Beeindruckend
Gottes Werk in Zelle und Konzentrationslager (Teil 1)
Henk L. Heijkoop (1906-1996), ein geschätzter Bibelausleger, stellte bereits als junger Christ sein Leben bewusst unter die Führung des Herrn und diente ihm in vielen Lebensbereichen. Nach der Besetzung der Niederlande durch Deutschland (ab Mai 1940) wurde Heijkoop inhaftiert, unter anderem, weil er Juden geholfen hatte. Einige seiner Erfahrungen in Haft und Konzentrationslager in dieser Zeit hat er nach dem Krieg aufgeschrieben und wir geben sie hier in gekürzter Form wieder.
Sie sollen uns Ansporn sein, unserem Herrn in allen Umständen (die ja meistens viel besser sind als im KZ!) bedingungslos zu vertrauen und seine Güte bewusst zu erleben.
Im Oktober 1942 wurde ich verhaftet und in das Polizeibüro Winschoten gebracht. Am folgenden Nachmittag wurde ich mit einigen anderen per Auto nach Groningen gebracht. Unterwegs mussten wir kurz warten, da ein Reifen fast platt war, und gerade in diesem Augenblick ging ein Bruder vorbei, der mich sah und mit dem ich einige Minuten reden konnte. Manchmal vergessen wir die Realität der Bruderliebe schnell, aber in solchen Augenblicken zwei- feln wir nicht daran. Unser Herz sagt uns, dass sie besteht (1.Joh 5,1; Apg 28,15).
4 Wochen Einzelhaft – und doch glücklich
In Groningen wurden wir an dem Scholten- haus, dem berüchtigten Büro des Sicherheitsdienstes, abgeliefert und anschließend in das Gefängnis gebracht. Dort wurde uns in der Kleiderkammer alles abgenommen, Uhr, Geld, Fotos, Papiere und – das Ärgste von allem – auch meine Bibel. Danach wurden wir in eine Zelle gebracht.
Ich hatte Einzelhaft und musste deshalb allein sitzen, mit dem Verbot zu lesen, zu arbeiten und aus der Kantine etwas zu kaufen. Der Bewacher, der mich dahin brachte, war ein junger Mann, und wie ich hinterher hörte, Mitglied einer reformierten Kirche. Er war sehr freundlich und versicherte mir, dass die Aufseher alles täten, um es uns so angenehm wie möglich zu machen. Das schien tatsächlich wahr zu sein. Das Beste war, dass er mir versprach, eine Bibel zu bringen. Ich müsste sie nach Gebrauch jeweils wegstecken, damit sie nicht direkt gesehen würde; und wenn sie doch entdeckt würde, wollte er sich auf den Standpunkt stellen, dass eine Bibel doch zum Zelleninventar gehöre. Zwei Tage später erhielt ich sie. Ich habe die Freundlichkeit dieses Aufsehers, den ich gerade da so nötig hatte, nie vergessen.
Die ersten vier Wochen habe ich in dieser Zelle verbracht. Im Allgemeinen war ich glücklich. Nicht immer. Die Furcht vor den Verhören und die Sorge um das Zuhause übermannten mich manchmal. Aber die Nähe Gottes wird nie so empfunden wie in den Schwierigkeiten. Und das Lesen von Gottes Wort gibt eine tiefe, ruhige Freude, die stärker ist als alle Schwierigkeiten. Zum Bibellesen hatte ich Zeit, und die habe ich glücklicherweise auch dafür benutzt. Ich las regelmäßig pro Tag fünf bis acht Stunden. Als das Leseverbot aufgehoben wurde, konnte ich auch andere Bücher bekommen. Aber sehr schnell machte ich davon keinen Gebrauch mehr. Die Bibel wurde mir zu kostbar, und ich gönnte mir keine Zeit, um andere Bücher zu lesen, außer einer Reiseerzählung.
Ich betrieb kein eigentliches Bibelstudium. Das hatte ich zu Hause jahrelang mit viel Freude für mein Herz getan. Hier aber las ich betend zuerst 1. Mose und dann im NT von Matthäus 1 an immer weiter, ohne Stellenvergleiche und ohne zu versuchen, die tiefere Bedeutung zu verstehen. Ich ließ das Wort auf mich einwirken und blieb beim ersten Eindruck stehen. So empfand ich
- die wunderbare Gnade und Liebe, die in allen Taten und Worten Gottes und des Herrn Jesus gesehen wird;
- seine Herrlichkeit, die nicht verborgen bleiben konnte, auch wenn Er in Niedrigkeit seinen Weg ging;
- seine Sorge um die Seinen in allen Umständen etc.;
- später dann die herrlichen Segnungen in den Briefen von Paulus.
Das hatte mein Herz in der Zeit nötig. Und das Ergebnis geht aus dem Zitat eines Briefes hervor, den ich in der Zelle geschrieben habe: „Mir geht es bestens. Ich versuche, nach Matthäus 6,34, Römer 12,12 und Philipper 4,4.6 zu leben, und erfahre Vers 7 aus Philipper 4 („Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus“). Ich kann 5-8 Stunden im Wort lesen, und das macht mich so glücklich. Es bewirkt eine solche Ruhe u. Freude, dass es nicht auszudrücken ist. Dadurch kann ich viel singen. Während der 2 x 25 Minuten Ausgang pro Tag singe ich beinahe die ganze Zeit und manchmal auch in meiner Zelle. Gestern sang ich während des Ausgangs: „All‘ den Weg leit‘t mich mein Heiland“, und da flötete ein anderer mit.“
Das kann nur Gottes Gnade in einem schwachen Menschenherz bewirken. Die Erfahrungen vieler anderer Gläubiger, mit denen ich sprach, waren die gleichen. Eine Gruppe junger Menschen aus Meppel, die zum Tod verurteilt waren, saßen in Scheveningen in der Zelle. Als sie erfuhren, dass sie am nächsten Tag erschossen werden sollten, haben sie die Nacht gemeinsam damit zugebracht zu beten, Loblieder zu singen und denen, die in anderen Zellen in der Nähe saßen, das Evangelium zu bringen. Ein anderer zum Tode Verurteilter, der in ihrer Nähe saß, hat es beschrieben und eine Möglichkeit gehabt, seinen Brief aus dem Gefängnis zu schleusen. Kurz danach wurde er standrechtlich erschossen, aber sein Abschiedsbrief und das Zeugnis über die Mitgefangenen zeigen, wie Gott sein Herz gestärkt und ihm während der langen vier Monate, die zwischen Verhandlung und der Urteilsvollstreckung lagen, Freude gegeben hat.
Im Durchgangslager Amersfoort
Am 20. November 1942 wurden wir zusam- men mit 14 anderen Männern aus dem Gefängnis in Groningen zum P.D.A. (Polizeiliches Durchgangslager Amersfoort) gebracht. Ich will nicht weiter eingehen auf den Empfang und die Behandlung der Juden. Ihr Zustand war noch schlechter. Der Zustand und die Atmosphäre des P.D.A.‘s im Jahr 1942 ist nur von denen zu begreifen, die das alles mitgemacht haben.
Etwas, das mich in den ersten Tagen am meisten traf, war die Behandlung der Juden. Die deutsche Lagerleitung und die Bewacher konnten keinen Juden sehen, ohne auf ihn loszuschlagen. Auch die Niederländer, die einen Posten ergattert hatten, nahmen daran teil, um die Gunst der Lagerleitung zu erlangen bzw. darin zu bleiben. Ich habe gesehen, wie verschiedene Juden totgeprügelt wurden oder in die Stacheldrahtumzäunung geschlagen wurden, wo sie dann von den Bewachern angeschossen wurden, um langsam zu sterben. Nie habe ich die Antwort Gottes auf ihren Ausruf „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ (Matthäus 27,25) so in seiner ganzen Schrecklichkeit gefühlt wie in diesen ersten Tagen. Wir haben darüber viel gesprochen. Und von selbst kamen unsere Gedanken dann auf Ihn, der alles Leid der Misshandlung, des Hasses und der Verachtung gekannt hat, viel tiefer als wir es je empfinden können (Hebräer 12,2-3).
Durch Leiden gerettet
Obwohl ich gut wusste, dass wir aus eigener Kraft nichts können und ich auch auf den Herrn vertraute, kam auf dem Weg in das Lager doch die Frage in mir hoch: Andere kommen hier gut davon, du wirst auch schon durchkommen. Du bist stark und gesund, warum also nicht? Als ich ein paar Wochen da war, ließ der Herr mich sehen, dass Er allein bewahren kann und dass Vertrauen auf eigene Kraft und eigenes Können Torheit ist.
Während einer der berüchtigten Appelle in diesem Winter verlor ich drei- oder viermal das Bewusstsein. Durch Gottes Leitung wurde ich in die Krankenbaracke aufgenommen, wo klar wurde, dass ich ein Magengeschwür bekommen hatte. Menschlich gesehen war mein Zustand sehr bedenklich. Wie jeder andere Neuling hatte ich in den ersten Wochen pro Tag ungefähr ein Pfund abgenommen.
Durch das Fieber, und weil ich das Essen, das wir bekamen, nicht vertragen konnte, wurde alles noch schlimmer. Obwohl mich der Herr vor Auflehnung bewahrte, kam doch die Frage hoch, warum das sein müsste. In seiner Gnade hat der Herr mir, abgesehen von dem oben genannten Grund, hierauf später in Vught noch eine Antwort gegeben: Dort konnte ich heimlich meine Akte lesen, in der stand, dass ich in ein berüchtigtes deutsches KZ gesandt werden sollte. Durch meine Krankheit hat das nicht geklappt. Herr Scholtens (ein anderer Häftling) ist da in der Zeit wohl hin transportiert worden und innerhalb eines Monats verstorben.
Bibeln gab es in diesem Lager in Amersfoort fast gar nicht. Der Besitz war streng verboten, und auch unter den Gefangenen gab es Verräter. Diejenigen, die eine hatten, waren deshalb sehr vorsichtig damit und liehen sie nur an vertrauenswürdige Personen aus. Dort gingen sie dann von Hand zu Hand; der eine hatte sie eine Stunde, ein anderer zwei etc.
Nachdem ich einige Wochen in der Krankenbaracke gelegen hatte, bekam ich zum ersten Mal eine Bibel. Die Weise, in der ich den Besitzer kennen lernte, war merkwürdig: Im Waschsaal, in dem sich morgens drei- bis vierhundert Bewohner der Krankenbaracke waschen mussten, hörte ich, wie jemand einen anderen darauf hinwies, dass Gott alle Dinge lenkt. Als Beweis nannte er einige Texte. Ich erwähnte dann den ersten Teil aus Sacharja 6. Ein oder zwei Tage später erkannte mich der Sprecher wieder in der Waschecke und fragte, wie ich das gemeint hätte. Er hatte die Stelle gelesen, aber verstand nicht, wie er sie mit seiner Bemerkung in Verbindung bringen konnte. Dadurch wusste ich, dass er eine Bibel besaß. So bekam ich sie schon bald für einige Stunden zu lesen, ein unsagbarer Reichtum, wenn man einige Wochen ohne sie auskommen musste.
Der Besitzer dieser kleinen Bibel war ein Niederländisch-Reformierter Prediger aus der Provinz Groningen, der damals bereits einige Monate in Amersfoort war und dadurch an das „Klima“ gewöhnt war. In den Wochen nach unserem Kennenlernen bis zum 7. Januar 1943, als sie freigelassen wurden, habe ich große Achtung vor ihm und seinen Kollegen, mit denen er zusammenarbeitete, bekommen. Sie sind für viele zum Segen gewesen in den dunklen Tagen im Dezember 1942.
Gottesdienstliche Zusammenkünfte waren streng verboten. Dennoch wurden sie in einigen Baracken, wo die Saalleiter (selbst Gefangene) ihnen nicht feindlich gegenüber standen, jeden Sonntag gehalten; in der Krankenbaracke noch öfter. Wegen der Gefahr waren sie immer klein, mit 5 bis 15 Personen, zwischen den Betten, so dass die Leute bei aufkommender Unruhe schnell auseinander gehen konnten.
Gewöhnlich wurde gebetet, eine Stelle vorgelesen und etwas darüber gesagt, und dann wieder gebetet, insgesamt ungefähr eine Viertelstunde lang. Gesungen wurde natürlich nie. Das Interesse war immer groß, aber wegen der Gefahr wurden nur vertrauenswürdige Personen eingeladen. Besonders während der Weihnachtstage 1942 haben viele solcher Zusammenkünfte stattgefunden.
Die Gute Botschaft im Lager
Außerdem sprachen wir in der Kranken- baracke regelmäßig mit den Patienten. Meistens machte das jeder in seinem Saal, denn offiziell durfte man nicht in einen anderen Saal kommen. So ging ich, als ich wieder aufstehen konnte, jeden Morgen an den Bettpatienten entlang. Da habe ich den Segen von Konzentrationslagern kennen gelernt. Mit Dutzenden Menschen habe ich gesprochen, von der höchsten bis zu den niedrigsten Klassen der Gesellschaft, mit Katholiken und Protestanten, mit Gläubigen und Namenschristen, ja selbst mit Gottesleugnern. Niemand lehnte es ab, über den Herrn Jesus zu sprechen. Es glaubten oder nahmen zwar nicht alle an, was wir sagten. Aber doch hat sich meiner Erinnerung nach niemand geweigert, über den Herrn Jesus zu sprechen. Da fielen alle die Dinge weg, auf die sich der Mensch so gerne stützt: Reichtum, Stellung, Kenntnis, Ansehen, Umgebung, Familie etc.
Und wenn dann unter der erniedrigenden Behandlung und den Umständen die Maske der so genannten Bildung wegfiel und die wahre Art des Menschen sichtbar wurde, wurde sein Selbstbewusstsein und Selbstrespekt erschüttert. Und kam dann noch Krankheit mit der Aussicht hinzu, hier sterben zu müssen, so war der Hochmut meistens gebrochen. Wie dankbar waren sie oft, wenn sie ihr Herz ausgeschüttet und wir dann gebetet hatten, oder wenn ich einige Stellen aufgesagt oder, wenn ich bei einer der wenigen Male eine Bibel oder ein Neues Testament hatte und daraus vorgelesen hatte.
Sicher sind nicht alle zur Bekehrung gekommen, und bei einigen, die es damals bekannten, habe ich später, als sie frei waren, ein Fragezeichen setzen müssen. Aber daneben habe ich überzeugende Beweise der Wirkung von Gottes Geist gesehen.
Diese Wochen in der Krankenbaracke im Lager Amersfoort gehören mit zu den glücklichsten meines Lebens. Das Bewusstsein von Gottes Gemeinschaft und der Tatsache, von Ihm gebraucht zu werden, und auch die Kraft von Gottes Wort zu sehen, gaben eine Freude in das Herz, die durch nichts gestört werden kann.
Kommentare
Nützliche Links
Elberfelder Übersetzung
Die Elberfelder Übersetzung Edition CSV ist eine wortgetreue Übersetzung der Bibel in verständlicher Sprache. Auf dieser Webseite können Sie den Bibeltext vollständig lesen und durchsuchen. Zudem werden Werkzeuge angeboten, die für das Studium des Grundtextes hilfreich sind.
www.csv-bibel.deDer beste Freund
Diese Monatszeitschrift für Kinder hat viel zu bieten: Spannende Kurzgeschichten, interessante Berichte aus anderen Ländern, vieles aus der Bibel, Rätselseiten, Ausmalbilder, Bibelkurs, ansprechende Gestaltung. Da Der beste Freund die gute Nachricht von Jesus Christus immer wieder ins Blickfeld rückt, ist dieses Heft auch sehr gut zum Verteilen geeignet.
www.derbestefreund.deIm Glauben leben
Diese Monatszeitschrift wendet sich an alle, die ihr Glaubensleben auf ein gutes Fundament stützen möchten. Dieses Fundament ist die Bibel, das Wort Gottes. Deshalb sollen alle Artikel dieser Zeitschrift zur Bibel und zu einem Leben mit unserem Retter und Herrn Jesus Christus hinführen.
Viele Artikel zu unterschiedlichen Themen - aber immer mit einem Bezug zur Bibel.
www.imglaubenleben.de