Post von Euch

Ihr lieben Brüder,

wir freuen uns sehr darüber, daß in der jungen Zeitschrift „Folge mir nach" Fragen vieler Geschwister ausführlich behandelt und beantwortet werden. Der Herr Jesus möge Eure Arbeit segnen. Auch wir haben eine Frage an Euch, die wir - wenn es zu einer Veröffentlichung kommen sollte - ohne unseren Namen abgedruckt wissen möchten: Gerade in der letzten Zeit - und das belegen auch die Statistiken - bleiben viele Ehen ungewollt kinderlos. Auch die Ehen Gläubiger sind davon betroffen. Die Ursachen können vielerlei Art sein. Die medizinische Forschung bietet Reproduktionsme-thoden an, die wir sicherlich im Prinzip ablehnen sollten, andererseits aber wird solchen Paaren die Adoption eines Kindes vorgestellt. Welche Haltung sollten Ehepaare, die den Weg des Glaubens und der Absonderung gehen möchten, in solchen Schwierigkeiten einnehmen? Ist eine Adoption in unserer heutigen Zeit überhaupt noch vertretbar? Wir geben zu überlegen, daß sich in den letzten Jahren die offene Adoption durchgesetzt hat (d.h. die Adoptiveltern haben sich mit den Herkunftseltern des Kindes bekannt gemacht).

Wir möchten auch hier eine Entscheidung nicht gegen den Willen des Herrn treffen, danken Euch aber dennoch herzlich für Eure Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

 

Lieber X, liebe Y,

Ihr habt die Hoffnung wahrscheinlich schon aufgegeben - aber heute möchte ich nun versuchen, eine Antwort auf Euren Brief vom 10.2.95 zu geben. Ich will Euch nicht mit meinem Zeitplan für die zurückliegenden acht Wochen langweilen, Euch jedoch wenigstens sagen, daß nicht fehlende Anteilnahme an Eurer Not der Verzögerungsgrund war. Es hatte auch eine positive Seite. Ich konnte bei den letzten Besuchen auch noch mit einigen der vielen Geschwister sprechen, die Kinder adoptiert haben - selbstverständlich ohne Euren Namen irgendwie zu erwähnen. An dieser Stelle möchte ich Euch, auch im Namen der übrigen Mitarbeiter, für das Vertrauen danken, das Ihr uns mit Eurem Brief entgegengebracht habt.

Wir wissen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken. Diese Glaubensüberzeugung schließt aber andererseits nicht aus, daß uns manches von Gott Auferlegte viel Not bereiten kann. In die lange Reihe solcher Dinge gehört auch der nicht erfüllte Kinderwunsch, wovon die Schrift an manchen Stellen so erschütternd zu berichten weiß. Diese Not macht Gläubigen im allgemeinen stärker zu schaffen als anderen. Denn sie haben meistens noch die von Gottes Sicht geprägte, positive Einstellung zum Kind. Außerdem können sie von neuen Möglichkeiten, die der medizinischen Fortschritt eröffnet hat, aus Gewissensgründen nur begrenzten Gebrauch machen. (Zu dieser Überzeugung bin ich ebenso wie Ihr gelangt, nachdem ich jetzt einige Literatur dazu gelesen habe.) So will ich denn zu Eurer eigentlichen Frage kommen, ob Adoption (besonders offene) heute noch ein vertretbarer Weg für gläubige Eheleute sein kann - Ihr erwartet sicher kein einfaches Ja oder Nein, denn es gibt keine allgemeingültige Antwort darauf. Die letztendliche Entscheidung in dieser Frage muß jedes betroffene Ehepaar ganz allein treffen. Deshalb möchte ich Euch gern eine Anzahl von Gesichtspunkten vorstellen, die unter anderem bei einer solchen Entscheidung bedacht werden sollten.

1. Voraussetzungen für ein Ja zur Adoption

1.1. Ein klarer Auftrag vom Herrn

In Psalm 55,22 werden wir aufgefordert: „Wirf auf den HERRN, was dir auferlegt [o. beschieden] ist." Ehelosigkeit, Körperbehinderung, unheilbare Krankheit, Verlust der Heimat, Gefängnis, Kinderlosigkeit u.ä. sind Dinge, die tief in unser menschliches Dasein eingreifen. Aber für uns Christen sind sie ja keine blinden Schicksalsschläge; wir dürfen Gottes Willen darin erblicken. Damit aber tragen sie immer auch die Möglichkeit reicher Frucht für den Herrn in sich. Fremden oder verwandten Kindern ein vorübergehendes bzw. dauerndes Zuhause zu bieten, ist nur eine Möglichkeit unter vielen für ein kinderloses Ehepaar. Es bedarf großer Abhängigkeit vom Herrn und der Erwägung aller Umstände vor Ihm, um sich gemeinsam klarzuwerden, daß das Sein Auftrag ist.

1.2. Einmütigkeit der Ehepartner

Der Entschluß zu einer Adoption muß die uneingeschränkte Bejahung beider Ehegatten zur Grundlage haben. Nur so ist garantiert, daß sich beide auf die Dauer Verantwortung und Mühen teilen werden. Freilich sollte das beiderseitige Ja zu Kindern bereits in dem Jawort bei der Eheschließung mit eingeschlossen sein. Dennoch besteht ein beachtlicher Unterschied zwischen diesem grundsätzlichen Ja und dem konkreten Entschluß eines Paares, ein Kind zu adoptieren. Denken wir nur an die weitreichenden Möglichkeiten, eigene Vorstellungen bezüglich des Adoptionszeitpunktes sowie des Alters, Geschlechts, Aussehens und der Rasse des Kindes zu verwirklichen. Der Zwang zum Konsens ist also ungleich größer als beim leiblichen Kind, das weitgehend als „vollendete Tatsache" in die Familie „hineinschneit". Beim Erwägen einer Adoption sollten (besonders unter christlichen Ehepartnern) natürlich die Wünsche beider gegeneinander abgewogen werden.

1.3. Gesundheitliche Voraussetzungen

Wir alle wissen, daß sich Kindersegen oft nicht mit den gesundheitlichen Voraussetzungen bei den Eltern, besonders bei der Mutter deckt. Wir wollen dankbar dafür sein, wie dennoch viele dieser Eltern ihre begrenzten körperlichen oder seelischen Kräfte für das Wohl der Kinderschar einsetzen. Aber ich denke, bei einer Adoption sollten die gesundheitlichen Voraussetzungen bei beiden Partnern in jedem Fall angemessen berücksichtigt werden. (Hier und beim nächsten Punkt gibt es auch behördliche Anforderungen.)

1.4. Materielle Voraussetzungen

Wir sollten - abgesehen von behördl. Normen - materielle Voraussetzungen nicht überbetonen. Die meisten Kinder bewerten Zuwendung, Verständnis und Geborgenheit höher.

2. Alter und Geschlecht des Kindes

Je jünger das Kind angenommen wird, desto fester und natürlicher wird die Beziehung zu ihm werden, desto schwächer wirken sich eventuelle negative Prägungen aus der Vorgeschichte aus. Andererseits stellt ein junger Säugling sehr viel höhere Anforderungen an die mütterliche Pflege als beispielsweise ein zweijähriges Kind. Mit zunehmender Schwierigkeit, überhaupt ein Adoptivkind zu bekommen, wird eine enge Wunschaltersspanne ohnehin nicht leicht zu realisieren sein.

Über das Geschlecht des Kindes sollte bei den Partnern schon im voraus Einvernehmen bestehen, damit nicht extrem festgelegte Wunschvorstellungen bei einem Partner zu Akzeptanzschwierigkeiten führen.

3. Mögliche Probleme nach Adoption

3.1. Adoptionsmotive

Einige spätere Probleme mit adoptierten Kindern können durchaus bis auf die Adoptionsmotive eines oder beider Ehegatten zurückgehen. Deshalb ist es wichtig, sich einzeln und gemeinsam vor dem Herrn über seine Beweggründe klarzuwerden.

Es ist leider Tatsache, daß durch achtloses Verhalten und Reden in der Umgebung eines kinderlosen Ehepaares (manches erinnert an Hiobs Freunde) dessen seelische Nöte zuweilen ein extremes Ausmaß erreichen können. Vielen ist gar nicht bewußt, was laute Mutmaßungen, ungezügelte Neugier, ungefragte Ratschläge usw. auf die Dauer anrichten können. (Das gilt, nebenbei bemerkt, auch für kinderreiche Ehepaare und für Ledige).

Dennoch sollte eine Adoption niemals als Reaktion auf ein seelisches Verletztsein oder als Mittel zur Selbstbestätigung erfolgen. Ebenso nicht aus der Illusion heraus, man könne damit eheliche Konflikte lösen. Das angenommene Kind wird zunächst unbewußt, später immer deutlicher, empfinden, daß man bei der Adoption nicht so sehr sein Wohl, sondern eigene Interessen im Auge hatte. Damit wird vieles kaputtgehen.

3.2. Reaktionen dritter Personen

Eine andere Quelle für Probleme ist dann gegeben, wenn dem kinderlosen Ehepaar von Verwandten oder Glaubensgeschwistern aus nicht stichhaltigen Gründen von der Adoption abgeraten wurde bzw., nachdem sie doch erfolgte, Enttäuschung und Mißerfolg prophezeit wurden. Damit steht das arme Paar von Anfang an (vielleicht unbewußt) unter einem gewissen Zwang, das Gegenteil beweisen zu müssen. Dies kann leicht dazu führen, dem Kind gegenüber überempfindlich und unangemessen zu reagieren. Sofern diese Eheleute ihren Entschluß nach reiflicher Überlegung gemeinsam vor dem Herrn gefaßt haben, sollten sie ungeachtet düsterer Prognosen alles Weitere gelassen in Seine Hand legen. Dann werden sie auch unverkrampft mit dem Kind umgehen können.

Andererseits werden gläubige Eheleute eine Adoption in aller Regel nur in weitgehender Harmonie mit ihren beiderseitigen Eltern vornehmen. Denn diese treten rechtlich gesehen auch ohne ihr Einverständnis dem angenommenen Kind gegenüber in alle Rechte und Pflichten von Großeltern ein.

3.3. „Normale" Probleme

Fast auf der gleichen Linie liegt eine andere Gegebenheit, mit der Kind und annehmende Eltern gleichermaßen leben müssen. Die Eltern stehen in der Gefahr, ganz normale, oft alterstypische Verhaltensweisen, die bei jedem Kind auftreten können, auf die Herkunft oder Vorprägung des adoptierten Kindes zu schieben und sich damit abzufinden. Die Umwelt irritiert die Eltern oft zusätzlich durch Bemerkungen wie „typisch Heimkind!"

Das Kind wiederum wird zuweilen versuchen, sich Verboten oder durchaus üblichen Erziehungsmaßnahmen mit der Behauptung zu widersetzen, mit eigenen Kindern würde man vermutlich anders verfahren.

4. Offene Adoption

Die Zielsetzungen gläubiger Adoptiveltern decken sich im großen und ganzen mit denen aller anderen. Darüber hinaus werden sie jedoch den sehnlichen Wunsch haben, dieses Kind zu dem Herrn Jesus zu führen und es für Ihn zu erziehen. Bei einer offenen Adoption würde vor allem die Erreichung dieses Zieles deutlich erschwert werden, wenn auch sicher nicht unmöglich gemacht.

Auch bei Joseph, Mose und Daniel hat die gottesfürchtige Erziehung unter ähnlich ungünstigen Umständen letztlich den Sieg davongetragen.

Immerhin kann bei dieser Adoptionsform eine weltliche Beeinflussung durch Kontakte mit den leiblichen Eltern bzw. anderen Angehörigen niemals ganz ausgeschlossen werden. Schwierigkeiten, wie sie bei jeder Erziehung auftreten, würden dadurch u.U. zusätzlich verschärft. Denn in der Regel werden intensivere Kontakte zeitlich mit einer ohnehin schwierigen Lebensphase des jungen Menschen zusammenfallen. Es muß bedacht werden, daß selbst grobe Undankbarkeit oder eine kriminelle Entwicklung für sich genommen keine Aufhebungsgründe für die Annahme als Kind darstellen. Ein weiterer beachtenswerter Punkt ist die sog. Religionsmündigkeit eines Kindes ab seinem 14. Geburtstag.

All das muß sicher kein Grund sein, Gläubigen gänzlich von solcher Adoption abzuraten. Sie sollten aber angesichts der genannten erschwerenden Umstände doch gründlich erwägen, ob dies der Weg des Herrn für sie ist. Denn eine offene Adoption weist viele Parallelen zu einer gemischten Ehe auf. - Vielleicht kann man abschließend sagen, daß ein gläubiges Ehepaar bevorzugt die Inkognitoadoption eines möglichst jungen Säuglings anstreben sollte.

Das soll es nun für heute sein. Ich hoffe, daß ich einige Eurer wesentlichen Fragen berührt habe. Andernfalls dürft Ihr mir gern noch einmal schreiben. Ich wünsche Euch viel Gnade und Weisheit, mit des Herrn Hilfe in Eurer speziellen Not aus dem Tränental einen Quellenort zu machen. Das ist keineswegs leicht, und so will auch ich für Euch beten. In Seiner Liebe verbunden

Euer Bruder

Hans-Joachim Kuhley