Lebensbilder

Martin Luther (2)

Die Chronisten sind sich nicht einig darin, wann Luther Frieden mit Gott fand, indem er erkannte, daß ein Mensch allein aus Glauben gerechtfertigt wird. In jedem Fall muß dieser Zeitpunkt zwischen den Jahren 1512 und 1518 zu suchen sein, da es im Oktober 1518 zu einem Verhör Luthers vor dem päpstlichen Abgesandten, Kardinal Cajetan, kam. Dort hat Luther die Wahrheit der Rechtfertigung allein aus Glauben klar verteidigt.

Sola Scriptura - allein die Schrift

Hervorzuheben ist, daß Luther an dieser Erkenntnis mit unbeweglicher Entschiedenheit festgehalten und sie gegen jeden Angriff verteidigt hat. Er war sich völlig sicher, weil er sich auf die Schrift stützte. So vieles schien gegen seine neue Erkenntnis zu sprechen: die Geschichte, die Tradition der Kirche, die Gemeinschaft seines Ordens, die ihm „die harte Begegnung mit der Schrift durch Scheintrost und kluge Seelenleitung zu ersparen suchte"1. Er hatte „nur" die Schrift - Sola Scriptura -, und das genügte ihm vollständig.

Wenn wir heute nur in diesem Stück dem Vorbild Luthers folgen würden, wäre das schon Grund genug, sich mit dem Leben dieses Glaubensmannes zu beschäftigen. Die Zeiten damals und heute gleichen sich in mancher Hinsicht. Bekennt man sich heute bedingungslos zu dem heiligen Wort Gottes, läuft man Gefahr, von vielen als „Fundamentalist" ein- bzw. abgestuft zu werden. Die moderne Theologie andererseits kann über den vertrauenden Glauben Luthers nur noch mitleidig lächeln. Wollen wir uns nicht gegenseitig anspornen, dem Vorbild Luthers zu folgen, uns durch nichts und niemand beirren zu lassen und dadurch Gott letztlich zu ehren?

Das Wort sollen sie lassen stahn

und kein Dank' dazu haben.

Der Widerstand beginnt

Am 31. Oktober 1517 verfaßt Luther 95 lateinische Sätze über den Ablaß und schlägt sie an die Tür der Schloßkirche in Wittenberg. Eine für damalige Zeiten durchaus übliche Handlungsweise. Ahnlich wie heute durch einen Anschlag am sogenannten „Schwarzen Brett' konnten damals Dinge veröffentlicht werden und eine Diskussion in Gang setzen.

1514 hatte Papst Leo X. einen Ablaß zum Neubau der Peterskirche in Rom ausgeschrieben. Das bedeutete, daß man jedem, der der Kirche Geld gab, versprach, Seelen, aus dem sog. Fegefeuer direkt in den Himmel zu bringen. Bischöfe wurden z.T. an dem Gewinn beteiligt, so daß dieser groteske und korrupte Handel blühte und das besonders in dieser Zeit in Deutschland. Die Thesen Luthers richteten sich in erster Linie gegen diesen Ablaßhandel (Beispiel These 36 und 37):

„Jeder Christ, der wahre Reue empfindet, hat vollständige Vergebung von Strafen und Schuld, die ihm auch ohne Ablaßbriefe gehört."

„Jeder wahre Christ, er sei lebend oder tot, hat Anteil an allen Gütern Christi und der Kirche; diesen gibt ihn Gott auch ohne Ablaßbriefe"

Dabei ist zu beachten, daß der Bruch mit dem Papst durch die Thesen zunächst nicht beabsichtigt war. Verschiedene Thesen sind bezüglich des Papstes noch in einem durchaus wohlwollenden Ton verfaßt (Beispiel These 26):

„Der Papst handelt sehr richtig, daß er nicht kraft der Schlüsselgewalt (die er nicht hat), sondern auf dem Weg der Fürbitte den Seelen Nachlaß gewährt."

Die Kunde von den Thesen verbreitete sich sofort wie ein Lauffeuer durch ganz Deutschland und rief scharfen Protest hervor. Der nun beginnende offene Widerstand erfuhr 1519 einen ersten Höhepunkt, als Luther nach Leipzig geladen wurde, um angeblich bei einer Disputation zwischen Karlstadt, Luthers Mitarbeiter aus Wittenberg, und dem Ingolstädter Professor Eck (eigentlich Johann Maier aus Egg in Schwaben - in der Geschichte nur Eck genannt) als Vermittler aufzutreten. Luther bestritt dort die Heilsnotwendigkeit des päpstlichen Primats sowie die Irrtumslosigkeit der Konzilien. Vor allem ging es damals um das Konstanzer Konzil, in dessen Folge 1415 Hus verbrannt worden war.

Auf Drängen Ecks verhängte der Papst dann 1520 eine sog. Bannandrohungsbulle. Anstatt zu widerrufen, antwortete Luther auf seine Weise. Am 10. Dezember 1520 verbrannte er die Bulle öffentlich in Wittenberg. Daraufhin wurde er am 3. Januar 1521 exkommuniziert.

Während dieser Wochen rechnete Luther jederzeit damit, daß er als Ketzer verbrannt würde. Seine Empfindungen vor dem Verhör in Augsburg beschreibt er in einer Tischrede folgendermaßen:

 

„Während der Reise war mein Gefühl: Nun muß ich sterben! Und ich stellte mir den gerüsteten Scheiterhaufen vor Augen und sagte oft: Ach, welche Schande werde ich meinen lieben Eltern sein! Dergestalt ängstigte mich das Fleisch."2

Als er Ende 1520 von seiner Vorladung nach Worms erfuhr, äußerte er sich in einem Brief:

„Denn der Gott lebt und regiert noch, der die drei Männer im Feuerofen des Königs von Babylon beschützt hat. Will er [mich] nicht schützen, so ist mein Haupt eine Kleinigkeit im Vergleich mit Christus, der zur höchsten Schmach, zum allgemeinen Ärgernis und zu vieler Verderben zu Tode gemartert wurde. Hier darf es keine Rücksicht auf Gefahr oder Wohl und Wehe geben; hier gibt es vielmehr nur eine Sorge; daß wir das Evangelium, mit dem wir angetreten sind, nicht dem Spott der Gottlosen preisgeben, daß wir den Feinden keinen Anlaß zum Triumph über uns geben, als wagten wir kein freies Bekenntnis unsrer Lehre, daß wir uns nicht fürchten, unser Blut für das Evangelium zu vergießen. Vor solcher Feigheit bei uns und solchem Triumph bei ihnen bewahre uns Christus in seiner Barmherzigkeit! Amen."3

Angesichts dieser ständigen Gefahren ist seine Standhaftigkeit um so höher zu bewerten.

Der Reichstag in Worms

Im April 1521 mußte Luther auf dem Reichstag in Worms erscheinen, wo er zweimal verhört wurde. Nach dramatischen Szenen wurde Luther von dem deutschen Kaiser am Ende noch einmal gefragt, ob er bereit sei, den Inhalt seiner Bücher zu widerrufen und sie selbst zu verbrennen. Luther antwortete:

„Weil Eure Majestät und Eure Gnaden eine schlichte Antwort begehren, so will ich eine solche ohne Hörner und Zähne geben: Werde ich nicht durch die Zeugnisse der Schrift oder durch klare Vernunftgründe überwunden - denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, da es am Tage ist, daß sie des öfteren geirrt und sich selbst widersprochen haben -, so bleibe ich überwunden durch die von mir angeführten Stellen der Schrift und mein Gewissen gefangen durch Gottes Wort. Widerrufen kann und will ich nichts, denn es ist weder sicher noch heilsam, gegen das Gewissen zu handeln. Gott helfe mir, Amen."4

Zwar hielt der Kaiser die Zusage des freien Geleits aufrecht, er sprach jedoch wenig später die Reichsacht über Luther aus. Aber Luthers Landesherr, Kurfürst Friedrich III. der Weise (1486-1525), ließ ihn auf der Wartburg bei Eisenach verstecken. Dort lebte Luther als „Junker Jörg" und übersetzte 1522 in nur elf Wochen das Neue Testament in die deutsche Sprache. Als Vorlagen dienten ihm bei dieser Arbeit die Vulgata (eine lateinische Bibelübersetzung) und das griechische Neue Testament, das Erasmus von Rotterdam wenige Jahre zuvor herausgegeben hatte. Bei der Übersetzung ging es Luther nicht darum, die Bibel in die schwer verständliche deutsche Amtssprache zu übersetzen. Sein Ziel war es, dem deutschen Volk in seiner gesprochenen Sprache eine für jeden verständliche Bibel in die Hand zu geben. Innerhalb von zehn Jahren erlebte dieses Neue Testament 85 Auflagen.

Wer kann ermessen, welch einen Segen Gott durch diese Arbeit dem deutschen Volk gegeben hat? Wie viele Menschen mögen dadurch den Weg zum ewigen Heil gefunden haben?

 

1 Fausel,H.: D. Martin Luther, Neuhausen-Stuttgart, 1996, Band 1, S.79.

2 Tischreden, 2,268b (September 1532).

3 Briefe 2,242,4 ff.

4 Fausel, H.: D. Martin Luther, Neuhausen-Stuttgart, 1996, Band 1, S.198.