Lebensbeschreibung
Wenn das Gebet zum Lied wird
Es gibt in der Geschichte unzählige Beispiele, die zeigen , wie Menschen in Notzeiten auch die besondere Nähe und Kraft ihres Gottes erfahren haben. Gott hat an diesen Menschen wahr gemacht, was Er einst durch Seinen Propheten Jesaja niederschreiben ließ: „Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten" (Kap. 43,2). Wir fragen uns, woher diese Menschen, die so tiefen Schmerz erleben mußten, wohl die Kraft nahmen, Lieder oder Gedichte zu schreiben, die ein unerschütterliches Vertrauen in die Führung Gottes bewiesen. Ihr Glaube war nicht auf irgendeine Religion oder Idee gegründet, sondern die Antwort müssen wir darin suchen, daß sie einem lebendigen Gott glaubten und Seine Hilfe erfuhren. Die drei nachfolgenden kurzen Beispiele sprechen für sich - ein kleiner Teil dieser großen „Wolke von Zeugen".
Horatio Spafford
Wer kennt heute noch Horatio Spafford? Er lebte im vergangenen Jahrhundert (1828-1888) und wirkte als Rechtsanwalt in Chica-go. Nachdem er zunächst allein von England nach Amerika gegangen war, sollten nun seine Frau und seine vier Kinder mit dem Schiff Ville de Havre nachkommen. Während er sehnsüchtig auf seine Familie wartete, konnte er nicht ahnen, daß sich auf dem Meer eine furchtbare Tragödie ereigne-te. Die Ville de Havre stieß auf dem Atlantik mit einem anderen Schiff zusammen und sank innerhalb einer halben Stunde. Auf dem untergehenden Schiff kniete seine Frau mit den vier Kindern und betete: „Wenn es möglich ist, Herr, rette uns! Wenn wir aber sterben müssen, mache uns bereit!" Allein seine Frau wurde lebend von einem Matrosen mit einem Boot gerettet - die Kinder ertranken alle vier. Wieder zurück in England, sandte sie ihrem Mann ein Telegramm: „Allein ge-rettet!" Sein ganzes Leben lang hing es an der Wand seines Arbeitszimmers und erinnerte ihn an diesen furchtbaren Schmerz. In dieser Erinnerung dichtete Horatio Spafford das folgende Lied, das von Theodor Kübler (1832-1905) ins Deutsche übersetzt wurde:
Wenn Friede mit Gott meine Seele durchdringt,
ob Stürme auch drohen von fern,
mein Herze im Glauben doch allezeit singt:
Mir ist wohl in dem Herrn.
Wenn Satan mir nachstellt und bange mir macht,
so leuchtet dies Wort mir als Stern:
Mein Jesus hat alles für mich schon vollbracht;
ich bin rein durch das Blut meines Herrn.
Die Last meiner Sunde trug Jesus, das Lamm,
und warf sie weit weg in die Fern;
er starb ja für mich auch am blutigen Stamm,
meine Seele lobpreise den Herrn.
Nun leb ich in Christo für Christum allein,
sein Wort ist mein leitender Stern:
In ihm hab ich Fried und Erlösung von Pein,
meine Seele ist selig im Herrn.
Julie von Hausmann
Julie von Hausmann (1826-1901) hatte sich mit einem Missionar verlobt und war ebenfalls mit dem Schiff unterwegs, um ihrem Verlobten auf seine Missionsstation nach-zureisen. Verständlicherweise konnte sie die Ankunft des Schiffes und die Hochzeit kaum erwarten. Als sie am Hafen lediglich von einem Freund des Bräutigams abgeholt wurde, mögen Befürchtungen in ihr aufgestiegen sein. Diese Befürchtungen bewahrheiteten sich, als dieser Freund sie statt zum Missionshaus zu dem kleinen Missionsfriedhof führte. Dort hatte man vor wenigen Tagen ihren Verlobten beerdigt. Die junge Frau war erschüttert. In ihrem unsäglichen Schmerz verließ sie drei Tage nicht die Station. Tag und Nacht weinte und betete sie. Sie führte einen stillen Kampf mit Gott. Dann, nach diesen schweren Stunden, verließ sie das erste Mal die Missionsstation und brachte ein Lied mit.
So nimm denn meine Hände und führe mich
bis an mein selig Ende und ewiglich!
Ich kann allein nicht gehen,
nicht einen Schritt;
wo Du wirst gehn und stehen,
da nimm mich mit!
Vielleicht haben manche dieses einfache Lied ein wenig belächelt. Bedenkt man, in welcher Situation Julie von Hausmann dieses Gebet zu Papier brachte, dann ist es für uns ein Ansporn, ein wenig den Glauben und das Vertrauen dieser geprüften Frau nachzuahmen.
In Deine Gnade hülle
mein schwaches Herz,
und mach es endlich stille
in Freud' und Schmerz!
Laß ruhn zu Deinen Füßen
Dein schwaches Kind!
Es will die Augen schließen
und glauben blind.
Wenn ich auch gleich nichts fühle
von Deiner Macht,
Du bringst mich doch zum Ziele
auch durch die Nacht;
so nimm denn meine Hände
und führe mich
bis an mein selig Ende
und ewiglich!
Paul Gerhardt
Paul Gerhardt (1607-1676), sicher den meisten etwas bekannter als H. Spafford und J.v. Hausmann, lebte in einer Zeit, die von Not und Krieg geprägt war. Mit 44 Jahren übernahm er sein erstes öffentliches Amt als Probst in Mittenwalde. Dort heiratete er auch vier Jahre später seine Frau Anna Ma-ria. Ihre erste Tochter Maria Elisabeth und drei weitere Kinder starben früh. Nur ihr Sohn Paul Friedrich Gerhardt blieb ihnen erhalten. Die älteste Tochter starb bereits im Alter von 8 Monaten. Als kurze Zeit später die Tochter eines Diakons starb, schrieb Paul Gerhardt ein Gedicht, das auch den Schmerz des Verlustes seiner Tochter noch einmal wach werden läßt:
Ach, es ist ein bittres Leiden
und ein rechter Myhrrentrank,
sich von seinen Kindern scheiden
durch den schweren Todesgang.
Hier geschieht ein Herzensbrechen,
das kein Mund recht kann aussprechen.
Dieses Lied wie viele andere Lieder Paul Gerhardts atmet schlichtes Gottvertrauen und tiefe Frömmigkeit.
Einen Schuß Humor vermittelt eine kleine Geschichte aus dem Leben Paul Gerhardts. Es war ein Tag, an dem keine Brotrinde mehr im Kasten zu finden war, so daß seine Frau schweren Herzens mit der Bitte zu ihrem Mann kam: „Gib mir einen Kreuzer, daß ich das Allernötigste kaufen kann; ich weiß dir sonst den Tisch nicht zu decken. Aber auch Paul Gerhardt fand trotz eifrigen Suchens den einen Kreuzer nicht. Da soll er zu seiner Frau gesagt haben: „Ich will dir eine Speise besorgen, die nicht vergeht" schloß sich zwei Stunden ein und las ihr dann folgendes Gedicht vor:
Befiehl du deine Wege
und was dein Herze kränkt
der allertreusten Pflege des,
der den Himmel lenkt!
Der Wolken, Luft und Winden
gibt Wege, Lauf und Bahn,
der wird auch Wege finden,
da dein Fuß gehen kann.
Dem Herren mußt du trauen,
wenn dir's soll wohl ergehn;
auf Sein Werk mußt du schauen,
wenn dein Werk soll bestehn.
Mit Sorgen und mit Grämen
und mit selbsteigner Pein
läßt Gott sich gar nichts nehmen,
es muß erbeten sein.
Weg hast Du allerwegen,
an Mitteln fehlt Dir's nicht;
Dein Tun ist lauter Segen,
Dein Gang ist lauter Licht;
Dein Werk kann niemand hindern,
Dein ' Arbeit darf nicht ruhn,
wenn Du, was Deinen Kindern
ersprießlich ist, willst tun.
Ihn, Ihn laß tun und walten!
Er ist ein weiser Fürst
und wird sich so verhalten,
daß du dich wundern wirst,
wenn Er, wie Ihm gebühret,
mit wunderbarem Rat,
das Werk hinausgeführet,
das dich bekümmert hat.
Da bleibt uns nur die Frage, ob uns vielleicht etwas von diesem einfachen, einfältigen Glauben verlorengegangen ist. Ist es uns zu billig, einfach die Augen zu schließen und blind zu glauben? Wenn wir es dennoch tun, werden wir gerade das erfahren, was Paulus an die Philipper schrieb: „Und der Friede Gottes, der allen Verstand über-steigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu" (Phil 4,7).
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