Lebensbilder
Patrick Hamilton - der Märtyrer der schottischen Reformation
Es ist um die Mittagszeit des letzten Februartages 1528. Eine große Menschenmenge hat sich vor dem St. Salvator's College in St. Andrews, Schottland, versammelt. Alle sind ungewöhnlich still, als ein junger Mann mit einer Eisenkette um den Leib an den Brandpfahl gebunden wird. Er ist eine vornehme Erscheinung und wirkt völlig gelassen angesichts des schrecklichen Martyriums, das ihn erwartet. Er soll lebendig verbrannt werden, weil er Dinge gelehrt hat, die im Widerspruch standen zu den Lehren der röm.-kath. Kirche. In den Augen dieser Kirche ist er ein Ketzer und verdient es, so grausam zu Tode gebracht zu werden.
Wer ist dieser mutige junge Mann?
Es ist Patrick Hamilton, der zweite Sohn von Sir Patrick Hamilton von Kincavel, Linlithgow. Er ist ein Verwandter des regierenden schottischen Königs James V. und ein Urenkel von James II. Schon mit 13 Jahren wurde er zum Titularabt von Ferne bestimmt. Er wurde aber nie als Priester ordiniert, und es gibt keinen Beweis, daß er je in Ferne amtiert hat. Er studierte an den Universitäten von St. Andrews und Paris und kam mit den Lehren Luthers und anderer Reformatoren in Berührung. Durch das Lesen des Neuen Testaments eignete er sich schnell eine grundlegende Kenntnis der Wahrheit an. Begierig, noch mehr zu lernen, faßte er den Entschluß, nach Wittenberg zu reisen, um Luther und Melanchthon kennenzulernen. Als die Universität infolge der Pest nach Jena verlegt wurde, ging er nach Marburg. Dort entwickelte sich eine enge Freundschaft mit dem früheren französischen Mönch Franz Lambert. Dieser erklärte Hamilton die Wahrheit über das Abendmahl des Herrn und wies ihn auf die groben Irrtümer der Messe hin. Hamilton war ein gelehriger Schüler, und Lambert war sehr beeindruckt von seinen Fortschritten, seiner Rechtschaffenheit und seinem lobenswerten Benehmen.
In Marburg schrieb Hamilton sein einziges Buch, die „Loci communes". Das Hauptthema dieses Buches war der Glaube: der einzige Weg, auf dem wir vor Gott gerecht werden und ein Leben guter Werke vor den Menschen leben können. Hamilton empfand, daß er nun für eine Rückkehr nach Schottland gerüstet war, um seinen Landsleuten zu dienen. Der Gefahr eines solchen Schrittes war er sich wohl bewußt.
Schon kurz nach seiner Rückkehr in die Heimat wurde er für viele zum Segen. Sein älterer Bruder, Sir James Hamilton, seine Schwägerin, Sir James' Frau, seine Mutter und seine Schwester, sie alle kamen zum Glauben an den Herrn. Aufgrund seiner adligen Erziehung war er in den Häusern des Adels in der Nachbarschaft willkommen. Viele nahmen den Herrn an. Er ging auf die Felder und brachte den Arbeitern dort die Botschaft von der freien Errettung in Christus. Auch die Dorfkirchen benutzte er, um den guten Samen auszustreuen. In der Kirche St. Michael in Linlithgow predigte er vor vielen Zuhörern, unter ihnen Mitglieder der königlichen Familie. Umgeben von Bildern und Altären predigte er, daß man nur aufgrund des Todes des Herrn Jesus Vergebung der Sünden empfangen könne. Der königliche Palast von Linlithgow lag direkt neben dem Ort. Vierzehn Jahre nach den beschriebenen Ereignissen wurde dort Königin Maria von Schottland geboren. Ein großer Segen für Hamilton war die junge adlige Frau, die seine Ehefrau wurde. Schon nach kurzer Zeit sollte sie Witwe werden.
Der Erzbischof Beaton von St. Andrews wurde sehr zornig, als er die Nachricht über Hamiltons Dienst in Linlithgow erfuhr. St. Andrews war das Zentrum der römisch-katholischen Macht in Schottland. Man war stolz auf die große und eindrucksvolle Kathedrale, eine der größten in Europa. Der Erzbischof fürchtete sich, Soldaten zu schicken und Hamilton einfach zu verhaften. Patrick war immerhin mit dem König verwandt und gehörte zu dem angesehenen Adelsgeschlecht der Hamiltons.
Rom war jedoch nie um Listen verlegen, wenn es darum ging, seine Ziele zu erreichen. Der Erzbischof benutzte eine List und zitierte Hamilton nach St. Andrews, unter dem Vorwand, die neuen Lehren mit ihm besprechen zu wollen. Hamiltons Frau und seine Freunde baten ihn, nicht nach St. Andrews zu gehen, aber er entgegnete, er hätte eine Vorahnung, daß er für seinen Glauben sterben müßte. So ging er nach St. Andrews.
Der Erzbischof empfing Hamilton auffallend freundschaftlich. Hamilton durfte sich frei in der Stadt bewegen und seinen Glauben verkündigen. Seine Unterkunft wurde von vielen besucht, die die gute Botschaft des Heils hören wollten. Viele Samenkörner wurden ausgestreut, aus denen später Frucht für Gott hervorkam.
Der Erzbischof schickte einen begabten jungen Mann aus Edinburgh, mit Namen Alesius, um Hamilton von seinen Irrtümern zu überzeu-gen. Alesius war ganz versessen darauf, sich mit Hamilton zu messen, aber er wurde mit dem Schwert des Geistes konfrontiert, das Hamilton mit Kraft zu gebrauchen wußte. Alesius nahm die Wahrheit an und wurde später ein eifriger Reformator. Er war Augenzeuge von Hamiltons Gerichtsverfahren, von seiner Verurteilung und Hinrichtung.
Der Erzbischof gab sich aber nicht geschlagen. Er wollte Hamilton nicht ermorden, denn damit war Gefahr verbunden. Er wünschte Hamilton für die Lehre der Kirche zurückzugewinnen. Beaton sandte einen anderen gebildeten und intelligenten Kirchenmann, Alexander Campbell, der Hamilton überreden sollte, seinen ketzerischen Ideen abzuschwören. Aber Campbells Mission scheiterte, und auch er mußte Hamilton gegenüber zugeben, daß seine neutestamentlichen Lehren korrekt und die römisch-katholischen Lehren falsch waren. Als er zum Erzbischof zurückkehrte, um über sein Gespräch mit Hamilton zu berichten, wurde er zum Verräter. Statt zuzugeben, daß Hamilton ihn von seinen Irrtümern überzeugt hatte, enthüllte er alles, was Hamilton gesagt hatte, und erklärte sich bereit, als Ankläger gegen Hamilton aufzutreten, wenn dieser vor Gericht gestellt werden würde. Sein Gewissen war von Furcht erstickt. Er mußte seinen Judasdienst teuer bezahlen.
Die Zeit zum Handeln war gekommen. Der Erzbischof hatte beschlossen, daß Hamilton sterben mußte. Ein großes Hindernis war nun noch da: Der König, James V., mochte Hamilton, und die Unbescholtenheit und die Fähigkeiten seines Verwandten gefielen ihm. Er empfahl Hamilton, mit den Bischöfen Frieden zu schließen, da er um deren böse Pläne gegen Hamilton wußte. Es war sehr unwahrscheinlich, daß der König untätig dabeistehen und zuschauen würde, falls seinem Verwandten etwas Böses angetan würde.
Rom war raffiniert und hatte schon bald eine Antwort für dieses Problem. Der Vater des Königs, James IV., war oft zu einem Reliquien-Schrein hoch im Norden Schottlands gepilgert. So wurde dem König empfohlen, dem Beispiel seines Vaters zu folgen, was er auch tat. Dies bedeutete eine lange Reise im Winter. Damit war der König gut aus dem Weg.
Der Erzbischof war nun bereit, den Schlag gegen Hamilton zu führen. Er verlor keine Zeit, seine schrecklichen Pläne auszuführen. Man bestellte Hamilton in den Palast des Erzbischofs und informierte ihn, daß aufgrund von fünfzehn seiner Artikel Anklage gegen ihn erhoben würde. Der fünfte Punkt war das Banner, das Luther so erfolgreich gegen den Papst und seine Anhänger erhoben hatte: „Ein Mensch wird nicht durch Werke gerechtfertigt, sondern allein durch den Glauben."
Hamilton hörte sich die ihm zur Last gelegte Anklage an. Dann wurde ihm gesagt, daß seine Richter über die Artikel nachdenken und ihm ihr Urteil mitteilen würden. Er durfte sich ohne Einschränkungen frei bewegen. Man riet ihm, zu fliehen und sein Leben zu retten, aber er war entschlossen, die Wahrheit zu verteidigen, so wie sie ihm der Herr anvertraut hatte. Einige Tage danach hatte Hamilton ein paar Freunde in seine Wohnung eingeladen. Sie unterhielten sich bis Mitternacht miteinander, als sie plötzlich Schritte hörten, die sich dem Haus näherten. Auf ein lautes Klopfen hin öffnete Hamilton selbst die Tür und stand einem Offizier und einigen Soldaten gegenüber.
„Ich suche Hamilton", sagte der Offizier. - „Ich bin Hamilton", antwortete Patrick. Er ergab sich dem Offizier und bat gleichzeitig, daß seine Freunde unbehelligt gehen dürften. Genau wie sein Herr! Der Offizier brachte ihn in den Sea Tower der St. Andrews Festung. Hamilton war nun in der Gewalt des Erzbischofs.
Zwei vergebliche Versuche wurden gemacht, Hamilton zu retten. Sein älterer Bruder, Sir James, brachte eine Schar zusammen, aber das schlechte Wetter hinderte sie daran, den Firth of Forth zu überqueren. Noch ein anderer Gentleman versuchte Hamilton zu retten. Er und seine Freunde wurden jedoch von überlegenen Streitkräften überwältigt.
Der Herr hatte bestimmt, daß sein Diener sterben sollte, um die Reformation in Schottland zu fördern. Am Morgen des 24. Februar wurde Hamilton in die eindrucksvolle Kathedrale geführt. Böse und verworfene Männer sollten über ihn Gericht halten. Von ihnen hatte er keine Gnade zu erwarten. Sein Schicksal war längst besiegelt. Sein Hauptankläger war Alexander Campbell, der doch seinen Glauben an die Lehren Hamiltons bekannt hatte. Bald war der Kampf voll im Gang. Campbell war dem Gottesmann allerdings nicht gewachsen. Hamilton war ihm in jeder Weise überlegen, besonders was die Schrift betraf.
Hamilton war sehr traurig, daß ausgerechnet Campbell sein Ankläger war. Als die Anschuldigungen gegen Hamilton eigentlich alle widerlegt waren, drängten die geistlichen Herren Campbell, neue Anklagen zu erheben, was er auch tat. Campbell beschuldigte Hamilton, daß er die Leute zum Lesen des Neuen Testaments aufgefordert habe. Außerdem habe er verkündigt, daß es nutzlos sei, zu den Heiligen und der Jungfrau Maria zu beten und Seelenmessen für die Seelen im Fegefeuer abzuhalten.
Hamilton gab zu, daß er die Menschen zum Lesen des Neuen Testaments aufgefordert habe. Er blieb dabei, daß es nur einen Mittler, den Menschen Jesus Christus, gäbe und daß er in seiner Bibel niemals etwas über einen Ort namens Fegefeuer gelesen hätte. Campbell wurde zornig über Hamilton und beschimpfte ihn. Hamilton ertrug das alles gelassen und geduldig und gab Campbell die feierliche Antwort: „In deinem Innersten weißt du genau, daß ich kein Ketzer bin."
Alle stimmten einmütig für Hamiltons Verurteilung. Der Erzbischof erhob sich und verkündete das Urteil: Tod durch Verbrennung auf dem Scheiterhaufen. Hamilton wurde dem weltlichen Gericht zur Ausführung des boshaften Urteils übergeben. Die Strafe sollte unverzüglich vollzogen werden. Hamilton durfte ein letztes Mal mit einigen Freunden essen.
Als sie zu dem Ort aufbrachen, wo er sterben sollte, war er ruhig, hatte sein Neues Testament bei sich und gab es einem Freund. Angesichts des Scheiterhaufens blieb er stehen und betete. Dann gab er seinen Hut und Mantel seinem Diener und ermahnte ihn, auf sein Beispiel achtzugeben, wenn er sein Leben für die Wahrheit der Schrift geben würde.
Das war der junge Edelmann, der am 24. Februar vor dem St. Salvator's College in St. Andrews an den Brandpfahl gefesselt wurde. Nachdem er dort angebunden war, stapelte man Holz um ihn herum und legte ein Päckchen Schießpulver dazwischen. Hamilton betete um Kraft und Mut. Er wollte seinen Herrn und Meister nicht durch Angst oder Feigheit verunehren. „Im Namen des Herrn Jesus übergebe ich meinen Körper dem Feuer und befehle meine Seele in die Hände des Vaters."
Man legte eine Fackel an das Schießpulver. Es explodierte. Ein Reisigbündel wurde Hamilton ins Gesicht geschleudert und verletzte ihn. Das Holz entzündete sich nicht. Hamilton wurde schlimm versengt und litt unsagbar. Er flehte seine Henker an, doch trockenes Holz aufzulegen, was man auch tat. Bald brannte das Feuer heftig. Zusätzlich zu diesen Qualen mußte Hamilton noch Campbells rasendes Geschrei ertragen, doch zu widerrufen, zu Maria zu beten und sich dem Papst zu unterwerfen. Hamilton forderte Campbell auf, seinen Finger in die wilden Flammen zu halten, die ihn umloderten, falls er wirklich glaubte, was er sagte.
Campbell beschimpfte ihn weiter. Da bezichtigte ihn Hamilton der Unaufrichtigkeit und wies auf den kommenden Richterstuhl Christi hin. In seinem Gewissen getroffen, stürzte Campbell davon und verlor später den Verstand. Er starb völlig geistesgestört. Eine ernste Warnung für jeden, der sein Gewissen abtötet und sich den Wirkungen des Geistes widersetzt.
Hamilton war nun schon sechs Stunden auf dem Scheiterhaufen und litt unsagbar. Sein Ende war nahe. Die letzten Worte, die er seufzte, waren: „Wie lange, o Herr, soll Finsternis in diesem Reich herrschen? Wie lange willst Du die Tyrannei von Menschen ertragen? Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!" So starb Patrick Hamilton. Er war ein wahrer Edelmann Christi. Ihm waren die Seelen der Menschen wirklich wertvoll. Er war ein treuer Verteidiger der Wahrheit der heiligen Schrift. Er blieb treu bis in den Tod.
Lamberts Zeugnis über Hamilton an den Landgrafen Philipp von Hessen war: „Dieser junge Mann aus dem berühmten Geschlecht der Hamiltons, durch Blutsbande eng mit dem König und dem Königtum von Schottland verbunden, der, obwohl gerade dreiundzwanzig Jahre alt, für das Studium der Schrift ein sehr gesundes Urteil mitbringt und einen großen Schatz an Wissen erlangt hat, kam vom Ende der Welt, von Schottland, hierher an Eure Akademie, um tiefer in die Wahrheit Gottes eingeführt zu werden. Ich habe kaum wieder einen Mann getroffen, der mit solcher Geistlichkeit und Wahrhaftigkeit über das Wort Gottes zu reden verstand. Er kam an Eure Akademie, von Schottland, dieser entfernten Ecke der Welt, und ist dorthin zurückgekehrt, um der erste, und nun berühmte Apostel seines Landes zu werden. Er brannte vor Eifer, den Namen Christi zu bekennen, und hat sich selbst als ein heiliges, lebendes Opfer Gott hingegeben. Er brachte der Kirche nicht nur all den Glanz seiner Stellung und seine Fähigkeiten, sondern auch sein eigenes Leben." Was können wir aus solch einem Bericht lernen? Wir leben heute in einer materiell sehr reichen Zeit, die uns viele Bequemlichkeiten und Möglichkeiten der Entspannung bietet. Patrick Hamilton hatte im Leben eine hohe Stellung, und alles, was er sich natürlicherweise wünschen konnte. Er wählte aber lieber den Weg der Leiden und eines furchtbaren Todes, als daß er sich dem Irrtum gebeugt hätte. Was können wir um Christi willen aufgeben? Wir brauchen nicht auf dem Scheiterhaufen zu sterben wie Hamilton, aber auch wir sind aufgerufen zur Treue! Sind wir bereit, unser Leben dem zu geben, der uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat (Gal 2,20; 2. Kor 8,9)?
Es ist das Recht aller Menschen, die Seelen haben, Gottes Wort zu lesen, denn sie sind fähig, es zu verstehen, sonderlich das Testament Jesu Christi. (Artikel aus den Loci communes von P. Hamilton)
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