Bibelstudium

Timotheus - Diener Jesu Christi

1. Vorwort

Wir besitzen in der Bibel keine zusammenhängende Lebensbeschreibung über Timotheus, wie wir sie beispielsweise über David, Joseph, Daniel oder andere fin-den. Er nimmt im Neuen Testament auch keinen großen Platz ein. Er wird vierundzwanzigmal in der Apostelgeschichte und elfmal in den Briefen erwähnt, von denen zwei an ihn selbst gerichtet sind. In sechs Briefen verbindet sich Paulus als Schreiber mit Timotheus. Dazu gehören nicht die Briefe an die Römer, Galater und Epheser, in denen sich Paulus allein in seiner apostolischen Autorität an die Empfänger wendet, sowie der Brief an Titus, der sehr persönlich ist.

Wir werden die verschiedenen Stellen, wo er genannt wird, aufsuchen, um zu sehen, was das Wort uns über diesen Mann Gottes sagt. Er bleibt für uns ein bemerkenswertes Beispiel in bezug auf die Art und Weise, wie der Herr einen Diener beruft und formt und schließlich zum Wohl der Seinen benutzt.


2. Das Leben des Timotheus

2.1. Kindheit und Jugendzeit

Lies zunächst Apostelgeschichte 16,1-3; 2. Ti-motheus 1,5; 3,14.15

 

2.1.1. Die Familie

In der Bibel wird uns ausdrücklich berichtet, daß die Mutter des Timotheus, Eunike, eine „gläubige jüdische Frau" war. Dieser „ungeheuchelte Glaube" wohnte schon in der Großmutter des Timotheus, der Lois. Es handelte sich also um zwei Frauen, die im Judentum aufgewachsen waren, die den gleichen Glauben an Gott wie Paulus besaßen, der Gott von seinen Voreltern her diente (2. Tim 1,3). Es handelte sich also um den Glauben eines Juden, der im Sinne des Alten Testamentes als gottesfürchtig zu bezeichnen war.

Der Vater des Timotheus hingegen war ein Grieche. Wir finden über ihn keine weiteren Mitteilungen. Man kann daher annehmen, daß er im Gegensatz zu seiner Mutter nicht gläubig war oder zumindest nicht den gleichen Glauben besaß. Timotheus wurde wohl aus diesem Grund nicht beschnitten.

Wir haben hier also eine geteilte Familie: eine gottesfürchtige Mutter und einen Vater, der zumindest gleichgültig war. Wie war Eunike wohl dazu gekommen, einen heidnischen Mann zu heiraten, ganz im Gegensatz zum Gesetz, das sie wohl gut kannte? Darüber wird uns nichts mitgeteilt. Aber die Schwierigkeit war nun vorhanden, wie es auch in vielen Familien heute der Fall ist.

Eine solche Lage kann auch dadurch entstehen, daß sich der eine Ehepartner nach der Hochzeit bekehrt, während der andere dem christlichen Glauben fernbleibt. Sie kann auch dadurch entstehen, daß - völlig im Gegensatz zur Bibel, denken wir nur an 2. Korinther 6,14.15 - ein Gläubiger eine ungläubige Person heiratet. Sie kann schließlich leider auch dadurch entstehen, daß eine Person vorgibt, gläubig zu sein, sich dann aber zurückwendet: Der Glaube war nicht wirklich vorhanden, er war nur eine Folge der Erziehung. Manchmal wirkt der Feind, indem er einen Gläubigen vom Glaubensweg abbringt, zumindest für eine Zeit.

Wie schwierig ist es, unter solchen Voraussetzungen die Kinder in der Zucht und Ermahnung des Herrn zu erziehen (Eph 6,4). Welch eine traurige Lage für viele gläubige Mütter, denen Gott dennoch zu Hilfe kommen kann, wie Er das auch im Fall des Timotheus getan hat. Eunike hat sich durch ihren Ehemann nicht davon abhalten lassen, ihren Sohn nach der Bibel zu erziehen: „Von Kind auf" kannte Timotheus die heiligen Schriften. Sie hatte zweifellos die Ermahnung befolgt, die in 5. Mose 6,6-9 den Vätern gegeben wurde: „Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen auf deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen ...". Sie hatte hin- nehmen müssen, daß ihr Sohn nicht beschnitten wurde. Aber was die Unterweisung des Wortes Gottes betraf, so hatte sie sich richtig verhalten.

Es war jedoch noch mehr nötig: Gott mußte selbst ein Werk in dem jungen Timotheus voll-bringen. Timotheus mußte persönlich glau-ben, damit er das göttliche Leben empfangen konnte.


2.1.2. Die Bekehrung

Gott hat sein Werk im Herzen des Timotheus vollbracht. Das sehen wir in 2. Ti-motheus 3,14.15. Von seiner Kindheit an „kannte" er die heiligen Schriften. Sie konnten ihn zur Errettung weise machen. Dafür war

"der Glaube, der in Christus Jesus ist", not-wendig. Danach hatte er zweifellos von Paulus selbst all das „gelernt", was das Evangelium und die Wahrheiten, die damit zusam-menhängen, betraf. Schließlich war Timotheus von diesen Dingen völlig „überzeugt" worden. Lernen allein reicht nicht aus, so nötig es auch ist. Eine persönliche, innere Uberzeugung ist nötig. Sie kann nur auf dem Wort Gottes ruhen, der Quelle selbst, dem Fundament jeder Sicherheit, wobei es der Geist Gottes ist, der uns belehrt.

Man kann den Weg zu dieser Überzeugung in vier Stufen unterscheiden:

  1. Die Kenntnis der Schriften: Man erwirbt sie in der christlichen Familie, in der Sonntagsschule und in den Zusammenkünften.
  2. Der Glaube: Der Glaube bestätigt, daß Gott wahr ist. Der Glaube nimmt sein Wort in Herz und Gewissen auf, um sich an den Herrn Jesus, den alleinigen Heiland, zu klammern.
  3. Das Wachstum in den Dingen des Herrn: Hier zeigt sich, wie wichtig Bibelstudium und das Besuchen der Zusammenkünfte ist. Man zieht Nutzen von mündlichen Auslegungen, ohne dabei christliche Literatur zu vernachlässigen. Für letzteres sollte ein junger Gläubiger zumindest eine gewisse Zeit an jedem Tag reservieren.
  4. Die persönliche Uberzeugung: Sie ergibt sich nicht einfach aus dem, was man schon kannte oder von anderen gelernt hat. Sie wird durch die Gnade und das Wirken des Geistes Gottes hervorgebracht, wenn man die Wahrheit der Schrift näher überdenkt. „Bedenke, was ich sage; denn der Herr wird dir Verständnis geben in allen Dingen" (2. Tim 2,7).

Wann wurde dieses Werk der Gnade im Herzen des Timotheus vollbracht? Bei der sogenannten zweiten Missionsreise des Paulus. Als er nach Derbe und Lystra kam, war dort „ein gewisser Jünger, mit Namen Timotheus". Timotheus war also nicht nur ein Kind Gottes, sondern auch ein Jünger und als solcher be-kannt. Er hatte zu diesem Zeitpunkt schon ein gutes Zeugnis der Brüder dieser Region. Somit lag seine Bekehrung bereits eine Zeit zurück.

Bei seiner ersten Missionsreise war Paulus bereits an Ikonium, Derbe und Lystra vorbeigekommen (Apg 14). Eine große Anzahl Juden und Griechen war dort zum Glauben gekom-men. Paulus selbst und Barnabas waren grausam verfolgt worden. Paulus erwähnt diese Verfolgung sogar noch am Ende seines Le-bens. Sie war für ihn eine schmerzhafte Erin-nerung. So schrieb er an Timotheus: „Du aber hast genau erkannt ... meine Verfolgungen, meine Leiden: welcherart Leiden mir widerfahren sind in Antiochien, in Ikonium, in Lystra; welcherlei Verfolgungen ich ertrug, und aus allen hat der Herr mich gerettet" (2. Tim 3,10.11).

Zeigen uns diese Verse nicht, daß Timotheus Zeuge all dieser schrecklichen Verfolgungen gewesen war? Er hatte verstanden, daß sie nicht einem Übeltäter oder einem Politiker galten, der sich gegen die römische Besatzung auflehnte, sondern daß Paulus sie um des Glaubens willen zu erleiden hatte (vgl. Phil 1,12-14). Anläßlich des ersten Besuchs des Paulus in dieser Gegend war der Sohn der Eunike also offensichtlich mit dem Evangelium in Berührung gekommen. So hatte er bereits miterlebt, was es zur Folge hatte, wenn man sich öffentlich zum Evangelium bekannte. Vielleicht gehörte er zu denen, „die ihn [Paulus] umringten" (Apg 14,20), nachdem er gesteinigt worden war. Kurze Zeit später kamen Paulus und Barnabas wieder nach Lystra und Ikonium und Antiochien „und befestigten die Seelen der Jünger, und ermahnten sie, im Glauben zu verharren, und daß wir durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssen" (Apg 14,22).

Zwischen diesen beiden Besuchen des Paulus in Lystra und seiner zweiten Missionsreise lagen ungefähr vier Jahre. Vor der ersten Reise kannten Timotheus und seine Familie sicherlich noch nicht das Evangelium. Bei der zweiten Missionsreise des Paulus war Timotheus bereits ein Jünger mit einem guten Zeugnis. Die Verfolgungen, deren Zeuge Timotheus gewesen war, hatten einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, genauso wie die Ermunterung, „im Glauben zu verharren" (V. 22). Trotz Verfolgungen auszuharren blieb das beherrschende Kennzeichen des Beispiels und der Belehrungen des Apostels an seinen geliebten Jünger.

Um treu zu bleiben, benötigt man die Kraft Gottes als Antwort auf das Gebet: Sie beteten „mit Fasten und befahlen sie dem Herrn an, an den sie geglaubt hatten" (Apg 14,23).

 

2.1.3. Die Berufung zum Dienst

Aus Apostelgeschichte 16,3 können wir schließen, daß Timotheus anläßlich der zweiten Reise des Paulus in den aktiven Dienst eingetreten ist, für den er zubereitet worden war.

Er war ein „Jünger", der sich eines „guten Zeugnisses der Brüder" seiner örtlichen Versammlung und der ganzen Gegend erfreute (V. 2). Hinsichtlich seiner Gnadengabe, die Gott ihm verliehen hatte, waren „Weissagun-gen" ausgesprochen worden (1. Tim 1,18; 4,14). Timotheus hatte diese Gnadengabe, insbesondere die Gabe des Hirten und Lehrers empfangen. Die Altesten seiner Gegend hatten diese Überzeugung gewonnen und ihm ihre Gemeinschaft durch das Auflegen der Hände deutlich gemacht (1. Tim 4,14). Auch Paulus selbst erinnert Timo-theus daran, daß er ihm deshalb die Hände aufgelegt habe (2. Tim 1,6). Er war mit seinem jungen Begleiter von Herzen verbunden.

Das ist nun die Grundlage für jeden Dienst: Zunächst die neue Geburt, d. h. der Empfang des göttlichen Lebens durch den Glauben, dann die geistliche Entfaltung des Lebens durch das ernste Erforschen der Schriften. Auch das gute Zeugnis über den Wandel, das von anderen Personen gegeben wird, gehört dazu. Schließlich gehört dazu, daß die Gnadengabe Gottes durch die Gemeinschaft, die Brüder mit geistlichem Unterscheidungsvermögen hinsichtlich dieser Gabe üben können, bestätigt wird.

Da diese Voraussetzungen bei Timotheus gegeben waren, „wollte Paulus", daß Timotheus mit ihm ginge! Paulus hatte zweifellos ein klares geistliches Unterscheidungsvermögen, wie nur wenige Menschen es besitzen. Nichtsdestoweniger ist die Ermunterung, die ältere Brüder an jüngere zu Beginn ihres Dienstes für den Herrn weitergegeben haben, häufig entscheidend gewesen für deren weiteren christlichen Weg. „Die Hände lege niemand schnell auf", schrieb der Apostel später an Timotheus (1. Tim 5,22). Wenn aber das Leben Gottes seine Früchte trägt, das Zeugnis dem ent-spricht, was der Gläubige empfangen hat, und der Herr deutlich macht, daß er einen jüngeren Bruder in seinem Dienst benutzen will, besteht dann nicht auch Anlaß, einen solchen nach dem Beispiel des Apostels in Weisheit zu ermutigen, zu unterstützen und ihm eine Hilfe zu sein?

Paulus nahm Timotheus nun mit sich auf die weitere Reise. Es hat fast den Anschein, als handele es sich um ein „Entreißen" des jungen Mannes. Vielleicht gab es einiges Zögern innerhalb der Familie: Sogar eine gottesfürchtige Mutter trennt sich nicht leicht von ihrem Kind, vor allem nicht, wenn es weit weg in schwierige Umstände kommen wird. Fürchtete Timotheus selbst vielleicht einen Weg, auf dem er Leiden und Widerstand, Gefahren und Versuchungen zu erleiden hätte? Was auch die Umstände gewesen sein mögen - die Entscheidung des Paulus führte seinen Begleiter Timotheus zu derselben eigenen Entscheidung.

Vor der Abreise „beschnitt ihn" Paulus noch. Es mag ein wenig seltsam erscheinen, daß der Apostel das tat. Die Juden hätten ihn nicht beschnitten, weil sein Vater Grieche war (vgl. Esta 9; 10; Neh 13,23-31). Unter dem Gesetz war ein Kind aus einer Mischehe unrein. Im Gegensatz dazu sind die Kinder in der Zeit der Gnade „heilig", selbst wenn nur einer der beiden Elternteile gläubig ist (1. Kor 7,14). „Heilig" bedeutet: für Gott abgesondert sein, Teilhaber der Vorrechte einer christlichen Umgebung und Atmosphäre zu sein (wobei das in keiner Weise eine Entschuldigung ist, einen Ungläubigen zu heiraten!).

Aus Sicht der Juden wäre es also nicht nach dem Gesetz gewesen, Timotheus zu beschnei-den. Aus christlicher Sicht war das genau das Gegenteil des ausdrücklichen Befehls des Apostels an die Galater: „Siehe, ich, Paulus, sage euch, daß, wenn ihr beschnitten werdet, Christus euch nichts nützen wird" (Gal 5,2). Warum beschnitt Paulus denn Timotheus? Wohl nicht, um für ihn ein besonderes Verdienst zu erwerben, wie es die Galater darin suchten, sondern „wegen der Juden, die in jenen Orten waren" (Apg 16,3). Es ist ein Zeichen des Entgegenkommens seitens des Paulus, um so viele wie möglich zu „gewinnen" (1. Kor 9,20-23). Für die Juden wurde er wie ein Jude; für die, die unter Gesetz waren, wie unter Gesetz, ohne daß er es in Wirklichkeit war.

Für Timotheus war dies eine sehr schmerzhafte und demütigende Erprobung (1. Mo 34,25), es war so etwas wie ein Preis, den er für seinen Dienst bezahlen mußte. Von uns wird nicht dasselbe gefordert, eins aber doch: Selbstentsagung und Verzicht auf verschiedene Dinge, selbst solche, die allem Anschein nach gut sind; Unverständnis der Umgebung oder lieber Freunde; geistliche Einsamkeit, je nachdem an welchen Ort der Herr jemanden hinschickt; möglicherweise Verzicht auf eine berufliche Tätigkeit, die man gerne ausgeübt hat; Verlust des Ansehens in bestimmten Kreisen usw.

Zweifellos sind die Berufungen genauso unterschiedlich wie die Entsagungen, die ihnen folgen. Viele Dienste wird man auch im Rahmen des sogenannten „normalen Lebens" verwirklichen können. Dennoch bleibt immer wahr: „Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf und folge mir nach" (Mt 16,24). „Wer sein Leben liebhat, wird es verlieren ... Wenn mir jemand dient, so folge er mir nach; und wo ich bin, da wird auch mein Diener sein" (Joh 12,25.26). Paulus weist Timotheus nicht umsonst noch einmal in seinem Brief darauf hin: „Nimm teil an den Trübsalen" (2. Tim 2,3).

Paulus, Silas und Timotheus reisten gemeinsam weiter. Der junge Mann mußte nun gleichsam eine Ausbildung in diesem Dienst absolvieren, der mit vielen und langen Reisen verbunden war. Außerdem waren die Reisen ermüdend und gefährlich. Diese Reise führte sie von Lystra nach Phrygien, Galatien, Mysien, Troas, dann nach Mazedonien. Auf diese Weise drang das Evangelium nach Europa vor.