Entschuldigung - Inflation eines Begriffes

Entschuldigung – Inflation eines Begriffs

„Ich entschuldige mich bei dir“ – wie oft habe ich diesen oder einen ähnlichen Ausspruch in letzter Zeit gelesen. Nun ist dieser Ausdruck an sich schon stilistisch etwas „schief“. Ich kann mich nicht entschuldigen, d.h. von Schuld freisprechen. Das muss schon der tun, gegen den ich mich verschuldet habe. Ich kann ihn wohl um Entschuldigung bitten. Aber wie ernst ist das Ganze überhaupt gemeint?

  • Da verschweigt jemand seine Tat, solange es nur geht. Wenn es dann gar nicht mehr zu verheimlichen ist, weil es schon in allen Medien verbreitet wird – na, dann entschuldigt man sich eben. Eine „Person“ des öffentlichen Lebens entschuldigt sich bei einem „Kollegen“ für eine beleidigende Äußerung über denselben, fügt aber gleich hinzu, inhaltlich nehme er nichts zurück. Nanu, was ist denn das für eine „Entschuldigung“, bei der man anschließend sagt: „Und ich bleibe trotzdem dabei“?
  • Eine politische Partei entschuldigt sich für historische Vergehen, vergisst aber nicht, darauf hinzuweisen, dass die anderen, gegen die man sich verschuldet hat, auch „Dreck am Stecken haben“. Dann sind wir ja quitt, oder?

Warum erwähne ich das in einem Artikel in „Folge mir nach“? Weil wir hier ein menschliches Grundproblem finden, das auch immer wieder in den Berichten der Bibel anzutreffen ist. Mindestens sieben Personen haben das Bekenntnis abgelegt „Ich habe gesündigt“, aber nur zwei (!) haben es aufrichtig gemeint. Schauen wir uns die „Entschuldigungen“ einmal genauer an.

Bekenntnis als Schadensbegrenzung – der Pharao

Der Pharao von Ägypten, ein hartnäckiger Widersacher des Volkes Gottes, will dieses Volk auf keinen Fall ziehen lassen. Doch in der Auseinandersetzung mit dem lebendigen Gott kann der Pharao nicht bestehen. Die Strafe Gottes für die Hartnäckigkeit des Pharao ist hart. Das bringt ihn, zweimal zu einem „Bekenntnis“, nachdem der Hagel und die Heuschrecken die Erzeugnisse seines ganzen Landes, seine wirtschaftliche Existenz sozusagen, zerstört haben: „Ich habe dieses Mal gesündigt, der Herr ist der Gerechte, ich aber und mein Volk sind die Schuldigen“ (2. Mo 9,27). „Ich habe gesündigt gegen den HERRN, euren Gott, und gegen euch! Und nun vergib doch meine Sünde nur dieses Mal“ (2. Mo 10,17). Der weitere Verlauf macht deutlich, dass dies nur ein Lippenbekenntnis war. Wenn es an die Substanz geht, wird es schmerzlich. Vielleicht, denkt Pharao, kann ein Bekenntnis die Folgen lindern und den wirtschaftlichen Absturz Ägyptens verhindern.

Ja, wenn ich das gewusst hätte – Bileam

Da versteht ein böser Prophet die Hinweise nicht, die Gott ihm durch sein Tier geben will und schlägt den „treuen Esel“ fast zu Tode. Als ihm endlich die Augen aufgehen, dass der Engel des HERRN ihm entgegengetreten ist, kommt das Bekenntnis aus seinem Mund: „Ich habe gesündigt, denn ich wusste nicht, dass du mir auf dem Wege entgegenstandest; und nun, wenn es übel ist in seinen Augen, so will ich umkehren“ (4. Mo 22,34). – Bileam ist nicht aufrichtig. Gottes Gedanken hätte er längst wissen können. Und wirklich umkehren, „wenn es übel ist in seinen Augen“, will er auch nicht. Dass er auf einem falschen Weg ist, sieht er bis zum Schluss nicht ein. Er will zwar gerne den Tod eines Gerechten sterben, allerdings ohne zu begreifen, dass er dafür auch das Leben eines Gerechten leben muss (4. Mo 23,10).

Wo es doch nicht mehr zu leugnen ist – Achan

„Fürwahr, ich habe gegen den HERRN, den Gott Israels gesündigt“ (Jos 7,20). – Noch ein Sündenbekenntnis, doch wann legte Achan es ab? Er hatte von der verbannten Kriegsbeute genommen und in seinem Zelt verborgen. Doch dann macht Gott die Sache offenbar – durch das Los. Die Schlinge um den Hals Achans wird immer enger: Der Stamm Achans wird getroffen, dann sein Geschlecht, sein Haus – doch Achan schweigt. Die Männer des Hauses treten hervor – Achan schweigt. Dann trifft ihn das göttliche Los. Jetzt, wo alles offenbar ist, gibt er es zu. Zu spät, Achan! Wenn die ungläubigen Menschen einmal vor Gottes Thron stehen werden, und Gott alle ihre Sünden – auch die verborgenen, die andere Menschen nicht erfahren haben – offen legen wird, dann ist es zu spät für ein Sündenbekenntnis.

Schuldbekenntnis zur Ehrenrettung – Saul

Saul hatte in Eigenwillen und Ungehorsam nicht auf Samuel gewartet, sondern selbst geopfert. Auf die ernsten Vorhaltungen Samuels hin legt auch Saul ein Bekenntnis ab. Sogar gleich zweimal kurz hintereinander. Aber dieses Beispiel ist es wert, genau gelesen zu werden: „Ich habe gesündigt, dass ich den Befehl des HERRN und deine Worte übertreten habe, denn ich habe das Volk gefürchtet und auf seine Stimme gehört“ (1. Sam 15,24). „Ich habe gesündigt! Nun ehre mich doch vor den Ältesten meines Volkes und vor Israel“ (1.Sam 15,30).

Saul spielt das uralte Spiel des Menschengeschlechtes: Erstens: Die Schuld reduzieren, indem man anderen (dem Volk) die Mitschuld gibt (siehe Garten Eden). Zweitens: Bloß nicht das Gesicht verlieren. Was sollen denn die anderen von mir denken? So ein Bekenntnis jedoch ist vor Gott nichts wert.

Reue statt Buße – Judas

Judas, der Verräter – eine der tragischsten Personen der biblischen Geschichte – spricht auch diesen Satz aus: „Als nun Judas, der ihn überliefert hatte, sah, dass er (Jesus) verurteilt wurde, gereute es ihn ... Ich habe gesündigt, indem ich schuldloses Blut überliefert habe“ (Mt 27,4). Der Text macht deutlich, was das Motiv des Judas zu diesem Bekenntnis war, nämlich Reue. Man bereut eine Tat, weil sie anders gelaufen ist, als geplant und weil man die Folgen „loswerden“ will. Aber solch eine Reue allein ist noch keine Buße, kein wirkliches Einsehen der persönlichen Schuld. Reue rettet niemand – auch Judas nicht. Sie treibt ihn im Gegenteil in den Selbstmord.

Ein offenes Bekenntnis – der Weg ans Vaterherz

Doch die Bibel berichtet auch von Menschen, die durch ein rückhaltloses Bekenntnis ihrer Schuld vor Gott Vergebung ihrer Sünden empfingen.

Das sicher bekannteste Beispiel ist die Geschichte vom so genannten „verlorenen Sohn“ in Lukas 15. Nachdem er „ganz unten“ angekommen ist und schließlich „zu sich selbst“ kommt (V. 17), d.h. seine Situation realistisch (also wie sie in den Augen Gottes wirklich ist) einsieht, kommt die Erkenntnis in seinem Herzen auf: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und will zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir ...“ (V.18). Und es bleibt nicht nur bei einem guten Vorsatz. Er führt ihn auch aus (siehe V. 21)! Durch diese Begebenheit zeigt uns der Herr Jesus den einzigen Weg eines Sünders an das Vaterherz Gottes: ein offenes Schuldbekenntnis – ohne Wenn und Aber.

Wiedergewonnene Freude des Heils – David

Leider kommt es auch im Leben eines Gläubigen, der einmal den Weg des verlorenen Sohnes „gegangen“ ist, wieder vor, dass er sündigt. Das stört die Gemeinschaft mit Gott und dem Herrn Jesus, und die Freude geht verloren. Auch hier gibt es einen Weg zurück, und zwar ist es prinzipiell derselbe Weg: ein Bekenntnis der Schuld vor dem Herrn.

Das sehen wir im Leben Davids. Dieser „Mann nach dem Herzen Gottes“ war nicht fehlerlos, aber bereit, seine Schuld einzugestehen. Als der Prophet Nathan ihm seine schlimme Sünde des Ehebruchs mit Bathseba und des Mordes an deren Mann Urija vorhält, ist Davids Reaktion eindeutig: „Ich habe gegen den HERRN gesündigt“ (2. Sam 12,13). Keine Einschränkung, keine Selbstrechtfertigung. Deshalb kann Nathan ihm auch die Vergebung Gottes zusprechen.

Als David eine Volkszählung durchführt, um zu sehen, wie „stark“ Israel ist, war dies in Gottes Augen nicht recht. Er sollte auf Gott vertrauen, nicht auf eigene Stärke. Da lesen wir auf einmal: „Aber dem David schlug sein Herz, nachdem er das Volk gezählt hatte und David sprach zu dem HERRN: Ich habe sehr gesündigt ...“ (2. Sam 24,10). Wie gut, wenn uns „das Herz noch schlägt“, wenn wir gesündigt haben. Dann besteht noch Hoffnung. Sehr schön ist auch, was David etwas später in diesem Kapitel sagt: „Siehe, ich habe gesündigt, und ich habe verkehrt gehandelt; aber diese Schafe, was haben sie getan?“ (2. Sam 24,17) David will diese Schuld nicht auf andere abschieben. Im Gegenteil, er nimmt alle Schuld auf sich. Ein vorbildliches Bekenntnis.

„Sich outen“ oder bekennen?

Neben den „wohlfeilen Entschuldigungen“, von denen am Anfang des Artikels die Rede war, ist ein anderer Ausdruck in zunehmendem Gebrauch: das „neudeutsche“ sich outen (vom engl. out – aus, heraus), also an die Öffentlichkeit gehen. In den Medien, in Talkshows u.ä. hat dies Konjunktur. Die intimsten Details, die perversesten und brutalsten Gedanken werden vor einem Millionenpublikum ausgebreitet. Aber dies ist alles andere als ein Bekenntnis, denn die Betreffenden haben durchaus nicht das geringste Schuldbewusstsein dabei. Dies ist allerdings nicht neu. Das gab es schon in Sodom und selbst in Israel, dem Gott vorwerfen musste: „Und von ihrer Sünde sprechen sie offen wie Sodom“ (Jes 3,9). Ist Deutschland 2001 auch wie Sodom? Es scheint so.

Nein, wir Christen sprechen nicht offen von unserer Sünde „wie Sodom“ – d.h. vor der Öffentlichkeit, aber wenn wir versagt haben, dann sprechen wir offen von unserer Sünde „wie David“ – im aufrichtigen Schuldbekenntnis vor Gott und vor dem Menschen, gegen den wir gesündigt haben. Das führt zu einem befreite, freudigen Leben in Gemeinschaft mit unserem Herrn.

 

Siehe, ich habe gesündigt, und ich habe verkehrt gehandelt; aber diese Schafe, was haben sie getan? (2. Sam 24,17)