Lebensbilder

August Hermann Francke

August Hermann Francke wurde am 22. März 1663 in Lübeck geboren. Seine Eltern waren der Jurist Hans Francke sowie die Lübecker Bürgermeisterstochter Anna Gloxin.

Der Einfluß des Pietismus

Es war eine Zeit, die geistlich im wesentlichen durch das Wirken eines Mannes namens Philipp Jakob Spener gekennzeichnet war. Dieser hatte 1675 eine kleine Broschüre mit dem Namen „Pia desideria" (Frommes Verlangen) veröffentlicht. Wichtigster Punkt dieses eindringlichen Appells an seine „Mitchristen" war die Forderung nach einem persönlichen Bibelstudium und inbrünstigem Gebet. Diese Schrift, aus der sich der Name „Pietismus" abgeleitet hat, hat Francke und seine Mitarbeiter sowie das ganze Werk in Halle stark geprägt.

August Hermann Francke hatte 1687 in Leipzig eine erste Begegnung mit Spener und blieb ihm bis zu dessen Tod im Jahre 1705 sehr verbunden.

Mit sieben Jahren verlor August Hermann Francke seinen Vater.nIn der Zeit danach ist ihm seine ältere Schwester Anna geistlich ein Ansporn gewesen. Nach dem Abschluß des Gymnasiums begann er 1679 in Erfurt Theologie und Philosophie zu studieren. Über die Stationen Kiel (1679-1682) und Hamburg gelangte er 1684 nach Leipzig. Hier widmete er sich vor allem dem Studium der orientalischen Sprachen und hielt bereits 1685 Vorlesungen über diese Sprachen und über Bibelauslegung.

Im Jahre 1687 erlebte er während eines Studienaufenthaltes in Lüneburg bei einer Predigtvorbereitung über Johannes 20 seine Bekehrung. Von da an waren seine Predigten ein mächtiges Glaubenszeugnis. Er war überzeugt, daß „Glauben wie ein Senfkorn mehr gälte als hundert Säcke Gelehrsamkeit" . Zunehmende Feindschaft in Leipzig gegen den „Pietisten Francke" veranlaßte ihn Ende 1692, dem Ruf Speners nach Halle an der Saale zu folgen, wo er bis zu seinem Lebensende 1727 segensreich wirkte.

Die Waisenhäuser in Halle/Saale

Wahre Frömmigkeit, Einheit zwischen Reden und Handeln, aufrichtige christliche Nächstenliebe - das waren einige Kennzeichen des jungen Pietismus. Seinen Predigten ließ August Hermann Francke beeindruckende Taten folgen, deren Ergebnis noch heute als „Franckesche Stiftungen" bekannt ist.

Anfang 1695 hatte er eine Spendenbüchse im Wohnzimmer seines Pfarrhauses ange-bracht. Als eine Frau dort 4 Taler einwarf, begann er die Gründung einer Armenschu-le.

„In einem Zimmer seines Pfarrhauses fing ein Student an, mit zwei Stunden Unterricht täglich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Bald wuchs die Zahl der Kinder und auch Bürger schickten ihre Kinder zu ihm. So kam Francke auf den Gedanken, ein Päd-agogium zu gründen. Seinen Helfer Frey-linghausen betraute er mit der Aufsicht. Dazu kam die Gründung eines Waisenhauses und eines Gymnasiums. ... Schon ein Jahr nach der Gründung kaufte er das Haus neben dem Pfarrhaus, im nächsten Jahr das zweite. Sein Glaubensmut nahm zu. Ohne das Geld zu haben, legte er 1698 den Grundstein zum Neubau des jetzigen Hauptgebäudes."1

Ein starkes Vertrauen und beständiges Gebet ließen ihn erleben, wie Gott half. Obwohl man ihm aus finanziellen Gründen zu einem Fachwerkbau riet, war sich Francke sicher, daß Gott ihm gesagt hatte: „Baue aus Steinen, ich will es bezahlen".

Dreißig Jahre später konnten in den Anstalten 2200 Kinder von 167 Lehrern unterrichtet werden. Dazu wurden 154 Waisen voll verpflegt und 250 Studenten über einen sogenannten Freitisch versorgt.

Segensvolle Fußstapfen

Neben vielen Gebäuden in Halle (sie wurden übrigens im Oktober 1995 nach dreijähriger Restauration wieder zur Besichtigung freigegeben) gibt es noch ein bemerkenswertes schriftliches Zeugnis von der Arbeit Franckes. „Segensvolle Fußstapfen" ist ein Bericht, den Francke selbst verfaßt hat und der von ihm mit dem fortschreitenden Werk in Halle siebenmal ergänzt wurde. Er liest sich wie ein Rechenschaftsbericht, ist aber letztendlich ein Zeugnis der Treue und Fürsorge Gottes. So lautet der volle Titel auch:

"Segensvolle Fußstapfen des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes zur Beschämung des Unglaubens und Stärkung des Glaubens, entdeckt durch eine wahrhafte und umständliche Nachricht von dem Wailen-Haule und übrigen Anstalten zu Glaucha vor Halle."

Zwei Zitate aus diesem Buch, das im vorigen Jahr mit einer kleinen Überarbeitung wieder aufgelegt wurde, machen den Geist und die Gesinnung August Hermann Franckes deutlich, mit der er seinem Gott gedient hat.

Befragt nach seinem Kapital, sagte Francke:

„Unser Kapital, darauf wir uns verlassen, ist die unaussprechlich große Liebe und Treue, und die gnädige Fürsorge Gottes des Allerhöchsten, samt seiner unendlichen Größe, Stärke und Allmacht."

Den Bericht über seine Arbeit in Halle schließt Francke mit den Worten:

„Der sich bey diesem gantzen Werck von dessen Anbegin bis auf diese Stunde als einen noch lebenden und waltenden, liebreichen und getreuen GOtt beständig erwiesen, ja sich von Jahren zu Jahren bis hieher immer herrlicher dabey erzeiget, denen, so daran gearbeitet, durch manche schwere Wege gnädiglich hindurch geholfen, sie durch sein Wort und Geist stets erwecket, in Widerwärtigkeiten getröstet, in allen Prüfungen gestärket, und im Glauben erhalten, auch unerachtet mancher unglimpflichen Beurteilungen, vieler falschen Anschuldigungen, grossen Neids und Bosheit der Menschen und anderer theils heimlicher, theils in ihren Ausbrüchen offenbarer Anläuffen des Fürsten der Finsternil, das Werck öffentlich vor aller Augen gesegnet und gefördert, und die Hertzen der Hohen und Niederen dazu immer mehr geneiget, die Frucht aber desselben immer grösser, reicher und herrlicher hervor brechen lassen; Demselben sey allein alle Ehre, Lob, Preis und Herrlichkeit! Derselbe Majestätische und lebendige GOtt verleihe ferner mir und allen, die von Hertzen erkennen, daß sie ein unnützer Staub und eine arme Asche sind, aber seine Ehre lieb haben, daß sie sich an das Urtheil der Welt, sie mögen von ihr gelobet oder gescholten werden, im geringsten nicht kehren, sondern getrost, freudig und unerschrocken, (in reiner Absicht und mit Lauterkeit) würcken die Wercke GOTTES, so lange es Tag ist, ehe denn die Nacht kömmet, da niemand würcken kan. Joh. 9,4) Amen!"

August Hermann Francke entschlief nach einem außerordentlich reichen Arbeitsleben am 8. Juni 1727 in völligem Frieden. Auf die Frage seiner Frau, ob der Heiland ihm nahe sei, antwortete er: „Daran ist kein Zweifel." Der Wahlspruch seines Lebens steht auch auf dem Giebel seines Waisenhauses:

„Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft".

Die Saat geht auf

Die Erweckung um Spener und Francke bewies ihre Echtheit nicht zuletzt dadurch, daß sie in den Gläubigen den Wunsch zum missionarischen Zeugnis weckte. Bereits 1702 eröffnete Francke das Collegium orientale (Studium der armenischen, persischen, chinesischen und türkischen Sprachen) mit dem Gedanken, sofort einige Leute parat zu haben, wenn Gott die Türen dorthin öffnen würde. Zwei von ihnen waren Bartholomäus Ziegenbalg (1683-1719) und Heinrich Plütschau. Sie nannten Francke ihren „Vater in Christo" und waren bereit, im Geist der Hingabe und in kindlichem, unerschütterlichem Vertrauen diese große Herausforderung anzunehmen. Bartholomäus Ziegenbalg begab sich am 29. November 1705 auf seine Schiffsreise in die ostindischen Besitzungen des dänischen Königs. Bereits 1708 begann er das Neue Testament in die tamilische Sprache zu übersetzen. Bei seiner ganzen missionarischen Arbeit konnte er auf keine vergleichbaren Vorbilder zurückgreifen, so daß er selbst ein Bahnbrecher der Heidenmission wurde.

1 Friedrich Hauss: Väter der Christenheit, Wuppertal, 1991