Biblische Begriffe

Die Erläuterungen, die wir unter dieser Überschrift den Lesern vorstellen, haben nicht das Ziel, eine „theologische" Deutung zu geben, sondern sollen einfach Begriffe, die heute vielleicht anders verstanden werden oder auch ungebräuchlich geworden sind, erklären. Dabei möchten wir jeweils auf ihren Gebrauch im Zusammenhang der Heiligen Schrift eingehen. Dies kann natürlich kaum in erschöpfender Weise geschehen, könnte aber vielleicht dazu dienen, Denkanstöße für unsere Praxis als Christen zu geben.

Holdseligkeit, Huld

Daß es sich bei diesen Begriffen um solche handelt, die heute im normalen Sprachgebrauch kaum noch existieren, bemerkt jeder schnell. Der Bibelleser mag sie aus dem Zusammenhang der wenigen Textstellen, in denen sie im Alten Testament vorkommen, kennen und ein gewisses Bild von ihrer Bedeutung haben, insbesondere vielleicht der etwas ältere Leser, der auch mit älteren Übersetzungen der Heiligen Schrift vertraut ist (so z.B. der Luther-Übersetzung von 1912, der nicht revidierten Elberfelder Übersetzung von 1905, aber auch in der revidierten Form von 1992 sind sie an einigen Stellen beibehalten).

Im Deutschen gehen die Wörter Huld, huldigen und hold, holdselig, Holdseligkeit auf dieselbe Wurzel zurück, sind also sinnverwandt. Sie entstammen einem althochdeutschen Wort hald, dann mittelhochdeutsch holt = geneigt (das sich übrigens in unserem Wort „die Halde" wiederfindet). Dieses „Sich-Neigen" bedeutete zum einen die Haltung, die ein Untergebener im Mittelalter (ein „Gefolgsmann") seinem Dienstherrn („Lehnsherrn") gegenüber einnahm: er neigte oder verneigte sich vor ihm, um seine Treue und Ergebenheit zu zeigen.

Andererseits aber wurde der Begriff auch für die umgekehrte Seite des Verhältnisses verwendet, nämlich um die „Geneigtheit" und sogar das „Gnädigsein" oder die „Gunst" des Dienstherrn gegenüber seinem Untergebenen auszudrücken. Diese Seite ist in den Begriffen Huld und hold (z.B.: jemand ist mir hold - gewogen, gnädig) und holdselig (voll Huld) enthalten: die andere Seite des „Sich-Neigens" und der tiefen „Ergebenheit" findet sich heute noch in dem Wort „huldigen".

 

Unsere Begriffe sind die Übersetzung von mehreren in ihrer Bedeutung sehr nah beieinander liegenden hebräischen Wörtern, die je nach dem Zusammenhang mit Güte, mit Gnade, mit Gunst, mit Anmut, mit Wohlgefallen oder eben auch mit Huld übersetzt worden sind. Als Adjektiv findet man dann lieblich, anmutig oder holdselig.

Eine Untersuchung, wo die Übersetzer die Begriffe holdselig und Huld oder ihre grammatischen Ableitungen verwendet haben, läßt erkennen, daß sie dies besonders dann taten, wenn es sich um poetische Sprache handelte, eben weil die deutschen Begriffe zu ihrer Zeit und in der Sprache der Dichtung genau hier ihren Platz hatten. Dabei war ihnen klar, daß sie die innere Haltung der Geneigtheit oder des Wohlwollens beinhalten, dann aber auch den Charakterzug beschreiben, der dieses Wohlwollen und sogar Zuneigung hervorruft. So spricht David z.B. in seiner Totenklage seine tiefen Empfindungen für seinen im Kampf gefallenen Freund Jonathan aus: „Mir ist wehe um dich, mein Bruder Jonathan! holdselig warst du mir sehr" (2. Sam 1,26). Ähnlich spricht die Braut im Lied der Lieder: „Siehe, du bist schön, mein Geliebter, ja, holdselig" (Hld 1,16).

Und wenn die Söhne Korahs in Psalm 45, einem Lied der Lieblichkeiten, einem Lied von dem Geliebten, sagen: „Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich gesegnet ewiglich" (V.2), dann haben sie die moralische Schönheit und liebevolle Zuwendung in Seinen Worten vor Augen. Sie sprechen von dem König, prophetisch gesehen von dem Messias in der Zukunft, von unserem Herrn, der ja einmal in dieser Weise über Sein Ihm ergebenes Volk regieren wird. Eine neutestamentliche Parallelstelle ist Lukas 4,22: „Und alle gaben ihm Zeugnis und verwunderten sich über die Worte der inade, die aus seinem Munde her Wenn wir in einem Lied singen:

„Du, Herr, bist mein, o welche Gnade! O welche Huld, ich bin jetzt Dein!",

dann meinen wir damit die unfaßbare Weise, in der Gott sich zu uns „herabgeneigt" hat, um uns Seine ganze Liebe zu offenbaren, Er, „der reich ist an Barmherzigkeit, wegen seiner vielen Liebe" (Eph 2,4).

Die Huld Gottes finden wir in den Schriften des Alten Testaments viele Male angerufen, erbeten, mit Dankbarkeit und Bewunderung gesehen und gepriesen; zwei Beispiele mögen für viele stehen: „Laß dein Angesicht leuchten über deinen Knecht, rette mich in deiner Huld!" (Ps 31,16). „Fürwahr, Güte und Huld werden mir folgen alle Tage meines Lebens; und ich werde wohnen im Haus des HERRN auf immerdar" (Ps 23,6).

In unserer mehr und mehr versachlichten Welt geht uns leider oft auch der Zugang zur vielfach poetischen Sprache, die Gott nach Seiner Weisheit beim Niederschreiben Seines heiligen Wortes hat verwenden lassen, verloren. Gott stellt uns in wahrhaft „meisterlicher" Verwendung sprachlicher Mittel häufig echte, tiefe Empfindungen vor, die wir „nachempfinden" dürfen - ohne daß wir „sentimental" werden.

Welche Haltung wollen wir vor unserem Herrn einnehmen, dessen „Gefolgsleute" wir sein dürfen? Wir wollen es tun wie die „Königin" zur Rechten des Königs in Psalm 45, 11: „Er ist dein Herr: so huldige ihm!" In Liebe, Dankbarkeit und Bewunderung wollen wir uns vor Ihm „verneigen", Ihm huldigen.

Und die Huld des Herrn, unseres Gottes, sei über uns! Und befestige über uns das Werk unserer Hände; ja, das Werk unserer Hände, befestige es! (Psalm 90,17)