Post von Euch
Liebes „Folge mir nach"- Team,
in meiner Mittagspause habe ich eben den Artikel „Acht Visionen" aus Heft 6/97 angefangen zu lesen.
Dabei bin ich über die Fußnote 1 (S. 23) gestolpert: ,... Auch erwarten wir keine Wunder durch Zeichengaben (...), die Gott für die Zeit des Anfangs der christlichen Epoche gegeben hatte (Mk 16,17.18 und Heb 2,4)."
Wieso erwarten wir keine Wunder? Wie wird diese Behauptung, die ich anzweifle, durch die Bibel begründet? (Es gibt genügend Missionsberichte des 20. Jh., in denen sehr wohl von Wundern, wie sie in Markus 16,17.18 beschrieben werden, berichtet wird!).
Ich bin bestimmt nicht für ekstatische Anwandlungen - möchte hier allerdings mit Luther sagen: „Das Wort sie sollen lassen stahn!"
Sind solche Behauptungen nicht eine fadenscheinige Ausrede für Unglauben? Zu dieser Thematik fällt mir ein Zitat aus Lessings „Nathan der Weise" ein:
„Der Wunder höchstes ist, daß uns die wahren, echten Wunder so alltäglich werden können, werden sollen." Und einige Zeilen vorher (Nathan zu Recha): „Und er (Gott) liebt dich; und tut für dich, und deinesgleichen, stündlich Wunder. Ja, hat sie schon von alter Ewigkeit für euch getan." (Reclam S. 12).
Muß uns das ein „weltlicher" Autor sagen?
... Ich gerate immer in Zorn, wenn ich den Eindruck habe, daß die herrliche, unfaßbare Größe Gottes auf unser armseliges Begriffsvermögen herabgezogen wird.
Es grüßt Euch mit Psalm 77,10-19
A.K.
Liebe Schwester K.,
vielen Dank für Ihren Brief an die Redaktion von „Folge mir nach", der mit der Bitte um Beantwortung an mich weitergeleitet wurde. ...
Die Frage ergab sich aus folgender Fußnote in einem Artikel über die Visionen in Sacharja 1-6:
„In dieser Hinsicht ist die Situation dieses 'Überrestes' sehr aktuell: Auch wir haben heute keinen Beweis der Gegenwart des Herrn, sondern können uns nur auf seine Verheißung stützen (Mt 18,20). Auch erwarten wir keine Wunder durch Zeichengaben (Reden in Spra-chen, Heilungen, usw.), die Gott für die Zeit des Anfangs der christlichen Epoche gegeben hatte (Mk 16,17.18 und Heb 2,4)."
Eine biblische Begründung für die These, es gebe heute keine Wunder mehr, gibt es in der Tat nicht. Im Gegenteil: „Gepriesen sei der HERR, der Wunder tut, er allein" (Ps 72,18). Er ist noch immer „der Gott, der Wunder tut" (Ps 77,14). Noch heute sehen wir Wunder in der Schöpfung Gottes (Hiob 5,9.10 und Ps 139,14 u. v. m.). Auch heute noch rechnet der Glaube mit Gott und seiner Allmacht, die alle Schwierigkeiten überwinden kann, und dieses Vertrauen ehrt Gott (Röm 4,19-21).
Allerdings will die oben zitierte Fußnote auch nicht sagen, daß es heute keine Wunder mehr geben kann (und ich glaube, das sagt sie auch nicht). Vielmehr geht es in der (vielleicht etwas knapp gehaltenen) Fußnote um Wunder durch Zeichengaben wie zum Beispiel die „Heilungen, Wunderwirkungen, Arten von Sprachen" in 1. Korinther 12,9.10. Die Frage, ob solche Zeichengaben noch heute zu erwarten sind, wollen wir anhand einiger Bibelstellen untersuchen (Ihre Forderung nach einer auf der Bibel basierenden Antwort hat mir gut gefallen).
Der erste Schritt zur Beantwortung der Frage, ob es heute noch Zeichengaben gibt, liegt sicherlich in dem Verständnis des Zweckes dieser Gaben. Warum, wozu, und in welcher Situation hat Gott diese Gaben gegeben? Die folgenden Bibelstellen helfen uns weiter.
- Apostelgeschichte 2 zeigt, daß das Reden in (nicht erlernten) Fremdsprachen an dem Tag auftrat, als die Versammlung gebildet wurde (Pfingsten). Das war also ein völlig neues Werk Gottes. Er redete jetzt nicht mehr ausschließlich in der Sprache seines Volkes (Israel), sondern in der Sprache anderer Völker (1. Kor 14,21). Weitere Beispiele für das Auftreten von Sprachen am Anfang sind Apostelgeschichte 10,46 und 19,6.
- Hebräer 2, Vers 3, handelt von der großen Errettung und dem Anfang ihrer Verkündigung. Diese Errettung wurde nicht einfach verkündigt, sondern Gott wirkte bei diesem „Anfang der Verkündigung" mit, und zwar „durch Zeichen und Wunder und mancherlei Wunderwerke ..." (Vers 4). Diese Stelle sagt also ausdrücklich, daß Gott diese Zeichen und Wunder am Anfang benutzte. Vielleicht sollte ich eher sagen „benutzt hatte", denn schon zur Zeit der Verfassung des Hebräerbriefes - etwa um 60 nach Christus - benutzte der Schreiber die Vergangenheitsform „mitzeugte". Diese Tatsache legt den Schluß nahe, daß die Zeichen schon aufgehört hatten.
- In Epheser 4 werden die Gaben genannt, die „zur Vollendung der Heiligen" und „für die Auferbauung des Leibes Christi" benötigt werden (Vers 12). Diese sind Apostel und Propheten (die die Grundlage gelegt haben; 2,20), Evangelisten und Hirten und Lehrer (Vers 11). Von Zeichengaben ist hier nicht mehr die Rede.
Aus diesen Stellen dürfte schon klar werden, daß manche Gaben generell zur Auferbauung der Versammlung gegeben wurden, insbesondere die Weissagung (1. Kor 14,3-5.12.26). Andere waren als ein Zeichen gegeben, um zu unterstreichen, daß Gott ein vollkommen neues Werk anfing. Diese Zeichen waren „nicht für die Glaubenden, sondern für Ungläubige" (1. Kor 14,22).
Noch etwas: Der Gedanke, daß Gott zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich handelt, ist dem Bibelleser nicht unbekannt. Insbesondere scheint Gott gerade bei besonderen Neuanfängen seine Botschaft durch Zeichen untermauert zu haben. Beispielsweise unterstützte Gott die Botschaft Moses (nämlich am Anfang der Geschichte des Volkes Israel) durch Wunder (2. Mo 7-10). Am Ende der Geschichte Israels, als die zwei Stämme wieder ins Land zurückgekehrt waren, lesen wir nichts mehr von Wundern (Esra und Nehemia), und von Johannes dem Täufer, dem letzten Propheten dieser Epoche, heißt es ausdrücklich, daß er „kein Zeichen" tat (Joh 10,41).
Während diese Stellen mich persönlich (und viele andere) überzeugt haben, daß die Zeichengaben für den Anfang da waren, werden Sie vielleicht die berechtigte Frage stellen, warum dann das Neue Testament nicht klipp und klar sagt, daß die Kirche noch Jahrhunderte fortdauern würde, ohne über diese Zeichengaben zu verfügen. Es scheint hier eine einleuchtende Antwort zu geben: Die Schrift spricht nie in einer Weise, die das Kommen des Herrn in die ferne Zukunft verlegt. Beipielsweise sagte Paulus: „Danach werden wir, die Lebenden ... entrückt werden ..." (1. Thes 4,17), obwohl die Entrückung erst Jahrhunderte später erfolgen würde. Aus diesem Grund wird sicher auch in 1. Korinther 13,8 nur angedeutet, daß Sprachen 'aufhören' werden (das Wort bedeutet graduell), während Prophezeiungen 'weggetan' werden (das Wort bedeutet abrupt, nämlich erst bei der Entrückung).
Zugegebenerweise habe ich jetzt nur einige Argumente zusammengestellt, die helfen sollen, die Bemerkung über Abwesenheit von Zeichen und Wundern im Propheten Sacharja und in unserer Zeit zu erklären (und vor allem deutlich zu machen, daß wir auf keinen Fall Unglauben propagie-ren, sondern vielmehr Gottes weise Absicht verstehen wollen, die Er mit den Zeichen hatte). Gute ausführlichere Behandlungen des Themas findet man zum Beispiel in
- „Geistesgaben oder Schwärmerei?" von Arend Remmers
- „Gebetsheilungen, Zungenreden, Zeichen und Wunder im Lichte der Schrift" von H.L. Heijkoop
- „Ich rede mehr in Zungen als ihr alle" von G.F. Rendal
Auf die Gefahr falscher Imitation geht Alexander Seibel sehr ausführlich ein in seinen zwei Bänden
- „The Church Infiltrated"
- „The Church Subtly Deceived"
Abschließend darf man noch bemerken, daß es nicht darum gehen kann, die Notwendigkeit (und Herausforderung) eines Lebens aus Glauben in unserer Zeit abzuschwächen. Im Gegenteil, gerade eine Zeit, in der wir den Herrn nicht als Mensch auf der Erde sehen, in der wir nicht seine Heilungen sehen und seine Worte akustisch wahrnehmen, und eine Zeit, in der wir noch nicht einmal Ungläubigen gegenüber durch Zeichen einer Botschaft Nachdruck verleihen können, ist eine doppelte Herausforderung, im Glauben auf den Unsichtbaren zu sehen (Heb 11,27). Das war übrigens auch ein Teil der Botschaft Sacharjas: „Nicht durch Macht und nicht durch Kraft, sondern durch meinen Geist, spricht der HERR der Heerscharen" (4,6).
Ich hoffe, daß diese Zeilen zu einer Klärung beitragen und eine Hilfe sein können, die biblische Darstellung des Themenbereiches „Zeichen und Wunder" - wenn auch in aller Kürze - etwas zu beleuchten.
Mit herzlichen Grüßen, in unserem Herrn Jesus Christus verbunden,
Michael Hardt
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