Der Christ und der Dienst mit der Waffe
Die grausamen kriegerischen Auseinandersetzungen besonders dieses Jahrhunderts führen immer wieder zu der Frage, ob ein gläubiger Christ überhaupt nach der Waffe greifen darf, d.h., ob er insbesondere im Rahmen eines militärischen Einsatzes u.U. einen anderen Menschen mit der Waffe töten darf. In ähnlicher Weise stellt sich diese Frage auch für jeden, der die berufliche Laufbahn eines Polizeibeamten wählt. In Ausübung seines Berufes ist er nicht selten verpflichtet, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Wie haben wir als Christen, die sich dem Wort Gottes unterwerfen wollen, diese Frage zu beurteilen? Die Auffassung der Christen ist in dieser Sache seit jeher geteilt.
1)
Viele halten den Dienst mit der Waffe für berechtigt. Sie stützen sich dabei vor allem auf Bibelstellen wie Römer 13,1ff.; Titus 3,1 und 1. Petrus 2,13.14. Verwiesen wird auch auf die Worte des Herrn: "Gebet denn dem Kaiser, was des Kaisers ist ..." (Mt 22,21) sowie auf die von Gott teilweise angeordneten Kriege Israels im Alten Testament, auf die Soldaten, die zu Johannes dem Täufer kamen (Lk 3,14), und auf Männer wie den Hauptmann von Kapernaum (Mt 8,5ff.) und den Hauptmann Kornelius (Apg 10). Weder Johannes noch der Herr Jesus noch der Apostel Petrus hätten in diesen Fällen den Kriegsdienst, also den Dienst mit der Waffe, beanstandet, auch nicht den Soldatenberuf überhaupt. Nicht wenige Soldaten seien gerade in der Ära des Christentums treue Gläubige und gesegnete Zeugen während ihrer Dienstzeit in der Armee für den Herrn gewesen, selbst während des Krieges an den Fronten.
Viele andere gläubige Christen vertreten den gegenteiligen Standpunkt. Die Anordnungen Gottes, sich den "obrigkeitlichen Gewalten" zu unterwerfen (insbes. Röm 13,1ff.), wollen sie durchaus befolgen, jedoch in der Frage des Dienstes mit der Waffe stützen sie sich auf das Gebot Gottes "Du sollst nicht töten", denn Gott müsse man mehr gehorchen als Menschen (Apg 5,29). Auch die Worte des Herrn "Alle, die das Schwert nehmen, werden durchs Schwert umkommen" (Mt 26,52) und "Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn mein Reich von dieser Welt wäre, so hätten meine Diener gekämpft, auf dass ich den Juden nicht überliefert würde; jetzt aber ist mein Reich nicht von hier" (Joh 18,36) werden herangezogen. Wichtiges Argument ist auch, dass eine Tötungshandlung einem Menschen die Möglichkeit der Bekehrung abschneidet. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten war die Haltung der Christen gegenüber dem Soldatenberuf in einem heidnischen Staat durchweg negativ.
Wahrscheinlich könnten die Vertreter beider Seiten dieser kurzen Skizzierung der gegenteiligen Positionen unschwer weitere Gründe für ihren jeweiligen Standpunkt hinzufügen.
2)
a) Keine der genannten Bibelstellen befasst sich ausdrücklich mit dem Problem, das hier interessiert, allenfalls das Gebot: "Du sollst nicht töten". Zwar ist in Matthäus 26,52 und in Johannes 18,36 um den Gebrauch von Waffen die Rede und es geht auch um den Gebrauch von Waffen, aber im konkreten Fall um den Einsatz von Waffen des Fleisches zur Verteidigung des Herrn oder in etwas allgemeinerem Sinn um die Verteidigung Seiner Interessen, d.h. nach meinem Verständnis um Waffengebrauch im geistlichen Bereich.
Wenn sich gläubige Christen in Verfolgungen um ihres Glaubens willen mit Waffengewalt zur Wehr setzen, wie es in der Geschichte der christlichen Kirche mehrfach geschehen ist, bedienen sie sich menschlicher Waffen in einem geistlichen Bereich. Kämpfe und Kriege dieser Art sind nicht nach Gottes Wort. Die genannten Bibelstellen besagen daher nicht unmittelbar etwas zu Kriegen und Auseinandersetzungen im traditionellen Sinn. Auch darüber hinaus behandelt das Neue Testament nicht ausdrücklich das Problem. Der Hinweis der Befürworter des Waffendienstes auf die Kriege des Alten Testaments ist schon deswegen nicht überzeugend, weil die von Gott angeordneten Kriege gerecht waren, während alle anderen Kriege vor und nach dem Kommen des Herrn Jesus in diese Welt mehr oder weniger ungerechte Kriege waren. Der Krieg, den der Herr Jesus führen wird, wenn Er mit Seinen Heerscharen den Himmel verlassen wird, wird jedoch ein "Krieg in Gerechtigkeit" sein (Offb 19,11).
b) Nach meinem Verständnis hat die Auffassung, die den Dienst mit der Waffe ablehnt, die biblisch besseren Gründe auf ihrer Seite. Ich meine, dass allein sie den Standpunkt des Wortes Gottes insgesamt widerspiegelt und daher die richtige Beurteilung des Problems darstellt. Grundsätzlich ist schon zu bedenken, dass Gott als Schöpfer Quelle und Geber des Lebens ist. Er will es schützen und mehren und nicht zerstören. Tod und Sterben des Menschen sind für Gott nicht das Normale. Infolge der Sünde ist allerdings der Tod in diese Welt gekommen, und auch Krieg und Krankheit sind natürliche Folgen der Sünde. Auf dem Hintergrund, dass Gott das Leben gibt und nimmt (5. Mo 32,39; 1. Sam 2,6), gewinnt das an den Menschen gerichtete Gebot "Du sollst nicht töten" besonderes Gewicht, ebenso die im Fall der Übertretung dieses Gebotes erlaubte und angeordnete Todesstrafe (1. Mo 9,6). Stellen wie Psalm 46,9; 68,30; 76,3; Jesaja 2,4, Hosea 2,18, Micha 4,3; Sacharja 9,10 lassen jedenfalls als Grundtendenz des Alten Testaments erkennen, dass Gottes Wort Krieg und Waffengewalt missbilligt. Gott selbst wird zwar "Kriegsmann" genannt (2. Mo 15,3), und Er wird wiederholt als derjenige geschildert, der mit Seinem Volk in den Krieg zieht (z.B. 5. Mo 20,4; 2. Sam 5,24; 2. Chr 20,15.22), gleichwohl widerspricht diese - bildhafte — Beschreibung nicht der aufgezeigten Grundlinie, zumindest nicht im Endergebnis der Wege Gottes mit dieser Erde und mit Israel. Außerdem darf man nie übersehen, dass Israel ein irdisches Volk mit irdischen Verheißungen war, für das in einer feindlichen Umwelt der Krieg praktisch das einzige Mittel war, um in den Besitz des von Gott versprochenen irdischen Landes zu kommen und um diesen Besitz durch die Jahrhunderte hindurch zu sichern. Wir Christen dagegen sind ein himmlisches Volk, und unsere Kämpfe sind geistlicher Art (vgl. Eph 6,12).
Aus der Tatsache, dass die Schrift den Soldatenstand als solchen weder in Lukas 3,14 noch in Matthäus 8,5ff. noch in Apostelgeschichte 10 beanstandet (vgl. unter 1), kann man, wie ich meine, nicht ableiten, dass "also" der Soldatenstand biblisch sei. Bei den irdischen Berufen der Gläubigen enthält sich das Wort Gottes grundsätzlich immer eines abwertenden Urteils. Andererseits ist es gewiss zutreffend, dass mancher gläubige Christ aus Gewissensgründen oder auf Grund seines geistlichen Verständnisses nicht mehr in der Lage war, seinen vor der Bekehrung ausgeübten Beruf danach noch fortzusetzen. Wenn der Fürst des Friedens einst auf dieser Erde regieren wird, werden jedenfalls die Kriegswaffen zerbrochen oder zu Geräten des Friedens umgewandelt.
Der Gläubige der neutestamentlichen Gnadenzeit weiß sich in seinem Herzen dem Wort verpflichtet: "Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses" (Röm 13,10), und allein die Beachtung dieses Grundsatzes schließt letztlich den Gebrauch einer Waffe durch einen gläubigen Christen gegenüber einem Mitmenschen aus. Erstens lässt sich die Aufforderung des Herrn zur Nächsten- und Feindesliebe (Mt 5,43.33) kaum mit einem Dienst mit der Waffe oder der Benutzung einer Waffe gegenüber einem Menschen vereinbaren.
Es ist gleichfalls wenig vorstellbar, wie ein Mensch mit einem himmlischen Bürgertum — und das ist jeder wahre Christ (Phil 3,20) — sich an gewaltsamen Auseinandersetzungen auf dieser Erde beteiligen kann. Diese Auseinandersetzungen gehen ihn gar nichts an, da er schon jetzt einer anderen Welt angehört. Sehr zu denken gibt auch, dass Gott dem König David verboten hatte, Ihm ein Haus zu bauen, weil David Blut in Menge vergossen und große Kriege geführt hatte (1. Chr 22,8; 28,3). Auffällig ist weiter, dass zu dem Bild des Sünders schlechthin, wie Gott es in Römer 3,9-18 aufzeichnet, u.a. schnelles Blutvergießen gehört (Röm 3,15). Schon Kains Brudermord (1. Mo 4,810) und die starken Worte seines Nachkommens Lamech (1. Mo 4,23.24) lagen auf der gleichen Linie der Gewalt.
Ein gläubiger Christ, der sich frei entscheiden kann, kann, wie ich meine, nicht einen Dienst mit der Waffe tun, sei es als Soldat oder in anderer Form. Falls ein gesetzlicher Zwang zur Dienstleistung als Soldat besteht - wie etwa in der Zeit des 2. Weltkriegs in Deutschland - mag der Dienst als Sanitäter oft ein Ausweg sein. Das inständige Gebet eines gläubigen Soldaten, nicht jemanden bewusst töten zu müssen, erhört der Herr aber gewiss immer.
Nicht selten wird in diesem Zusammenhang gefragt, wann der Dienst mit der Waffe bzw. die Beteiligung am Kriegsgeschehen bereits beginne. Müsse man nicht ganz entfernte indirekte Beteiligung - z.B. als gläubiger Buchhalter in einer Rüstungsfabrik oder als gläubiger Bäcker, der die kämpfende Truppe mit Brot versorgt - gleichfalls dazurechnen? Letztlich ist die Antwort eine Sache der persönlichen Gewissensentscheidung. M.E. ist eine indirekte Beteiligung in der Form einer "friedlichen" beruflichen Tätigkeit schwerlich mit einer freiwillig getroffenen Entscheidung zu vergleichen, das Waffenhandwerk zu betreiben, also mit einer Tätigkeit, die ihrem Wesen nach "unfriedlich" ist. Zudem dürfte die innere Einstellung in beiden Fällen doch sehr unterschiedlich sein.
c) Die Frage, ob ein Christ einen Dienst mit der Waffe leisten soll oder nicht, also als Repräsentant staatlicher Macht auftreten darf, berührt die grundsätzliche Frage, in welchen Bereichen ein Christ nach Gottes Wort überhaupt Autorität, d.h. Autorität im allgemeinen, ausüben darf. Ob man nicht einfach antworten muss, dass der Christ nur in den von der Schrift vorgegebenen Bereichen Autorität betätigen darf - als ihm unmittelbar von Gott zugewiesen -, nämlich als Vater, als Ehemann und als Arbeitgeber ("Herr" in der Sprache des Neuen Testaments), aber nicht darüber hinaus? Die Autorität des "Schwertes" (Röm 13,4) steht den "obrigkeitlichen Gewalten" zu ... Als bloßes Instrument mag der Christ in den Vorgang der staatlichen Autoritätsausübung im administrativen Bereich eingeschaltet sein, aber die Grenze ist nach meinem Verständnis da erreicht, wo die Gewalt des "Schwertes" beginnt. Wir dürfen als Gläubige allerdings nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass bestimmte Gefahrensituationen für Familie und Mitmenschen uns nicht gleichgültig lassen können. Stellen wir uns vor, ein gläubiger Familienvater müsse mitansehen, wie verbrecherische, brutale Menschen über seine Familie oder seinen Nachbarn (seinen "Nächsten") herfallen und sie quälen oder umbringen - soll er dann nur zusehen und nichts tun, oder soll er gerade im Interesse derjenigen, die er liebt und für die er zu sorgen hat, sich einsetzen und sie schützen? Für den Christen ist es keine Frage, dass er seine Familie schützt und verteidigt und dass er dem Nachbarn beisteht, so gut er kann. Schwierig ist nur, zu entscheiden, wie diese Gefahrenabwehr zu geschehen hat, d.h., in welcher Form sie zu erfolgen hat. Ist mein Glaube stark genug, auf den Gebrauch einer Waffe gegen einen brutalen Angreifer gerade in einer Notwehrlage zu verzichten, u.U. selbst auf Kosten meines eigenen Lebens (vgl.1.Joh 3,16)? Damit zusammen hängt das weitere Problem, ob nicht der Staat oder die Gesellschaft oder die Mitmenschen einen moralischen Anspruch sogar dergestalt gegen mich haben, dass ich verpflichtet sei, im Interesse anderer u.U. zur Waffe zu greifen oder in den Krieg zu ziehen, zumal ich ja von den Wohltaten profitiere, die die Gesellschaft auch mir gewährt (z.B. kostenlose gute Ausbildung, Schutz, soziale Versorgung usw.).
Dazu ist zu sagen, dass ein Christ, der in der Verantwortung vor Gott lebt, auch seine Verantwortung vor und für Menschen sieht und regelmäßig genau weiß, welche moralische Verpflichtung er gegenüber dem Staat und der Gesellschaft und den Mitmenschen hat, und dieser auch stets nachzukommen bereit ist. Außerdem "bezahlt" er dadurch, dass er Steuern, andere finanzielle Leistung und u.U. wertvollen "Zivildienst" dem Staat gegenüber erbringt, einen großen Teil der genannten Wohltaten aus eigener Tasche. (Staatliche Wohltaten oder Vergünstigungen sind keineswegs reine "Geschenke" an die Bürger. Würden diese Vergünstigungen plötzlich allgemein wegfallen, müsste ein Christ dies allerdings ohne Widerspruch hinnehmen!) Jedenfalls kann man nach meinem Dafürhalten, auch wenn man nicht zur Waffe greift, einer moralischen Verpflichtung im übrigen gegenüber Staat, Gesellschaft und Mitmenschen durchaus in angemessener Weise entsprechen.
Abschließend sei noch dies gesagt: Eine "Patentlösung" wird es für unser Problem kaum geben. Jeder gläubige Christ, der sich mit dieser Frage befasst, muss sie vor dem Herrn und mit dem Herrn für sich selbst "beantworten. Dabei können die obigen Gedanken manchem vielleicht eine kleine Hilfe sein.
Klaus Sander
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