Lebensbeschreibung

Philipp Melanchthon

Er ist ein Mann, der jeder Auszeichnung wert ist, er ist ein vollkommener Grieche, grundgelehrt, freundlich und leutselig, hat seinen Lehrsaal gestopft voll." Ein in der Tat dickes Lob, das von keinem Geringeren als Martin Luther stammt. Es gilt einem Mann, dessen Geburtstag sich 1997 zum 500. Male jährt -Philipp Melanchthon. In der Hand Gottes war er neben Luther, Zwingli und Calvin einer der wichtigsten Männer der Reformation. Aus Anlaß dieses Jahrestages soll hier kurz auf sein Leben eingegangen werden.

 

Melanchthons „Grundausbildung"

Melanchthon wurde am 16. Februar 1497 in Bretten geboren, einem Kleinen Ort in der Nähe von Karlsruhe. Seine Kindheit wurde wesentlich durch die Tatsache geprägt, daß seine Großmutter die Schwester des bekannten Humanisten Reuchlin war. Seine Ausbildung vollzog sich unter den Augen dieses berühmten Gelehrten. Bereits mit zwölf Jahren besuchte er die Universität in Heidelberg und erregte schon zu dieser Zeit einiges Aufsehen durch seine Kenntnisse der griechischen Sprache. In Heidelberg lernte er auch Martin Butzer kennen, mit dem er bis zu seinem Tode eng verbunden blieb. In Tübingen, wo er seine Studien fortsetzte, erlangte er 1516 mit höchster Auszeichnung die Magisterwürde.


Mit 21 Jahren Professor

1518 wurde Melanchthon dann an die Universität nach Wittenberg berufen. Zum einen wollte er selbst seine Studien vervollkommnen, zum anderen sollte er als Dozent der griechischen und hebräischen Sprache tätig sein. Er war damals 21 Jahre alt. Die zu diesem Zeitpunkt vorliegende literarische Leistung war bereits erheblich. 1514 erscheint ein von ihm neubearbeitetes Schulbuch, 1516 veröffentlicht er eine lateinische und 1518 eine griechische Gram-matik. Erasmus von Rotterdam lobt ihn bereits 1515 in seinen „Annotationes" zum Neuen Testament und lädt ihn nach England ein. Verehren ihn die Biographen als „Wunderkind", so wissen wir heute, daß Gott sich für die besondere Zeit der Reformation ein Werkzeug zubereitete. Als er die Tore Wittenbergs durchschreitet, erhält die Universität einen Humanisten, aus dem bald ein glühender Verfechter der Reformation werden soll.


Melanchthon und Luther

Sein ganzes Wirken in Wittenberg war eng mit seinem Freund Martin Luther verbun

den. 1520 ergriff Melanchthon mit dem Herzen unter dem Zuspruch Luthers, was Sünde und Gnade bedeuten. Zuvor hatte er eine Predigtenreihe Luthers über das erste Buch Mose gehört. Er erlebte eine echte Bekeh-rung.
Außergewöhnlich war daraufhin seine Wei-gerung, dem Wunsch Luthers nachzukommen und ganz in die theologische Fakultät zu wechseln. Wohl erwarb er sich dort ebenfalls eine Dozentur, sah sich aber stets als „Laien"-Christ. Sein Aufgabengebiet sah er auch in der Lehre und der Neustrukturierung des Schulwesens.

Die Freundschaft Melanchthons und Luthers verband zwei höchst unterschiedliche Men-schen. War Luther mehr stürmischer, geradliniger und kämpferischer Natur, so war Melanchthon der behutsame, zarte und vorsichtige Freund. Wenn Luther viele Wahrheiten der Schrift wie Felsbrocken aus einem Steinbruch neu herausschlug, so war es die Gabe Melanchthons, diese so zu bear-beiten, daß man die Steine nun für einen Hausbau benutzen konnte.

Ich bin dazu geboren, daß ich mit den Rotten und Teufeln muß kriegen und zu Felde liegen .. Aber Magister Philipp fährt fein säuberlich und stille daher, bauet und pflanzet, säet und begeußt mit Lust, nachdem Gott ihm hat gegeben seine Gaben reichlich. Martin Luther

Sein scharfer Verstand und seine große Klarheit waren wertvolle Hilfen bei der Formulierung mehrerer „evangelischer Glaubenslehren". Bereits 1521 schrieb er die „Loci communes", die erste Darstellung der evangelischen Lehre. 1530 folgte im Ergebnis des Augsburger Reichstags die Abfassung eines gemeinsamen Bekenntnisses der Evangelischen durch Melanchthon. Als man später Luther und Melanchthon zu entfremden ver-suchte, sagte Luther: „Zu Augsburg hat er bekannt." Das mutige Beistehen seines jun-geren Freundes hat Luther ihm nicht vergessen.

Zwei Zitate sollen dieses besondere Verhältnis etwas beleuchten. An Reuchlin schreibt Luther: „Unser Philipp Melanchthon ist ein wunderbarer Mensch, ja fast übermenschlich, aber mir höchst vertraut und befteundet. Philippus ist mir sehr lieb in Marburg' gewesen, denn, wo ich zu hitzig wurde, hat er mir immer den Zügel gehalten und Frieden und Freundschaft nicht sinken lassen. Als Luther die Apologie (ein ausführlicher Kommentar zum Augsburger Bekenntnis) las, bemerkte er: „Sie gefällt mir wohl und ich weiß nichts daran zu bessern, noch zu ändern, würde sich auch nicht schicken, denn so sanft und leise kann ich nicht treten.

Melanchthon schrieb einmal über seinen väterlichen Freund: Er ist der ehrwürdige Vater, der fromme Theologe, der Mann meiner Sehnsucht, der treue Seelenhirte. Seinen christlichen Sinn kann ich nicht genugsam lieben.

Ein längeres Zitat eines Briefes Luthers an Melanchthon soll noch einmal das wirklich offene und ehrliche Verhältnis dieser beiden echten Freunde beleuchten. Dieser Brief stammt aus der Zeit, als Luther sich 1530 auf der Feste Koburg verbergen mußte, während Melanchthon in Augsburg war und die Sorge um die Sache der Reformation ihn völlig niederdrückte.

Als er zum Ausdruck bringt, wie sehr ihm sein „Führer" fehlt, schreibt Luther: „In Deinem Brief mißfiel mir, daß Du schreibst, Ihr seiet in dieser Sache meiner Autorität gefolgt. Ich will in dieser Sache nicht Euer Führer sein oder heißen; auch wenn man es ganz richtig deuten könnte, so mag ich doch das Wort nicht. Wenn es nicht gleichzeitig und ebensosehr Deine Sache ist, will ich nicht, daß sie meine Sache genannt wird, die dann Dir nur aufgezwungen wäre. Wenn es allein meine Sache ist, werde ich sie auch selbst führen..."

Bezüglich Melanchthons Sorgen rügt Luther: „Darum bitte ich Dich um Christi willen, Du möchtest jene Verheißungen und Tröstungen Gottes nicht derart in den Wind schlagen, in denen er spricht: 'Wirf dein Anliegen auf den Herrn' (Ps 55,23), 'Harre des Herrn! Halte dich mannhaft und laß dein Herz stark werden' (Ps 27,14) ... Aber die Verheißungen haben für uns ihren Wert verloren infolge ihrer großen Zahl, der ständigen Wiederholung und des Vertrautseins mit ihnen. Das ist aber nicht gut. Ich weiß, dies ist die Schwäche unseres Glaubens."

Zum Schluß dieses Briefes ist auch der Sarkasmus in Luthers Stimme (wieder einmal) nicht zu überhören: „Doch ich schreibe um-sonst, da Du ja diese Dinge nach Eurer Philosophie mit der Vernunft regieren willst; d.h. Du fährst, wie jener sagte, fort, bei klarem Verstand verrückt zu sein, und bringst Dich selbst um und willst einfach nicht sehen, daß diese Sache, die nicht in Deine Hand und Deinen Rat gelegt ist, auch ohne Deine Sorge getrieben sein will. Und Christus wolle verhüten, daß sie in Deinen Rat oder in Deine Hand gelange, was Du doch so hartnäckig haben möchtest; dann werden wir freilich sauber und mit einem Schlag verloren sein ... Geschieht nicht, was wir wollen, so geschieht doch etwas Besse-res. Denn wir warten auf das kommende Reich, wann alles in der Welt versagt haben wird.


Der „Lehrer der Nation"

Eine wesentliche Leistung Melanchthons bestand, wie schon angedeutet, in der Reformation des Schulwesens. Bereits seine Antrittsrede 1518 in Wittenberg war der „Verbesserung der Studien" gewidmet. Seinen damals noch humanistischen Ansatz „Ad fontes" - („Zu den Quellen") bezog er sehr bald nicht nur auf die Wissenschaft, sondern viel mehr auf das Wort Gottes selbst. Großen Wert maß er dabei dem Studium der griechischen und hebräischen Sprache bei. Neben seiner Privatschule (siehe nächster Abschnitt) sah er es vor allem als seine Aufgabe, das Schulwesen im großen Stil neu zu ordnen. Das bedeutete im einzelnen:

  • Predigt in deutscher Sprache
  • Christliche Unterweisung des „jungen Volkes" am Sonntagnachmittag
  • Unterricht in drei Klassen (alle Kinder sollen lesen, schreiben und die lateinische Sprache lernen)

Weiterhin begann er die Universität in Marburg als erste Hochschule nach ähnlichem Muster neu zu strukturieren. 1524 folgte die bekannte Gelehrtenschule in Nürnberg. In Brandenburg ordnete er landesweit Kirchen und Schulen. Der Erzbischof von Köln berief ihn in gleicher Aufgabe drei Monate nach Bonn. Auch die Universitäten in Tübingen und Leipzig wurden nach seinen Vorschlägen erneuert. Diese nur unvollständige Aufzählung läßt auch etwas von dem Arbeitspensum und dem Wirken Melanchthons erahnen.


Nur kein Streit

Es gab auch Situationen im Leben Melan-chthons, die verdeutlichen, daß er durch die sehr harten Auseinandersetzungen im Zuge der reformatorischen Veränderungen zeitweilig wankend wurde. Die Ursachen dafür liegen wohl weniger in einem „Verrat an der Reformation", als vielmehr an seinem im Vergleich zu Luther zarteren Gemüt und seiner Abneigung gegen scharfe öffentliche Auseinandersetzungen. Ein Beispiel dazu:

Als Luther 1521/22 auf der Wartburg regelrecht „aus dem Verkehr gezogen wurde", begegnete der noch jungen Reformation in Wittenberg das Problem der Kirchen-stürmer und der Schwärmerei. Besonders die sog. „Zwickauer Propheten" zogen Melanchthon in ihren Bann. Luthers schriftliche Warnung vom sowie sein persönliches Erscheinen im März holten Melanchthon wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, nachdem er sich innerlich schon seit weitgehend mit diesen „Charismatikern der Reformation" identifiziert hatte.

Nach Luthers Tod fühlte sich Melanchthon regelrecht verwaist. Seine schlimmen Vorahnungen eines Religionskrieges sollten sich schneller als erwartet erfüllen. Mit der Witwe Luthers und seiner eigenen Familie muß-te er fliehen, bevor er nach dem Friedens-schluß wieder zurückkehren konnte. Danach ging es Melanchthon immer wieder darum, zerstrittene Parteien innerhalb der Reformation zusammenzubringen. Und immer erntete er sowohl Zustimmung als auch schärfste Ablehnung. Nur zu schnell waren einzelne Parteien entstanden, die aus Denkansätzen der frühen Reformation unumstößliche Dogmen machten und so für einen scharfen Denker wie Melanchthon ein mühevolles Hindernis wurden. Die ständige innere Spannung konnte er wohl bis zu seinem Tod nur sehr schwer verarbeiten.


Melanchthon privat

Um 1520 heiratete Melanchthon Käthe Krapp - die Tochter des Wittenberger Bürgermei-sters. Er legte viel Wert auf sein Familienle-ben. Während er jeden Tag zwischen 2 und 3(!) Uhr morgens seine Gelehrtenarbeit be-gann, brachte er den Feierabend stets im Familienkreis zu. Seinen vier Kindern und zahlreichen Enkeln widmete er dabei viel Aufmerksamkeit. In seinem Haus richtete er neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität noch eine Privatschule ein, wo er die Jugend in den Geist der alten Sprachen einführte. Hier lehrte er auch Erdkunde, Naturkunde und besonders Geschichtskunde. Dazu bemerkte er einmal: „Ohne Geschichte ist des Menschen Leben eine ewige Kindheit und Blindheit."

Drei Jahre vor seinem Tod starb 1557 seine Frau. Die Jahre danach war er oft krank und zum Schluß schwer leidend. Kurz vor seinem Heimgang schrieb er auf einen Zettel, was der Tod ihm nehme und gebe: „Du kommst zum Licht, du wirst den Gott und seinen Sohn schauen, du wirst die wunderbaren Geheimnisse erkennen, die du in diesem Leben nicht begreifen konntest." Auf der anderen Seite stand: „Du wirst frei von Sünde, Mühsal und der Wut der Theologen." Am 19. April 1560 entschlief Philipp Melanchthon in Gott, dem er gedient hatte.