Fragen und Antworten
Frage: In 2. Samuel 17,20 sagt offensichtlich eine Frau die Unwahrheit und rettet dadurch Achimaaz und Jonathan. Hat sie gar nicht gelogen? Oder hat sie irgendwann dafür Buße getan? Oder hat Gott das geduldet? Bedeutet das nicht die Legitimation der Notlüge? Wird die Lüge nicht gar gutgeheißen (siehe Jos 2,4f. und Hebr 11,31)?
T. Attendorn, Trier
Antwort: Diese Frau in Bachurim musste zwischen zwei Dingen wählen, die Gott beide verboten hatte: (a) zu lügen oder (b) Beihilfe zum Mord an zwei gerechten Männern zu leisten. Ich denke dabei an die Stelle: "Von der Sache der Lüge sollst du dich fernhalten; und den Unschuldigen und Gerechten sollst du nicht töten, denn ich werde den Gesetzlosen nicht rechtfertigen" (2. Mo 23,7). Eine schreckliche Situation, in die auch Gläubige gerieten, die während der Hitlerzeit Juden oder anderen Verfolgten halfen. Die Frau wusste außerdem, dass von ihrem Verhalten — menschlich gesprochen — das Leben Davids und seiner treuen Anhänger abhing.
Es spricht für diese Frau, dass sie selbst in dieser Konfliktsituation eine blanke Lüge zu vermeiden suchte. Sie hat anscheinend Absaloms Suchkommando durch eine zweideutige Antwort irregeführt. Der Brunnen in Vers 18 war keine Sammelgrube für Regenwasser (Zisterne, hebr. bor). Bei einer Zisterne wäre es auch nicht möglich gewesen, hinab- und heraufzusteigen; man konnte nur wie Joseph oder Jeremia hinabgeworfen bzw. herausgezogen werden. Es handelte sich vielmehr um einen Brunnen (hebr. beer), der vom Grundwasser oder durch eine unterirdische Wasserader - ein Bächlein, wenn man so will - gespeist wurde. Das Bemühen der Frau, eine direkte Lüge zu vermeiden, geht auch aus ihrer Wortwahl hervor. Sie benutzt für "Bächlein" nicht den üblichen Ausdruck, sondern ein Wort, das nur hier im Alten Testament vorkommt. Jonathan und Achimaaz waren also wahrscheinlich im Brunnen über die Wasserader gestiegen oder gekrochen; und damit hätte die Frau nichts Falsches gesagt. Dagegen konnten die Verfolger, wie beabsichtigt, ihre Worte nur auf einen Bach in der Umgebung des Hauses beziehen.
Bei einer gründlichen Untersuchung hätten sie die beiden Boten sicher entdeckt. Gott hat es so gelenkt, dass sie nun (unter Zeitdruck) davon absahen. Achimaaz nennt seinen ersten Sohn vielleicht u.a. auch deshalb Asarja (= "Jahwe hat geholfen" - 1. Chr 6,9).
Es ist interessant, dass Achimaaz bald darauf selbst eine doppeldeutige Antwort gibt (Kap. 18,29). Auch er tut das nicht um eines eigenen Vorteils willen. Er möchte seinem geliebten König einen Schock ersparen, ihn aber zugleich schonend auf das Schlimmste vorbereiten. Strenggenommen war das eine bewusste Täuschung. Auch wir können schnell einmal in die Lage kommen, dass wir eine furchtbare Tatsache (z.B. die Diagnose einer hoffnungslosen Krankheit) nur ratenweise mitteilen dürfen, obwohl sie uns sehr wohl bekannt ist. Nur der Herr kann uns das Zartgefühl eines Achimaaz geben und zugleich die Weisheit, die mit der Wahrheit nicht in Widerspruch gerät.
Wir sehen, wie fließend die Grenzen selbst für ein zartes Gewissen sind. Es ist schon gut, dass wir stets und in allem auf die direkte Weisung des Herrn angewiesen sind.
Ich persönlich habe die Wortes des Herrn in Matthäus 10,16.17 immer als eines der schwersten Gebote angesehen:
"Siehe, ich sende euch wie Schafe inmitten von Wölfen; so seid nun klug wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben. Hütet euch aber vor den Menschen; denn sie werden euch an Synedrien überliefern und in ihren Synagogen euch geißeln."
Wie wir die obige Begebenheit und ähnliche Berichte (die hebr. Hebammen in Ägypten, Rahab) auch immer einordnen wollen - die vielen Aussagen der Bibel über Lüge und Lügen werden dadurch nicht im geringsten abgeschwächt. So wie 3. Mose 19,11 ("Ihr sollt nicht stehlen; und ihr sollt nicht lügen und nicht trüglich handeln einer gegen den anderen.") für Israel galt, so lässt Gott uns heute sagen: "Belüget einander nicht, da ihr den alten Menschen mit seinen Handlungen ausgezogen und den neuen angezogen habt" (Kol 3,9).Hinzu kommt, dass die Tatsache, dass eine Sünde - und das war diese Lüge - nicht sofort gerichtet oder angeprangert wird, nicht bedeutet, dass Gott sie gutheißt.
Wir können jedoch nicht nur mit Worten, sondern auch in unserem Verhalten lügen, d.h. unser Bekenntnis Lügen strafen. Ich muss bekennen, dass ich das letzte wahrscheinlich viel öfter getan habe.
Hans-Joachim Kuhley
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