durch die Menschen näher zu betrachten. Wir werden gleich die Antwort darauf finden.

 

Der ewige Sohn – und doch verachtet

Das Johannesevangelium stellt uns den Herrn Jesus besonders als den Sohn Gottes vor. Wenn wir nur einmal das erste Kapitel genauer untersuchen, finden wir sehr viele Titel des Herrn Jesus, die Ihn als den ewigen Sohn Gottes auszeichnen. Er ist das ewige Wort (1,1), das im Anfang schon war, das Licht (1,9), der eingeborene Sohn (1,18), der Sohn Gottes (1,34), das Lamm Gottes (1,29.36), um nur einige zu nennen.

Interessant zu sehen ist dann auf der anderen Seite, dass – so scheint mir – gerade im Johannesevangelium wie in keinem anderen Evangelium die tiefste Verachtung des Menschen für den Sohn Gottes zum Ausdruck kommt. Anders als in anderen Evangelien ist der Herr im Johannesevangelium schon von Anfang an verworfen (s. 1,10.11)

Dieser Eindruck verschärft sich, wenn wir insbesondere die Kapitel 5 bis 9 lesen. Dort wird beschrieben, wie der Herr Jesus ständigen Anfeindungen ausgesetzt war. Seine Brüder glaubten nicht an Ihn und machten sich über Ihn lustig (7,3-5); andere meinten, Er verführe die Volksmenge (7,12) und wieder andere sagten, Er habe einen Dämon (7,20;8,48.52). Der Sohn Gottes war ständig mit Menschen konfrontiert, deren Verhalten mit einer hämischen Verachtung gespickt war. Und besonders in diesem Evangelium suchen die Menschen Ihn gerade wegen seiner Gottessohnschaft zu töten (vgl. Johannes 5,18;7,30;8,59 etc.).

 

Gnade begegnet Hass

Wie muss man sich beim Lesen dieses Abschnittes über den Herrn wundern, ja Ihn bewundern! Mit unbeschreiblicher Milde begegnet Er seinen Feinden, Er antwortet immer in Güte und Gnade. Sie aber beriefen sich auf „ihr“ Gesetz und verachteten beispielsweise stolz den Blindgeborenen, den der Herr gesund gemacht hatte: „Du bist sein Jünger, wir aber sind Moses Jünger. Wir wissen, dass Gott zu Mose geredet hat; von diesem aber wissen wir nicht, woher er ist.“ (Kap. 9,28.29). Hätte der Herr ihnen auf der Grundlage des Gesetzes geantwortet, auf das sie sich so gerne bezogen, hätte Er ihnen nicht in dieser Gnade begegnen können, die alle Verachtung über sich ergehen ließ. Denn gerade das Gesetz klagte sie an (5,39.45-46)! Umso bewun- dernswerter ist seine unendliche Geduld.

Was die Menschen sich anmaßten, über den ewigen Sohn Gottes zu sagen, kann einem schon „die Luft wegnehmen“. Ihre Behauptungen gipfelten darin, dass sie hochmütig erklärten, SIE seien nicht durch Hurerei geboren und hätten einen Vater, nämlich Gott (8,41). Was für eine Beleidigung der heiligen Menschwerdung des ewigen Sohnes Gottes! Sie bezichtigten seine Mutter der Hurerei und drückten so einmal mehr ihre Verachtung aus. Auf der anderen Seite nannten sie Gott ihren Vater. Welch eine Anmaßung! Da steht der eingeborene Sohn des Vaters vor ihnen, der nie die völlige Gemeinschaft mit Gott verlassen hatte, und sie haben die Stirn, so etwas zu sagen. Was mag Er darauf geantwortet haben? Wieder können wir nur staunen, mit welcher Sanftmut Er immer noch auf ihre Vorhaltungen eingeht: „Wenn Gott euer Vater wäre, so würdet ihr mich lieben, denn ich bin von Gott ausgegangen“(8,42). Kannst du die Liebe verstehen, mit der der Heiland der Welt seinen Anklägern immer noch begegnete?

 

Verborgene Herrlichkeit des Sohnes

Wie muss Er in seinem Herzen gelitten haben, das jeden Hohn so tief empfand! Sie verstanden gar nichts von dem, was Er sagte. Er hatte allen Anspruch darauf, dass sie Ihn als Sohn Gottes ehrten, denn sogar Abraham „frohlockte, dass er seinen Tag sehen sollte, und er sah ihn und freute sich“ (8,56). Als Antwort hielten sie Ihm vor, Er sei noch nicht 50 Jahre alt und sollte Abraham gesehen haben? Wir sehen sie förmlich verachtend und ironisch lachen. „Ehe Abraham wurde, bin ich.“ (Kap. 8,58), ist die göttlich große Antwort. Wir können uns wieder nur wundern, dass der Schöpfer aller Dinge, der „Ich bin“ des Alten Testaments, sich dazu herablässt, auf diese Reden des Menschen überhaupt einzugehen.

Wir freuen uns, inmitten dieses traurigen Kapitels, seine an sich verborgene Gottheit hin und wieder hervorleuchten zu sehen. Ja, eine solche Herrlichkeit kann eigentlich nicht ganz und gar verborgen bleiben.

Licht inmitten von Finsternis, so kommt uns sein Weg über diese Erde immer mehr vor. Welche Mühe brachte Er auf, um sie davon zu überzeugen, dass Er wirklich der Sohn Gottes war und dazu in die Welt gesandt war, sie zu erretten! Doch seine Mühe war leider vergeblich (Jesaja 49,4).

Wir könnten weitergehen in den anderen Evangelien, wo wir Ihn als Fresser und Weinsäufer beschimpft sehen, als Freund von Zöllnern und Sündern (Matthäus 11,18; Lukas 7,34). Das muss Ihn sehr schmerzhaft getroffen haben, wo Er doch viel tiefer empfand, als wir es je können. An anderer Stelle schreiben sie seine Macht, Dämonen auszutreiben, dem Beelzebub, dem Obersten der Dämonen, zu und lästerten damit den Heiligen Geist (Matthäus 12,24; Markus 3,22; Lukas 11, 15). Hatte der Herr Jesus es nötig, auf die Vorhaltungen des Menschen einzugehen und sich zu rechtfertigen? Wieder können wir uns nur über seine unendliche Gnade wundern ...

 

Und was sagt Gott?

Und Gott, der Vater? Was sagt Gott über Ihn? Wir lesen, dass der Vater mehrmals nicht anders konnte als auszurufen, dass dieser sein geliebter Sohn sei, an dem Er Wohlgefallen gefunden hat (Mt 3,17 und Mk 9,7; Lk 9,35). Und zeigte Gott nicht zuletzt dadurch, dass Er seinen Sohn mit Macht auferweckte, dass Er an diesem Sohn sein ganzes Wohlgefallen gefunden hatte?

Wir selbst freuen uns heute darüber, dass sein Leiden für immer beendet ist.

Wie dankbar kann jeder sein, der von Ihm, dem Sohn Gottes sagen kann: „der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat“ (Galater 2,20)! Das erinnert uns an das Gebet des Herrn Jesus: „Ich preise dich Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Verständigen verborgen und es Unmündigen offenbart hast. Ja, Vater, denn so war es wohlgefällig vor dir“ (Mt 11,25.26).

 

Von Verachtung zur Anbetung

Vielleicht fragst du dich jetzt noch, warum denn gerade im Johannesevangelium beschrieben wird, wie die Menschen beson- ders beleidigende Worte für den Herrn fanden.

Nun, dieser Gedanke führt uns zurück zum Anfang unserer Überlegungen. Wird Er nicht gerade durch den unendlichen Kontrast zwischen dem, wie die Menschen Ihn verachtet haben und dem, was Er in seiner ewigen, herrlichen Person – wie uns Johannes Ihn vorstellt – wirklich ist, unseren Herzen viel größer? Strahlt nicht gerade in der beeindruckenden Demut seine moralische Herrlichkeit besonders hervor?

Das führt uns zu einer stillen Bewunderung und Anbetung, in der wir nicht mehr viele Worte machen, sondern uns nur vor Ihm verneigen, um Ihn zu bestaunen.
Das Ergebnis ist, dass die Verachtung der Menschen seine Herrlichkeit nur umso größer hervorstrahlen lässt und uns so zur Anbetung führt.

Das also ist der große Nutzen, den diese kleine Untersuchung mit sich bringen sollte.

Ist Er nicht jeder Anbetung wert?