Biblische Begriffe

Freimütigkeit

Die Erläuterungen, die wir unter dieser Überschrift den Lesern vorstellen, haben nicht das Ziel, eine „theologische“ Deutung zu geben, sondern sollen einfach Begriffe, die heute vielleicht anders verstanden werden oder auch ungebräuchlich geworden sind, erklären. Dabei möchten wir jeweils auf ihren Gebrauch im Zusammenhang der Heiligen Schrift eingehen. Dies kann natürlich kaum in erschöpfender Weise geschehen, könnte aber vielleicht dazu dienen, Denkanstöße für unsere Praxis als Christen zu geben.

Freimütigkeit

Im letzten Heft haben wir uns ein wenig beschäftigt mit dem Begriff des „Glaubens”. Nun wollen wir einmal eine besondere Auswirkung des Glaubens behandeln: die Freimütigkeit.
Zunächst daher einmal, was Freimütigkeit nicht ist: ein forsches Auftreten, weil man von sich und seiner Fähigkeit, eine Aufgabe anzupacken und zu lösen, überzeugt ist.
In der Heiligen Schrift bedeutet Freimütigkeit, dass wir trotz der ganzen Macht, die in dieser Welt gegen uns steht, „kühn“ und „zuversichtlich“ sind, weil Gott für uns ist. Es geht um eine Haltung der Glaubenszuversicht, die Gott schenkt (s. W.J. Hocking in Mess. Ev. p.77).
Schon der deutsche Ausdruck - zusammengesetzt aus den beiden Wörtern „frei” und „Mut“ — macht klar, dass es um ein gewisses „freies” Auftreten geht, zu dem man „mutig“ ist. So wird der griechische Begriff parresia bzw. das daraus abgeleitete Zeitwort parresiazomai in der Elberfelder Übersetzung (nichtrevidierte und revidierte Fassung) auch mit „frei heraus sagen“ (in Joh 10,24), „offen reden” (Joh 16,25.29), sogar einfach „öffentlich reden” (Mk 8,32; Joh 18,20) oder „gerade heraus sagen” (in Joh 11,14.54) übersetzt, an den meisten Stellen allerdings mit dem Wort „freimütig reden”, „freimütig sein” bzw. mit dem Substantiv „Freimütigkeit“.
Der Begriff wird regelmäßig positiv gebraucht, außerdem scheint mir interessant zu sein, dass es keine Stelle in der Heiligen Schrift gibt, wo jemand sagt oder von jemand gesagt wird, dass er keine Freimütigkeit gehabt habe, oder dass jemand das gar von sich selbst gesagt hätte. Das scheint mir zu zeigen, dass Gott bei den Seinen - und nur bei ihnen wird der Begriff „Freimütigkeit” verwendet - eigentlich das Gegenteil, nämlich fehlende Freimütigkeit, nicht voraussetzt.
Am häufigsten kommt der Begriff Freimütigkeit in der Apostelgeschichte vor - es gibt allein hier zwölf Stellen, in denen bei den ersten Gläubigen der Gnadenzeit davon gesprochen wird:
Petrus spricht mit Freimütigkeit zu den Juden (Kap. 2,29), er und Johannes fallen den Obersten der Juden auf durch ihre Freimütigkeit (Kap. 4,13), die Apostel und die anderen Jünger reden das Wort Gottes mit Freimütigkeit (Kap. 4,31), Paulus sprach freimütig im Namen des Herrn (Kap. 9,27.28), Paulus und Barnabas „gebrauchten Freimütigkeit und sprachen” (Kap. 13,46 vgl. 14,3), Apollos „fing an, freimütig in der Synagoge zu reden (Kap. 18,26), Paulus „ging aber in die Synagoge und sprach freimütig.drei Monate lang” (Kap. 19,8), vor dem König Agrippa redet er „mit Freimütigkeit" (Kap. 26,26), und schließlich lesen wir im letzten Vers der Apostelgeschichte von Paulus, dass er alle zu sich nahm, die zu ihm kamen, „indem er das Reich Gottes predigte und die Dinge, welche den Herrn Jesus Christus betreffen, mit aller Freimütigkeit ungehindert lehrte” (Kap. 28,31).
Man könnte über die Art und Weise, wie die Apostel gesprochen haben, wie sie gepredigt haben, wie sie ihren Glauben vorgelebt haben, die Überschrift setzen: „Mit Freimütigkeit”.
Wie kamen die Apostel und die ersten Christen zu dieser Freimütigkeit? Es ist kein Vertrauen auf eigene Kraft und Fähigkeit, Gott hat sie ihnen geschenkt, sie ist aus dem Glauben erwachsen.
Eine Stelle in der Apostelgeschichte macht dies, wie mir scheint, sehr klar: In Kapitel 4 lesen wir von dem Widerstand, den die Obersten und Ältesten der Juden gegen die Apostel und ihre Predigt leisten, indem sie sie bedrohen und Maßnahmen gegen sie überlegen. Petrus hätte nun, wie einige Zeit vorher, ganz selbstbewusst auftreten können im Vertrauen darauf, dass er doch klare Worte zu reden verstand. Seine Predigt an Pfingsten bewies das doch! Aber nichts davon! Als er und Johannes zu den „Ihrigen” kommen (V. 23), richten sie gemeinsam und einmütig ein ernstes Gebet an Gott und sagen unter anderem: „Und nun, Herr, sieh an ihre Drohungen und gib deinen Knechten, dein Wort zu reden mit aller Freimütigkeit...” (V.29). Sie beten mit absolutem Vertrauen, ein Gebet des Glaubens! Und sie werden unmittelbar erhört (V.31).
Eine kurze Untersuchung, in welchen Zusammenhängen von Freimütigkeit gesprochen wird oder wozu Freimütigkeit bestand, bestehen soll und kann, zeigt folgendes:
1)
Freimütigkeit, die Vorrechte und Segnungen, die der Herr Jesus durch Seinen Tod, Seine Auferstehung und Verherrlichung erworben hat, auch wirklich und persönlich in Besitz zu nehmen, nämlich
=> Freimütigkeit zum praktischen Erfassen der Wahrheit, dass alle Gläubigen (aus Juden und Nationen) in Christus auf einen neuen Boden gestellt sind und den ganzen Segen daraus besitzen dürfen, dass sie damit den Zugang in die Gegenwart Gottes, des Vaters, haben (Eph 3,12)
=> Freimütigkeit zum Eintritt in das Heiligtum durch das Blut Jesu, d.h. Zugang zu Gott, dem Heiligen und Gerechten, vor den hinzutreten sonst unweigerlich den Tod für den Sünder bedeutet hätte (Heb 10,19)
=> Freimütigkeit, zum Thron der Gnade hinzuzutreten, da der Thron der Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes für den Gläubigen ein Thron geworden ist, wo er Gnade und Barmherzigkeit findet, alles auf Grund der Tatsache, dass Christus als unser Hoherpriester dort ist (Heb 4,16)
=> Freimütigkeit zum standhaften Festhalten der geschenkten Hoffnung (Heb 3,6)

2)
Freimütigkeit im Dienst für den Herrn
=> zur Predigt des Wortes Gottes (alle angeführten Stellen in der Apostelgeschichte, Eph 6,19.20; 1. Thes 2,2)
=> zum und im „Dienst des Geistes“, „Dienst der Gerechtigkeit” (z.B. in der Predigt der erhabenen Herrlichkeit des Evangeliums (2. Kor 3,12)
=> zum Dienst als „Diener“ oder „Diakon“, und zu weiterer Tätigkeit im Glauben als Folge treuen Dienstes (1. Tim 3,13)
=> zur Hingabe im Dienst des Evangeliums, und sei es bis hin zum Tod (Phil 1,20)

3)
Freimütigkeit im persönlichen Leben des Gläubigen
=> zum Gebet, aus dem Wandel mit reinem Herzen vor Gott (1. Joh 3,21)
=> zum Erscheinen vor Ihm, dem Herrn — am Richterstuhl des Christus -, für den Diener (hier der Apostel Johannes und seine Mitapostel), der nicht „mit leeren Händen”, d.h. beschämt dort stehen möchte, oder für jeden von uns, wenn wir Nachahmer des Herrn in dieser Welt sind (1. Joh 2,28 bzw. 4,17)

4)
Freimütigkeit des Apostels Paulus in besonderen Situationen
=> aus Liebe zu den Korinthern und zugleich im Vertrauen auf die Wahrheit seiner Worte - dazu im Bewusstsein des göttlichen Auftrags -, frei zu ihnen zu reden und sie zu ermahnen (2. Kor 7,4)
=> dem Philemon zu gebieten, das zu tun, was gut und geziemend ist, insbesondere in der Angelegenheit des entlaufenen Sklaven Onesimus, da er als Apostel Jesu Christi durchaus Autorität dazu besaß; um der Liebe willen aber befiehlt er nicht, sondern spricht eine Bitte aus

Gott will auch uns Freimütigkeit schenken zu einem treuen Zeugnis für Ihn, unseren Herrn, eine Freimütigkeit, die aus dem Leben des Glaubens und aus der Liebe zu unserem Herrn erwächst. Es war schon der Wunsch des Apostels, dass „mit aller Freimütigkeit” an seinem Leibe, sei es durch Leben oder durch Tod, „Christus hoch erhoben wird“ (Phil 1,20).
Rainer Brockhaus